© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Immer weniger Wiesen und Weiden
Agrarpolitik: Trotz hoher ökologischer Bedeutung verliert das Grünland in der Landwirtschaft an ökonomischer Attraktivität
Harald Ströhlein

Deutsche Landschaften werden in weiten Teilen von Grünland geprägt. Über fünf Millionen Hektar von fast 17 Millionen Hektar Agrarfläche sind Wiesen und Weiden. Diese dienten jahrhundertelang in erster Linie der Milchviehhaltung als Futtergrundlage. Erst als man sich bewußt wurde, in welchem Ausmaß dieser botanische Typus unsere Kulturlandschaft prägt und daß damit im weitesten Sinne Tourismus, Freizeit und Erholung in engem Zusammenhang stehen, trat ein markanter Wertewandel ein. Zudem wuchs die Bedeutung von Grünland mit der Erkenntnis, welch maßgebliche Rolle bestimmte Gräser und Kräuter für das ökologische Gleichgewicht spielen.

Dabei geht es zum einen – nicht nur im UN-Jahr der Biodiversität (JF 2/10) – um den Erhalt der biologischen Vielfalt von Flora und Fauna. Im günstigsten Fall können auf unter Naturschutz stehendem oder von Landwirten im Auftrag der Naturschutzverwaltung gepflegtem Biotop-Grünland bis zu 70 Pflanzenarten pro 25 Quadratmeter gezählt werden.

Gleichzeitig schränkt Grünland die Bodenerosion durch Wind und Wasser ein, was sich insbesondere in Bergregionen als unermeßlicher Vorteil erweist. Im Hinblick auf die Klimadebatte ist bemerkenswert, daß im Grünland durchschnittlich 24 Tonnen Kohlendioxid jährlich pro Hektar Boden gebunden werden, während gleichzeitig 18 Tonnen Sauerstoff freigesetzt werden. Grünaufwuchs dient als Biomasse für die Biogaserzeugung. Im Mittel können jährlich pro Hektar zwölf Tonnen eingefahren werden.

Milchkühe, die auf Wiesen und Weiden stehen, liefern zudem Nahrungsmittel von höchster biologischer Qualität. Die Milch von mit Grünfutter versorgten Kühen weist etwa einen höheren Gehalt an ungesättigten Fettsäuren auf. Gleichfalls sind die konjugierten Linolsäuren (CLA) zu nennen, die den Fettstoffwechsel des Menschen positiv beeinflussen und ferner antikanzerogen wirken.

Einkommensnachteile gegenüber Ackerbauern

Dennoch geraten Landwirte mit Wiesen als Betriebsinventar gegenüber ihren Berufskollegen, die intensiven Ackerbau betreiben, gehörig ins Hintertreffen. Angesichts weltweit nachgefragter Agrarrohstoffe ist nämlich ein findiger Ackerbauer besser ausgerichtet als ein Milcherzeuger, der – wollte er den gleichen Gewinn einfahren – mit einem viel höheren Arbeitsaufwand und Kapital- wie Risikoeinsatz kalkulieren müßte. Deswegen liegen die Futterbaubetriebe in der Regel am unteren Ende der bäuerlichen Einkommensskala. In den zurückliegenden fünf Jahren betrug das jährliche Unternehmensergebnis je Arbeitskraft für einen durchschnittlichen Futterbaubetrieb mit Milcherzeugung im Schnitt 35.000 Euro. Davon muß der Betriebsleiter noch seinen Beitrag zur Sozialversicherung leisten und Neuinvestitionen sowie Rücklagen finanzieren.

Daher ist es nicht verwunderlich, wenn landwirtschaftliche Unternehmer strategisch umdenken und auf einen lukrativeren Betriebszweig umstellen: Seit 2003 ist im Bundesgebiet der Grünlandanteil im Schnitt um 3,7 Prozent gesunken. In manchen Bundesländern wurden sogar über acht Prozent der Grünlandflächen zu Ackerland umgepflügt. Beispielsweise fielen fast zehn Prozent der Wiesen im pittoresken Berchtesgadener Land dem Pflug zum Opfer. In den letzten 30 Jahren waren es in Bayern etwa 300.000 Hektar, was einer Fläche entspricht, die fast 40mal größer ist als der Chiemsee.

Mittlerweile hat der Naturschutzbund (Nabu) Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) aufgefordert, sich für den Erhalt von Wiesen und Weiden einzusetzen. Neben einer Genehmigungspflicht für den Grünlandumbruch wollen die Naturschützer sogar ein verordnetes Umbruchverbot für sensible und feuchte Standorte.

Auch das sogenannte Grünlandmanagement bietet noch erhebliches Verbesserungspotential. In punkto Ertragssteigerung sollte die Agrarforschung in die Pflicht genommen werden, da in diesem Bereich erheblicher Nachholbedarf besteht. Hochwertige Weidemilch könnte – wie es niederländische Milchverarbeiter mustergültig seit Jahren praktizieren – wesentlich erfolgreicher vermarktet werden. Überhaupt muß der hohe Stellenwert des Grünlands kommuniziert und das Bewußtsein dafür in der Gesellschaft geschärft werden: eine Aufgabe, der sich vor allem der Deutsche Grünlandverband mit einer stark aufgestellten Lobby stellen müßte.

Immerhin hat die Politik die Zeichen der Zeit erkannt. Benachteiligte Grünlandregionen werden durch die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ zusammen mit den Landesgeldern (von 2007 bis 2010 mit über einer Milliarde Euro) unterstützt. In Bayern wird schon seit langem extensiv wirtschaftenden Landwirten über die sogenannte Grünlandprämie oder durch Gelder aus dem Kulturlandschaftsprogramm unter die Arme gegriffen. Nicht zuletzt soll das Ende vergangenen Jahres verabschiedete Grünlandmilchpaket in Höhe von 500 Millionen Euro für die nächsten zwei Jahre dafür sorgen, die in Liquiditätsnot geratenen Milchviehhalter bei der Stange zu halten.

Doch dieser Geldsegen wird nicht von Dauer sein, denn derart gestaltete Förderinstrumente sind ein Dorn in den Augen vieler Europapolitiker. Auf lange Sicht werden direkte Finanzspritzen gleich welcher Art innerhalb der fortschreitenden WTO-Handelsvereinbarungen keinen Platz finden. Die „Erfolgsstory Grünland“ ist also kein Selbstläufer. Nicht nur die Landwirtschaft selbst, sondern auch Gesellschaft und Politik sind daher gefordert, gemeinsam dafür einzutreten, daß die für uns alle lebenswichtigen Grünlandstandorte in Deutschland flächendeckend erhalten bleiben.

Der Deutsche Grünlandverband im Internet: www.gruenlandverband.de

Foto: Rind auf Bergweide: Nahrungsmittel höchster Qualität

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