© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  04/10 22. Januar 2010

Frisch gepresst

Ostpreußen. Der Fernsehjournalist Wolf von Lojewski, geboren 1937, hat 1945 als Kind Ostpreußen verlassen müssen. Seine Eltern gehörten in ihrer Ersatzheimat an der Kieler Förde zu den eifrigsten Aktivisten in der kulturpolitischen Vertriebenenarbeit, was eine Rückkehroption selbstverständlich einschloß. Derart in der frühen Bundesrepublik sozialisiert, ist man überrascht, daß sich ihr Sohn rasch „emanzipierte“ und zum Sympathisanten von Willy Brandts „neuer Ostpolitik“ mauserte. Aber wer um 1970 in der westdeutschen Medienlandschaft etwas werden wollte, mußte Geschmeidigkeit beweisen. Daran hat es von Lojewski nie fehlen lassen. Dafür gab es dann auch schöne Belohnungen wie Spitzenpositionen bei den Tagesthemen oder dem Heute-Journal. Wie hoch der Preis solcher Anpassung ist, erfährt der Leser im jüngsten Werk, den „Begegnungen in Ostpreußen“ (Meine Heimat, deine Heimat. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2009, gebunden, 235 Seiten, Abbildungen, 19,99 Euro). Keine seiner lesenwerten Ortsbesichtigungen und anekdotisch aufgefrischten Erkundungen im polnischen und russischen Teil Ostpreußens kommt ohne erhobenen Zeigefinger aus. So bietet das locker komponierte Büchlein Kapitel für Kapitel auch eine Lektion klebriger Volkspädagogik nach der Devise: „Übersteigerter Nationalismus“, „chauvinistische deutsche Hybris“ habe zu Vertreibung und Heimatverlust geführt, „Aussöhnung“ sei darum die aktuelle Parole.

 

Breslau. Kulturhistorisch scheint Schlesien unter den deutschen Ostprovinzen die größte Ausbeute zu versprechen. Dabei verdichtet sich alles in der Landeshauptstadt Breslau, dem idealen Erinnerungsort, der schlesische Geschichte an jeder Hausecke feilhält. Obwohl viel beim Endkampf um die „Festung Breslau“ 1945 zerstört oder von den polnischen Okkupanten später „entsorgt“ wurde, ist die Stadtlandschaft überreich an steinernen Zeugnissen, um einen „Literarischen Reiseführer Breslau“ mit Stoff zu versorgen. Roswitha Schieb, Jahrgang 1962, Reiseschriftstellerin mit schlesischen Wurzeln, die damit 2004 auf den Markt kam, kann daher fünf Jahre später sogar eine aktualisierte und erweiterte Auflage ihrer „Sieben Stadtspaziergänge“ herausbringen (Deutsches Kulturforum östliches Europa, Potsdam 2009, broschiert, 409 Seiten, Abbildungen, 19,80 Euro). Das Werk der ungemein belesenen Autorin ist ein Muß nicht nur für jeden, der mit dem handlichen Band selbst auf Entdeckungsreise gehen möchte. Es ist auch eine schöne, zitatenreiche Ergänzung zu Arno Lubos’ großer Literaturgeschichte Schlesiens. Zu beklagen ist nur, daß bei dem erfreulich weiten Literaturbegriff Schiebs ein Kristallisationspunkt des intellektuellen Breslau etwas zu kurz kommt: die Schlesische Friedrich-Wilhelms-Universität.

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