© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/10 29. Januar 2010

Die Furcht der Antifa vor dem Feuerzeug
Brennende Autos: Angesichts des wachsenden Verfolgungsdrucks der Polizei fühlen sich Berlins Linksextremisten in die Enge getrieben
Peter Freitag

Dem radikalen Flügel der Berliner Linken weht dieser Tage der Wind heftig ins Gesicht. Eine „verschärfte Mobilmachung“ gegen ihre Aktivisten wird beklagt, „Polizeiwillkür“ und „Medienhetze“. Als „Haßbrenner“, „Kieztaliban“ und „rotlackierte Faschisten“ sieht sich die Szene verunglimpft, die vor allem im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg beheimatet ist; also dort, wo die meisten der knapp 300 in der Hauptstadt im vergangenen Jahr „flambierten“ Autos angezündet wurden.

Zu Unrecht sehen sich die Damen und Herren nun verfolgt und „kriminalisiert“, seit der rot-rote Senat einen Maßnahmenkatalog gegen „linke Gewalt“ beschlossen hat und die schwarz-gelbe Bundesregierung ein – finanziell eher bescheiden alimentiertes – Programm gegen Linksextremismus auflegen will.

Schön, wenn man sich da zu einem Plausch unter Gleichgesinnten versammeln kann wie am Mittwoch vergangener Woche in der „Ladengalerie“ der marxistischen Tageszeitung Junge Welt. Der Raum ist gut gefüllt, nicht alle der etwa 200 Besucher haben einen Sitzplatz gefunden. Es riecht nach frischem Bier und altem Schweiß.

Auf dem Podium sitzen Michael Kronawitter, in Kreuzberg praktizierender Arzt und Vertreter der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB), die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei Inge Höger sowie ihr Parteifreund Kirill Jermak, der im vergangenen Jahr die in Ausschreitungen endende „revolutionäre“ Berliner 1.-Mai-Demonstration angemeldet hatte. Die aktuelle Situation für links Engagierte ist laut Kronawitter derzeit so schlimm, daß manche von ihnen sich schon nicht mehr trauen, spätabends auf die Straße zu gehen oder als Raucher in Friedrichshain ein Feuerzeug bei sich zu haben, da man Gefahr laufe, als potentieller Auto-Brandstifter festgenommen zu werden.

Inzwischen fungiere die JUNGE FREIHEIT als Stichwortgeber der Mainstream-Medien, heißt es. Besonders sichtbar wurde dies am Fall der Juso-Chefin Franziska Drohsel, als deren Mitgliedschaft in der Roten Hilfe bekannt wurde und sie sich auf innerparteilichen Druck hin habe von ihr lossagen müssen. Mittlerweile sei sogar die Linkspartei-Abgeordnete Katja Kipping in vorauseilendem Gehorsam aus der Roten Hilfe ausgetreten; das Publikum quittiert solches Einknicken mit verächtlichem Murren. Als angesichts des wachsenden Verfolgungsdrucks zu mehr inner-linker Solidarität aufgerufen wird, reckt sich im Publikum eine „Thälmann-Faust“.

Auch Höger und Jermak beklagen sich über den „Distanzierungsdruck“, der in den Medien gegen Politiker der Linkspartei erzeugt werde. Dabei sei so etwas doch völlig unsinnig. Denn umgekehrt werde die CDU ja auch nicht aufgefordert, sich von den Offizieren der Bundeswehr zu distanzieren, die den „Mord von Kundus“ zu verantworten hatten. Weil es der Kreuzberger Szene-Onkel-Doktor als Arzt gewohnt ist, seine Patienten mittels verständlicher Bildsprache aufzuklären, greift er auch vor dem Auditorium der Jungen Welt zu einem entsprechenden Stilmittel: Wer linke und rechte Extremisten auf eine Stufe stellt, setze die Feuerwehr mit dem Brandstifter gleich. Denn während dieser – bildlich gesprochen – eine Scheibe einwirft, um Feuer zu legen, muß jener das Glas bei Bedarf zerstören, um besser löschen zu können.

Und Kronawitter hat noch mehr auf Lager: Ein Hartz-IV-Empfänger müßte 700 Jahre sparen, um sich einen der Luxusgeländewagen, die zu den Lieblingszielen der Brandstifter zählen, leisten zu können. Daß man zum Preis von etwa zwei Cent – soviel kostet ein Grillanzünder – ein solches Auto im Wert von über 100.000 Euro zerstören kann, sei natürlich beeindruckend. Das Anzünden führe zwar zu nichts, sei aber auch nicht richtig schlimm, schließlich zahle eh die Versicherung. Die Abgeordnete Höger ist derselben Meinung: „Brennende Autos ändern nichts, was wir brauchen, sind soziale Kämpfe.“

Fast nebenbei erwähnt der Antifa-Aktivist Kronawitter, was ihn und seinesgleichen derzeit am meisten zu wurmen scheint, nämlich die Gefahr, nicht mehr als „Kämpfer gegen Rechts“ alimentiert zu werden: „Viele von uns arbeiten in Projekten, die im ‘Aufstand der Anständigen’ entstanden sind – die sind jetzt gefährdet, und dem müssen wir präventiv entgegentreten“, schwört er das Auditorium ein.

Während in der Ladengalerie noch munter diskutiert wird, hat sich ein Grüppchen Schwarzgekleideter zur Zigarettenpause vor der Tür versammelt. Einer zieht sein Feuerzeug aus der Jackentasche. Ob er sich damit wohl noch im Dunkeln nach Hause traute?

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