© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  05/10 29. Januar 2010

Völkische Identität
Politische Zeichenlehre XCI: Keltenkreuz
Karlheinz Weissmann

Das Datum des 24. Januar 1960 dürfte in Deutschland keine, in Frankreich kaum noch Erinnerungen wecken. Dabei wirkten die Demonstrationen und Barrikadenkämpfe, die damals in Algier stattfanden, wie ein Fanal des Kampfes um die Algérie Française. An den Aufmärschen nahmen auch Mitglieder des Front National Français (FNF) teil, die an langen Stangen ihr Emblem – ein schwarzes Keltenkreuz – trugen.

Als „Keltenkreuz“ wird ein griechisches Kreuz in einem Kreis bezeichnet, dessen Enden deutlich über den Kreis hinausreichen. Seine Darstellung wurde von jenen „Hochkreuzen“ abgeleitet, die man seit dem 6. Jahrhundert vor allem in Irland und Schottland errichtete. Diese Form des Kreuzes erlebte im 19. Jahrhundert mit der „keltischen Renaissance“ auf den britischen Inseln und in Frankreich eine Wiederbelebung, nicht nur als Grabdenkmal, sondern auch als Ornament oder als Ausdruck völkischer Identität.

In der Zwischenkriegszeit trat es als Emblem in den Freimarken des jungen irischen Freistaats sowie als Abzeichen kleinerer regionalistischer Gruppierungen auf und verbreitete sich vor allem in der Bretagne. Außerdem führten nach Errichtung des Vichy-Staates die kollaborationistischen Jeunesses légionnaires ein weißes Keltenkreuz, in dessen Viertel die französischen Nationalfarben oben in der richtigen, unten in umgekehrter Reihenfolge gestellt waren.

Diese Traditionen erklären hinreichend, warum das Keltenkreuz in Frankreich auch nach dem Zweiten Weltkrieg verbreitet blieb. Zuerst scheint es durch die 1950 gegründete Bewegung Jeune Nation („Junge Nation“; JN) verwendet worden zu sein, in einer Gestaltung – blaues Keltenkreuz auf weißem Grund in rotem Feld –, die die Farben der Trikolore wieder aufnahm. Der Kopf von JN war Pierre Sidos, der sich als Halbwüchsiger in die Kollaboration verstrickt hatte und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs für mehrere Monate interniert wurde. Er unterstützte aktiv den Kampf der Algerienfranzosen, und der FNF bildete eine Art Überseeorganisation von JN. Sidos’ Ziel war faktisch ein Staatsstreich mit Unterstützung der Armee; in der ersten Nummer seiner Zeitschrift Jeune Nation erklärte er dementsprechend: „Nur das Keltenkreuz und das Barett der Fallschirmjäger werden Frankreich retten.“ Im Zusammenhang mit der Algerienkrise wurde JN verboten. Ohne Erfolg blieb auch der 1960 von Sidos gebildete, aber nur kurzlebige Parti Nationaliste, der das Abzeichen der JN unverändert übernahm.

Der aus seinen Reihen hervorgegangene Studentenverband, der sich 1965/66 um die Zeitschrift Occident sammelte, setzte die Tradition fort. Von dieser Gruppe mitgetragen, wurde 1966 der Ordre Nouveau (ON) ins Leben gerufen, der seinerseits ein Keltenkreuz als Emblem verwendete. 1973 verbot die Regierung ON wegen zunehmender Radikalisierung, aber schon vorher hatten sich kleinere Fraktionen abgespalten, darunter 1968 das bis heute bestehende, aber einflußlose Œuvre Française (OEF) unter Sidos. Sidos gab seiner Partei als Abzeichen ein quadratisches, blau und rot geviertes Tuch, darauf ein weißes Keltenkreuz, das praktisch dem Emblem der Jeunesses légionnaires entspricht.

Der OEF ist seiner Ideologie nach nationalkatholisch und elitär, er hat sich auch allen Versuchen zur Sammlung der Rechten in Frankreich – etwa durch den Front National – entzogen. Damit konnte er allerdings nicht verhindern, daß das Keltenkreuz seit den sechziger Jahren von zahlreichen nationalistischen Organisationen nicht nur in Frankreich verwendet wurde. Es findet sich auch bei neonationalsozialistischen Gruppierungen, die es als Ersatz für das verbotene Hakenkreuz verwenden, und weit außerhalb jenes Bereichs, der einigermaßen plausibel das keltische Erbe reklamieren könnte, so im Fall von rumänischen, italienischen wie spanischen Nostalgikern des historischen Faschismus.

In Deutschland hat man mehrere Versuche unternommen, in Anwendung von Paragraph 130 StGB den Gebrauch des Keltenkreuzes zu untersagen, was allerdings besonders problematisch ist, da gestaltungsgleiche oder -ähnliche Embleme in christlichen wie nichtchristlichen Religionsgemeinschaften (Freireligiöse, Unitarier) verwendet werden. Erst durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 1. Oktober 2008 wurde festgelegt, daß das Zeigen des Keltenkreuzes verboten sei – ausgenommen jene Fälle, in denen eindeutig kein rechtsextremistischer Hintergrund festgestellt werden kann.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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