© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  06/10 05. Februar 2010

Zur Marinegeschichte verurteilt
Erstmals liegen auf deutsch Aufsätze hochrangiger deutscher Admirale zur Marinepolitik bis 1945 vor, die diese in britischer Kriegsgefangenschaft anfertigten
Rolf Bürgel

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs 1945 hat der britische Marine-Nachrichtendienst neun in britischer Gefangenschaft befindliche höchstrangige deutsche Admirale aufgefordert, Aufsätze zu schreiben, in denen sie die deutsche Marinepolitik seit 1933 schilderten. Es waren dieses Großadmiral Karl Dönitz, Generaladmiral Hermann Boehm, Admiral Theodor Krancke, Vizeadmiral Hellmuth Heye, Konteradmiral Hans Meier, Vizeadmiral Eberhard Weichhold, Konteradmiral Otto Schulz, Generaladmiral Otto Schniewind und Admiral Schuster. Lange blieben diese Aufzeichnungen unentdeckt. Erst 2004 wurden sie erstmals von den englischen Historikern Roy Bennett und George Henry Bennett (Vater und Sohn) in englischer Sprache veröffentlicht und liegen jetzt endlich auch auf deutsch vor. Die Niederschriften umfassen den Zeitraum 1919 bis 1945, so daß der Titel des Buches nicht ganz zutreffend ist. Der Schwerpunkt liegt allerdings schon auf der Zeit zwischen 1939 und 1945.

Die Aufsätze sind keine wissenschaftliche Geschichtsschreibung und sollen es auch gar nicht sein. Es sind ganz persönliche Erinnerungen von Seeoffizieren, die den Krieg zur See nicht nur erlebt, sondern selbst in führenden Positionen mitgestaltet haben. Die Arbeiten sind unverändert abgedruckt, so wie sie 1945/46 niedergeschrieben wurden, und sind damit absolut authentisch. Die Unmittelbarkeit ihrer Ansichten, als diese noch frisch waren, unterscheiden diese Arbeiten von den Memoiren späterer Jahre. Allerdings sind die Aufsätze nicht in voller Länge, sondern nur in Auszügen wiedergegeben, in neue thematische Kapitel gegliedert, die sich jeweils mit einem speziellen Aspekt des Seekriegs befassen. Um daraus eine logische Geschichte zu machen, wurden diese von den Herausgebern in die entsprechende Reihenfolge gebracht, die die Herausgeber mit Hilfe eigener Textpassagen miteinander verbunden haben.

Obwohl das Denken der Admirale zweifellos stark von der katastrophalen Niederlage ihres Landes beeinflußt war,  sind ihre Aufsätze eine nüchterne und sachliche Analyse des Aufbaus der Marine nach 1919 und des Seekriegs 1939–1945 auf allen Meeren bis zur Kapitulation 1945. Naturgemäß hob  die Marineführung auch die große Bedeutung des Seekriegs für die Gesamtkriegführung heraus, während Hitler und die Wehrmachtsführung weitgehend in kontinentalem Denken befangen waren. Hierin sahen die Admirale eine wesentliche Ursache für das Scheitern Deutschlands. Aber die „bornierte Einstellung des deutschen Oberkommandos und die fatalen Folgen der Unterdrückung jeder fachmännisch abweichenden Meinung“ erregte den Zorn der Autoren. So war denn auch der Einfluß der Marine auf Hitler und die Wehrmachtführung vergleichsweise gering. Ein Krieg gegen die Sowjetunion wurde von Großadmiral Raeder und der Marineführung klar abgelehnt, weil er die Seekriegführung gegen Großbritannien schwächte und zu einem Zweifrontenkrieg geführt hat, dem Deutschland auf Dauer nicht gewachsen sein konnte.

Natürlich ist es unvermeidlich, daß die Aufsätze auch Schwächen aufweisen. Sie rühren daher, daß sie „aus dem Gedächtnis und ohne Hilfe durch Unterlagen geschrieben“ wurden, wie Großadmiral Dönitz in seinem Vorwort betont. So war die zur Verfügung stehende Zeit „von zwei Wochen“ (Vizeadmiral Weichhold) sehr knapp bemessen. Auch die äußeren Umstände, unter denen die Autoren ihre Arbeiten verfassen mußten, waren sehr belastend. Trotzdem kommt den Aufsätzen der Admirale hohe dokumentarische Bedeutung zu, vermitteln sie doch einzigartige Einsichten in die deutsche Seekriegführung und das Denken einiger ihrer wichtigsten Admirale.

Kritisch anzumerken ist lediglich, daß es sich bei der deutschen Ausgabe um eine Rückübersetzung der englischen Übersetzung aus dem Jahr 1945 handelt, weil die deutschen Originale „nicht auffindbar“ seien, wie George Henry Bennett am 9. Juni 2009 mitgeteilt hat. Das dürfte der Grund für einige Fehler sein, bei denen es sich nur um Übersetzungsfehler handeln kann, da sie den Autoren mit Sicherheit nicht unterlaufen sein werden. So war Admiral Boehm nicht „Oberbefehlshaber der Flotte“, sondern Flottenchef. An der Spitze der Kriegsmarine stand auch keine „deutsche Admiralität“, sondern die Seekriegsleitung.  Auch wird ständig von der „Wehrmacht“ gesprochen, wenn das Heer gemeint ist. Das führt dann zu der putzigen Aussage, das „Oberkommando der Wehrmacht“ habe unter dem Einfluß der „Wehrmacht“ gestanden. Hier fehlte ganz offensichtlich ein fachkundiger Übersetzer. Aber das schmälert den Wert des Buches nur unwesentlich. Die Aufsätze sind eine zeitgeschichtliche Quelle ersten Ranges, nicht nur für marinegeschichtlich Interessierte.

George Henry Bennett, Roy Bennett: Hitlers Admirale 1939–1945. Verlag Mittler & Sohn, Hamburg 2009, gebunden, 240 Seiten, Abbildungen, 24,90 Euro

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