© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  08/10 19. Februar 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Sehnsucht
Karl Heinzen

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz am vorvergangenen Wochenende hat sich Außenminister Guido Westerwelle für eine Stärkung der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU ausgesprochen und als Ziel den Aufbau einer Europäischen Armee benannt. An gleicher Stelle machte sich sein Pendant im Verteidigungsressort, Karl-Theodor zu Guttenberg, für die Nato stark und erklärte das in ihr immer noch übliche Einstimmigkeitsprinzip zu einer „gepflegten Absurdität“, die es in Teilbereichen zu überwinden gelte.

So forsch beide Minister auch auftraten, wirklich Neues haben sie nicht in Diskussion hineingetragen. Die Idee einer Europäischen Armee stand schon in den frühen 1950er Jahren auf der Tagesordnung. In jüngster Zeit haben sich Sozialdemokraten mit ihr zu profilieren versucht. Auch Vorstöße, die auf qualifizierte Mehrheitsentscheidungen in der Nato zielten, gab es immer wieder einmal. Die simple Tatsache, daß sie halt bloß ein Bündnis sich als souverän betrachtender und nicht überstimmbarer Staaten ist, ließ dergleichen aber stets als wenig durchdacht erscheinen.

Wenn man sie für bare Münze nähme, könnten die Wortmeldungen beider Minister als Ausdruck eines deutschen Gestaltungswillens auf internationalem Parkett mißverstanden werden. Wahrscheinlicher ist, daß das genaue Gegenteil das eigentliche Motiv darstellt. Regierung und Parlament sind seit Jahren von einer immer stärker werdenden Sehnsucht getragen, politische Entscheidungen wo immer möglich in andere Hände zu legen. Auf vielen Gebieten hat sie sich bereits erfüllt. Erscheint das Grundgesetz in irgendeiner Weise berührt, steht das Bundesverfassungsgericht mit Entscheidungen zu sehr konkreten Fragen helfend zur Seite. In den Bereichen Wirtschaft und Soziales engen die Konjunktur, der globale Markt und die prekäre Haushaltslage die Spielräume zur Politikgestaltung bis nahe der Handlungsunfähigkeit ein. In der Gesetzgebung wird zu einem Großteil nur noch das exekutiert, was die EU dankenswerterweise vorgibt.

Allein auf den Feldern der Außen- und Sicherheitspolitik ist die Bundesrepublik noch weitgehend sich selbst überlassen. Zwar wird sie nicht müde zu betonen, daß sie hier keine eigenen Interessen verfolgt und sich nur im Rahmen internationaler Institutionen bewegen möchte. Jemand, der abschließend die Verantwortung für Berlin übernähme, hat sich aber noch nicht gefunden. Würden Westerwelles und Guttenbergs Vorschläge aufgegriffen, käme man diesem Ziel einen bedeutenden Schritt näher.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen