© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Tauwetter zwischen Kiew und Moskau
Ukraine: Der neue Präsident Janukowytsch ist nicht der pro-russische Politiker, wie er in den westlichen Medien oft dargestellt wird
Alexander Rahr

Viktor Janukowytsch hat die Stichwahl um das Präsidentenamt mit 3,5 Prozent Vorsprung gewonnen (JF 7/10). Unisono attestierten die internationalen Wahlbeobachter, daß diesmal die Abstimmung – anders als 2004 vor der orangenfarbenen Revolution – fair und frei verlief. Die westlichen Staatschefs gratulierten dem Wahlsieger – und legitimierten so seine Wahl zusätzlich. Sie taten dies eher zähneknirschend, denn der künftige Präsident steht für eine engere Annäherung an Rußland und ist gegen eine ukrainische Nato-Mitgliedschaft. Doch an der demokratischen Mehrheitsentscheidung des ukrainischen Volkes ist nicht zu rütteln.

Oder etwa doch? Die smarte Regierungschefin Julia Tymoschenko will sich mit ihrer Niederlage nicht abfinden, über den haltlosen Vorwurf der Wahlfälschung versuchte sie eine Neuauflage der orangenfarbenen Revolution zu erzwingen und hoffte auf eine dritte Wahlrunde. Der Verwaltungsgerichtshof in Kiew nahm ihre Wahlbeschwerde an und hob vorige Woche das amtliche Endergebnis vorläufig auf. Da die Richter aber die Forderung nach nochmaliger Überprüfung der Wählerlisten ablehnten, zog sie ihre Klage wieder zurück. Dennoch werde sie Janukowytsch auch nach seiner Vereidigung nicht als rechtmäßigen Präsidenten der Ukraine anerkennen. Damit diskreditiert sie sich als Demokratin. Sie sollte zivilisiert abtreten und die parlamentarische Opposition gegen Janukowytsch organisieren.

Doch auch mit Janukowytsch als Präsidenten sind die ukrainischen Zwistigkeiten keineswegs zu Ende. Nach der orangenfarbenen Revolution wurde die ukrainische Verfassung dahingehend verändert, daß große Teile der Macht des Präsidenten an das Parlament abgegeben wurden. Die Ukraine sollte sich von einer autoritären Präsidial- zu einer Parlamentsrepublik umwandeln. Der Regierungschef, von der Mehrheitsfraktion gestellt, sollte neben dem Präsidenten die Exekutive leiten. Diese Machtaufteilung funktionierte aber nicht. Tymoschenko versuchte ständig, Präsident Viktor Juschtschenko zu entmachten. Das interne Machtgerangel führte zum regelrechten Krieg der beiden Revolutionshelden. Letztlich profitierte Janukowytsch von der Selbstzerfleischung.

Um politische Stabilität im Land zu schaffen, muß der neue Präsident das Machtgefüge wieder einrenken. Es wäre ihm zu wünschen, daß ihm die Errichtung einer funktionierenden Gewaltenteilung gelingt. Zunächst muß er Tymoschenko absetzen – das kann er nicht ohne Einwilligung des Parlaments. Die Legislative ist heute zwischen Janukowytsch und Tymoschenko zweigeteilt. Keiner besitzt dort eine Mehrheit. Vorgezogene Parlamentswahlen würden die Lage kaum verbessern, denn die Ukraine ist eine gespaltene Nation: Im Osten und Süden, wo Janukowytsch überwältigende Mehrheiten erhielt, fordert die Bevölkerung enge Beziehungen zu Rußland. Im Westen des Landes, wo man sich überwiegend mit den liberalen Idealen der orangenfarbenen Revolution identifiziert, wollen die Menschen weg von Rußland und rein in Nato und EU.

Juschtschenko wurde im Westen der Ukraine auf Händen getragen und im Osten beschimpft. In Charkow, Donezk, Lugansk oder auf der Krim stimmten 71 bis 90 Prozent für Janukowytsch. In den Westbezirken lag er hingegen unter zehn Prozent. Wie soll er als Staatschef den Spagat schaffen, beide Landeshälften wieder zusammenzuführen? Zudem sind die wirtschaftlichen Probleme des zweitgrößten Flächenstaats Europas noch größer als die politischen. Laut Internationalem Währungsfonds bewegt sich die Ukraine seit Ausbruch der Finanzkrise am Rande des Staatsbankrotts. Der Westen hat dem Land mit zwölf Milliarden Euro an Krediten unter die Arme gegriffen, fordert jedoch von der ukrainischen Führung zügigere Reformen und einen verstärkten Kampf gegen die ausufernde Korruption. Ausländische Investoren haben das Land fluchtartig verlassen. Hinzu kommt die katastrophale Energieabhängigkeit der Ukraine von Rußland. Nachdem Kiew Jahr für Jahr die milliardenteure Gasrechnung nicht bezahlen konnte, schaltete Moskau seinem Nachbarland immer wieder das Gas ab – Leidtragender waren stets die Europäer. Juschtschenko nahm die bequeme Opferrolle an und bat den Westen um Schutz vor den bösen Russen, nachdem er sie selbst provozierte.

Die Hoffnung ist groß, daß es unter dem Rußland freundlicher gesinnten Janukowytsch nicht mehr zu neuen Gaskriegen kommt. Der neue Präsident will nicht die EU gegen Rußland ausspielen, sondern setzt auf die Gründung eines internationalen Gaskonsortiums, dem ukrainische, russische und westeuropäische Energiekonzerne angehören sollen. Alle drei Seiten sollen in die Modernisierung des veralteten ukrainischen Transitpipelinesystems investieren, es unterhalten, den Gastransport von Ost nach West kontrollieren und an ihm gemeinsam verdienen. Die politische Vernunft erfordert die Unterstützung und rasche Umsetzung dieser Idee durch die EU und Rußland.

Der Westen sollte auch keine Angst vor einer Rückkehr der Ukraine nach Rußland haben. Janukowytsch ist nicht der pro-russische Politiker, wie er in den westlichen Medien oft dargestellt wird. Natürlich möchte sich der neue Präsident Vorteile von einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Rußland verschaffen, die sein Vorgänger Juschtschenko aus falschem Dogmatismus ignorierte. Auch kann Janukowytsch die Ukraine nicht in die Nato zerren, wenn etwa 60 Prozent seiner Landsleute strikt gegen diesen Schritt sind. Janukowytsch und die milliardenschweren ostukrainischen Oligarchen, die ihn unterstützen, wollen ebenfalls eine starke, souveräne Ukraine – am liebsten neutral eingebettet zwischen EU und Rußland.

Die EU wäre gut beraten, zur Beruhigung der Lage in Osteuropa die Tauwetterperiode in den Beziehungen der beiden großen ostslawischen Länder zu unterstützen. Letztendlich brauchen beide, Rußland und die Ukraine, zum eigenen Überleben eine strategische  Modernisierungspartnerschaft mit der EU.

 

Alexander Rahr ist Programmdirektor Rußland/Eurasien in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (www.dgap.org).

Foto: Janukowytsch: Nur im Osten und Süden der Ukraine anerkannt

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