© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Das Phantom zwischen den Zeilen
Angst vor dem Licht: Eine Monographie lüftet das Grabtuch über dem Nosferatu-Darsteller Max Schreck
Harald Harzheim

Kabul, 2008: Beim Ablichten afghanischer Kriegsszenarien entdeckt US-Fotograf Stanley Greene eine lichtscheue „Junkie-Kreatur“, zurückgezogen in ihrer Höhle. Greene fotografierte und kommentierte später: „Wenn man dieses Bild anschaut, entdeckt man das Böse – das Böse, das ihr angetan wird. Ich begriff, daß es das Licht war, dieser Lichtstrahl, der den Mann von mir trennte. Er hatte Angst vor dem Licht. Er war Nosferatu.“

Nicht Dracula, nicht einfach „Vampir“, sondern – Nosferatu. Greenes Vergleich zeigt, daß der Blutsauger aus F. W. Murnaus gleichnamigem Stummfilmklassiker einen festen Platz im visuellen Weltkulturerbe besitzt. Und mit ihm jener, der ihn verkörpert hat: der Schauspieler Max Schreck – ein Name so passend wie seine hagere Gestalt. Zugleich so unbekannt, so vergessen, daß er mit seiner Schöpfung verschmolz: Im englischen Film „Shadow of the Vampire„ (2000) spielt Willem Dafoe seinen Kollegen Max Schreck als realen Vampir. Der wird – der Authentizität wegen – vom Regisseur für die Graf-Orlock-Rolle in „Nosferatu“ engagiert. Seine Gage: Er darf nach dem Dreh die schöne Hauptdarstellerin aussaugen (…) Auch Klaus Kinskis Kreation im „Nosferatu“-Remake (1978) oder Reggie Nalders Vampir in „Salem’s Lot“ (1979) entstanden in direkter Anlehnung an Schrecks Vorbild. Der Filmhistoriker Siegfried Kracauer glaubte, daß die „Einbildungskraft der Deutschen“ nach dem Ersten Weltkrieg immer wieder zu solchen Tyrannenfiguren wie Caligari, Nosferatu und schließlich zu Hitler gefunden habe.

Solch enorme Präsenz in der Medienwelt, die Erhebung zum Spiegel deutscher Sehnsüchte, all das macht die Frage dringlich: Wer war dieser geheimnisvolle Max Schreck?

Stefan Eickhoff hat das Grabtuch ein wenig gelüftet und einen beeindruckenden Faktenberg über den großen Unbekannten zusammengetragen: über einen passionierten Schauspieler, der über 725 Theaterrollen interpretierte – meistens Nebenparts, oft genug Abseitige oder „Freaks“, obskure Randfiguren, wie sie auch seine Filmkarriere dominierten.

Eickhoffs Studie als „Biographie“ zu bezeichnen, trifft die Sache nicht. Dafür ist zu wenig von Schrecks Persönlichkeit überliefert. Als Phantom, als Untoter wandelt er zwischen den Zeilen. Da der 1879 Geborene besondere Sensibilität für Landschaft und Umgebung zeigte, rekonstruiert Eickhoff mittels Fotos und Beschreibungen dessen Lebensräume. Wir erfahren weniger, wer Schreck war, als wo er war. Das wirkt wie die Präsentation leerer Bühnenbilder nach dem Tod der Akteure. So führt uns der Autor durch Schrecks Geburtsort Berlin-Tiergarten, dann nach Friedenau, der Stätte seiner Kindheit, schließlich zu den zahlreichen Stationen seiner Theatertourneen: zur kleinen Provinzbühne im Kurort Freudenstadt beispielsweise, direkt auf einem Friedhof errichtet.

Schrecks Repertoire, rekonstruiert anhand alter Programmzettel, reicht von zeitlosen Klassikern wie Shakespeare bis zu Vergessenem wie der „Rabensteinerin“ von Wildenbruch. Schreck war ein hagerer Riese. Auf die Frage „Wie verbringen Sie Ihre freie Zeit?“ antwortete der junge Mime: „Mit Wachsen. Auch künstlerisch.“ 1915 attestierte ihm ein Rezensent „schreckhafte Eindringlichkeit“, wenn er – mit „supermagerem Geiergesicht“ – Molières „Geizigen“ spiele, als „verdorrte Seele, die dem dämonischen Trieb verfallen ist“.

Leider hat der Biograph kaum Verständnis für Schrecks obskure Seiten. Wenn der zum Beispiel Zigaretten zum vollständigen Nahrungsersatz erhob, denunziert Eickhoff sie zeitgeistkonform als „trügerische Trostspender“. Die anarchische Splatterkomödie „Mysterien eines Frisiersalons“ (1923) von Bertolt Brecht und Karl Valentin mit Schreck als Friseurkunden – sie ist ihm keine Erwähnung wert. Selbst die gemeinsame Bühnenproduktion mit dem Duo Brecht/Valentin, der „Abnormitätenwirt“, erfährt keine nähere Beschreibung.

Schreck gelangte an die wichtigsten Häuser seiner Zeit, nach München und Berlin, unter Otto Falckenberg, Max Reinhardt oder Leopold Jessner. Im Film wie auf der Bühne agierte er neben Stars wie Lucie Mannheim („Hanneles Himmelfahrt“), Paul Wegener („Ramper, der Tiermensch“) und Elisabeth Bergner („Donna Juana“). Als Schreck 1936 – unerwartet und kurz vor einem Bühnenauftritt – verstarb, da konnte er von seiner Auferstehung als „Nosferatu“ noch nichts ahnen. Nach der Enttarnung als illegale Verfilmung von Bram Stokers „Dracula“-Roman hatte dessen Witwe für die Vernichtung aller greifbaren Kopien gesorgt. Jahrzehntelang nur als Fragment erhalten, ist das Juwel erst seit kurzem restauriert und in voller Länge zu bewundern.

Das große Plus der Biographie sind die zahlreichen Bühnenfotos mit Max Schreck. Sein wildes Make-up und der expressive Ausdruck sind purer Balsam in einer Zeit, wo „Lindenstraßen“-Realismus und untertriebenes „Method Acting“ à la Robert de Niro den ästhetischen Standard bilden.

Stefan Eickhoff: Max Schreck. Gespenstertheater. Belleville Verlag, München 2009, gebunden, 575 Seiten, 39 Euro

Foto: Max Schreck als Nosferatu: Spiegel deutscher Sehnsüchte

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