© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Das Fremde als Fetisch
In der Ausstellung „Wilde Welten“ stößt Piefigkeit auf spielerischen Unernst
Fabian Schmidt-Ahmad

Wer nachvollziehen will, wie sehr unser Denken bereits vom Multikulturalismus als höchster Form des allgemeinen Werterelativismus bestimmt ist, kann dies bei  einem Besuch der Ausstellung „Wilde Welten“ im Berliner Georg-Kolbe-Museum erleben. Denn lange bevor in Deutschland eine xenophile 68er-Bewegung das Fremde als Fetisch entdeckte, hatte man sich schon an die ästhetisch-künstlerische Auseinandersetzung mit fremden Kulturen gemacht.

Dabei wird der Einfluß der „primitiven Kunst“ auf die klassische Moderne nur als Teilaspekt behandelt. Umgekehrt ist die Blickrichtung, wenn im Abschnitt „Der Künstler als Ethnograph“ Emil Noldes skizzenhaft aquarellierte drei Porträtköpfe von Eingeborenen der Südsee gezeigt werden. Der bekannte Protagonist des deutschen Expressionismus wurde in der NS-Zeit mit einem Malverbot belegt. Heute paßt etwas anderes nicht.

Die Blätter entstanden während einer Südsee-Expedition des Reichskolonialamtes, an der Nolde und seine Frau Ada 1913 teilgenommen hatten und „bei der er unter anderem idealtypische Rassenporträts zeichnete, die zwischen Ablehnung des wilhelminischen Kolonialismus und der Annahme einer europäischen Rassenideologie changieren“, wie es im Ausstellungstext heißt. Tatsächlich war es nur Noldes unvoreingenommene Betrachtung fremder Rassen, die sich beispielsweise in den schönen, aus Holz geschnitzten und teils farbig gefaßten, kleinen balinesischen Tänzerinnen niederschlug.

Überhaupt zeigt sich der Kontrast am schärfsten in der Konfrontation der selbst in der Gebrauchskunst qualitativ hochwertigen Kunstobjekte mit ihren moralinsauren, zeitgeistbeladenen Beschriftungen, die häufig zu unfreiwilliger Komik führen. Der Sarotti-Mohr beispielsweise steht objektiv betrachtet für gutes Design und niveauvolle Werbung. Dem attraktiven Holzaufsteller, auf dem der Sarotti-Mohr ein Tablett für Schokolade hält, ist der Text zugefügt: „Die seit dem Barock in Europa übliche Darstellung des ‘Mohren-Dieners’ wird auf die Spitze getrieben, indem der Mohr als Objekt präsentiert wird, das dem Kunden wirklich ‘zu Diensten’ ist.“

Für einige der Künstler, wie eben auch Nolde, dürfte es keine neue Erfahrung sein, ihre Werke mit derart schauderhaften, dümmlichen Hinweisen ausgestellt zu sehen. Solch piefige Verklemmtheit kann nicht zu dem spielerischen Unernst der künstlerisch produktiven Zeit der 1920er Jahre finden, die hier in alten Fotografien, Illustrationen, Plakaten bis hin zu den ästhetisch reizvollen Ravensburger Spielen wiedergegeben wird.

Besonders hübsch illustriert ist das – trotz „rassistischen Gehalts“ bekannte – fröhliche Kinderbuch „10 kleine Negerlein“ von Irma Graeff. In der oberen Leiste stehen einfache Rechenaufgaben für Schulanfänger. Das Büchlein endet mit dem Vers: „Ein kleines Negerlein wird ein Negermann. Er hatte bald 10 Kinderlein, jetzt geht’s von vorne an.“

Verspielt auch die blecherne Sparbüchse aus den 1920er Jahren: Wenn man auf den Knopf drückt, rollt ein Negerkopf mit den Augen und streckt die Zunge heraus, damit man seine Sparpfennige darauf legt und er diese schlucken kann. „Drückst Du den Hebel nieder, zeig ich die Zunge Dir, Gibst Du mir Geld zu schmecken, Machst Du Dein Glück mit mir.“

Ein anderer Ausstellungsbereich hat „Das Fremde im Alltag – Exotismus“ zum Thema. Dazu gehören alte Fotos von der Deutschen Kolonialausstellung 1896, die im Rahmen der Gewerbeausstellung in Berlin-Treptow stattfand. Zur Illustration wurden in Treptow „Lebenswelten“ der Kolonien aufgebaut, ein Neuguinea-Dorf zum Beispiel oder ein Arabischer Hof.

Die dunkelhäutigen, eigens angeworbenen Statisten kamen aus den Kolonien und lebten für ein halbes Jahr in nachgebauten Hütten auf dem Ausstellungsgelände. Sie führten ihr Leben als Alltag in Afrika vor. Dazu gab es Bootswettfahrten auf der Spree, Tänze, Trommelveranstaltungen und Darbietung exotischer Rituale. Auch damals dienten „Events“ neben der Information bereits der Vermarktung.

Die beiden letzten Räume beherrschen, chronologisch geordnet, Plastik und Grafik. „Sehnsucht nach dem Ursprung“ und „Suche nach der Form“ heißt das Motto, das sich ganz dem Expressionismus widmet. Wie stark die Beziehung zur durch Expeditionen und Präsentation der ethnologischen Museen neu entdeckten Kunst aus Afrika und der Südseeinseln war, läßt sich leicht aus den archaisierenden, reduzierten Formen der Arbeiten ablesen.

Um eine eindrucksvolle Rarität  handelt es sich bei Ernst Ludwigs Kirchners Vier-Tageszeiten-Spiegel mit dem 1914 aus Arvenholz geschnitzten Rahmen. Die die Tageszeiten symbolisierenden Figuren nehmen Elemente der Kunst der Südsee auf. Zuletzt hing der Spiegel in Kirchners Haus in Davos.

Im zweiten Raum findet man Arbeiten unter anderem von Hermann Haller, Georg Kolbe, Otto Freundlich und anderen namhaften Künstlern. Hübsches Beiwerk sind alte Fotos der strahlenden Josephine Baker in ihrem berühmten, glitzernden Bananenröckchen: aus heutiger Sicht neben Rassismus wohl auch gleich Ausdruck von Sexismus.

Die Ausstellung „Wilde Welten. Aneignung des Fremden in der Moderne“ ist bis zum 5. April im Berliner Georg-Kolbe-Museum, Sensburger Allee 25, täglich außer montags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 030 / 30 42 144, Internet: www.georg-kolbe-museum.de. Der Katalog mit 144 Seiten kostet 19 Euro.

Fotos: Orientalischer Mohr linkslaufend (Sarotti-Mohr), Plakat Julius Gipkens, Lithographie auf Papier, 1928: Niveauvolle Werbung; Fritz Behn, Tanzender Afrikaner, Bronze 1911: Exotismus

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