© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Unvereinbare vor dem Kamin
Wolfgang Martynkewicz porträtiert im „Salon Deutschland“ die spätwilhelminische Boheme und ihre Sehnsucht nach der neuen Zeit
Baal Müller

Selten widerlegt ein Autor auf über 600 Seiten die Ankündigung des Klappentextes derart gründlich: Mit Hitlers Auftreten sei der großbürgerliche Salon zu einem Schauplatz geworden, „an dem das Unvereinbare zusammenkam: eine kunstsinnige Elite und die radikale Rechte“, so führt Wolfgang Martynkewicz in seinem „Salon Deutschland“ doch anhand vielerlei, oft erstaunlicher Diffusionen vor, wie dünn und durchlässig die Membran nicht nur zwischen „Geist und Macht 1900–1945“, so der Untertitel seines Werkes, gewesen ist.

Der deutsche Salon schlechthin war über vier Jahrzehnte hindurch der des Münchner Verlegers Hugo Bruckmann, der ein bildungsbürgerliches Publikum  mit opulenten Kunstbänden sowie mit Schriften wie Houston Stewart Chamberlains „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ bediente, und seiner umtriebigen Frau Elsa, deren klangvoller Mädchenname Cantacuzène auf ihre – gerne hervorgehobene und darum zuweilen bespöttelte – Abstammung von einem byzantinischen Kaiser zurückgeht.

Bekannt oder berüchtigt ist der Bruckmannsche Salon namentlich aufgrund drei seiner Gäste: des Germanisten Norbert von Hellingrath, der hier am Vorabend des Ersten Weltkriegs seine Deutung der Deutschen als „Volk Hölderlins“ entwickelte und den Dichter als Ahnherrn des „Geheimen Deutschland“ präsentierte; des Mysterienforschers Alfred Schuler, der unter Elsa Bruckmanns mäzenatischen Fittichen seine legendären Vorträge „Vom Wesen der Ewigen Stadt“ hielt; und des aufstrebenden Hitler, der in Trachtenjoppe und Kniebundhose seiner „Kampfzeit“ ein bourgeoises Publikum sowohl befremdete als auch in zunehmendem Maße faszinierte.

Hatte Hugo Bruckmann, der als nüchterner Geschäftsmann eher im Hintergrund blieb, einen ausgeprägt unternehmerischen Riecher für die intellektuellen Moden seiner Zeit, so besaß seine Gattin die Fähigkeit, Persönlichkeiten wie Hugo von Hofmannsthal, Rainer M. Rilke, Heinrich Wölfflin, Hermann Graf Keyserling, Rudolf Kassner, Harry Graf Kessler oder Ludwig Klages zusammenzuführen, unter denen, bei aller Unterschiedlichkeit, der (post-)nietzscheanische Typus des Kulturphilosophen dominierte.

Von der Beschreibung der im Hause Bruckmann erstmals vorgestellten, heute oft zeitbedingt erscheinenden, damals als revolutionär empfundenen Paradigmen zehrt die erste Hälfte des Buches, in der es dem Autor gelingt, die unterschiedlichen Charaktere anschaulich zu schildern, während die philosophischen Positionen zuweilen etwas oberflächlich referiert werden – alle waren irgendwie auf der Suche nach Ganzheit, entwickelten eine Physiognomik, die als leiblicher Ausdruck des Seelischen Kohärenz in einer unübersichtlich gewordenen Welt stiften sollte, wurden vom Untergang des Abendlandes umgetrieben und suchten diesen durch die Besinnung auf die Antike oder die Inspiration durch fernöstlichen Geist aufzuhalten. Positiv sticht vor allem die ausführliche Darstellung von Hellingrath heraus, dessen jugendlich-genialischer Geist zum ersten Mal wirklich faßbar wird.

In der zweiten Hälfte gewinnen die Ausführungen immer mehr an Plastizität, was sicher mit der Politisierung des „schöngeistigen“ Milieus zusammenhängt; parallel zu dieser wich die offene Salonkultur einer – in den Ganzheitsdiskursen angelegten, nicht aber durch diese bewirkten – dezisionistischen Tendenz. Die Probleme sollten nun nicht länger diskutiert, sondern radikal gelöst werden; und vor allem Elsa Bruckmann sah darin die Aufgabe des erhofften neuen Führers. Dessen politische Phantasien führt Martynkewicz auf künstlerische Motive zurück: Das zu errichtende germanisch-deutsche Großreich ist als ästhetisches Gebilde für ein Publikum entworfen, das in ferner Zukunft staunend vor seinen gewaltigen Ruinen stehen soll.

Von diesen Wunschbildern aus wird sowohl die Verbindung zu Kunstreligion, Genie-Ästhetik und Todeskult des bürgerlichen Zeitalters deutlich als auch die Linie sichtbar, die zum Opfer von Volk und Gegenwart auf dem Altar „geschichtlicher Größe“ führt. Bei aller Verehrung für den „Führer“ haben die Bruckmanns diese Tendenz mit wachsendem Unbehagen gespürt, und doch konnten ihre Sorgen immer wieder zerstreut werden, da sie Hitler allzu lange durch eine gründerzeitlich-nationalstaatliche Brille sahen und über dessen anfängliche Erfolge seine dämonische Maßlosigkeit verkannten.

Erfreulicherweise verzichtet Martynkewicz auf zwanghafte „Entrüstung“. Obwohl er die Parteinahme des einflußreichen Verlegerehepaars für die Nationalsozialisten, Hugo Bruckmanns politisches Engagement als Reichstagsabgeordneter und finanzieller Förderer der NSDAP sowie die Hitler-Leidenschaft seiner Frau hinreichend deutlich macht, enthält er sich der Moralisierung und Pauschalisierung – als freier Autor und Dozent steht er eher am Rande des Wissenschaftsbetriebs – und läßt die Abschattungen und Übergänge hervortreten: Bruckmann verhinderte als Vorstandsmitglied des Deutschen Museums die Entfernung von Büchern jüdischer Autoren, der „Antijudaist“ Klages erscheint als dezidierter Hitler-Gegner, und für eine „konservative Revolution“ sind so unterschiedliche Geister wie Hofmannsthal und Langbehn eingetreten. Das angeblich Unvereinbare kam eben überall zusammen.

Wolfgang Martynkewicz: Salon Deutschland. Geist und Macht 1900–1945. Aufbau Verlag, Berlin 2009, gebunden, 617 Seiten, 26,95 Euro

Foto: Elemente der Salonkultur in Hitlers Reichskanzlei: Vom Untergang des Abendlandes umgetrieben

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