© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Frisch gepresst

Revision. Zum Alltagsgeschäft des Historikers gehört die permanente Überprüfung und meistens auch die „Revision“ von dem, was Gesellschaften zwecks Identitätssicherung aus ihrer „Vergangenheit“ formen. Für kaum einen anderen Kulturwissenschaftler bestätigt sich daher bei jedem Quellenstudium Heraklits Weisheit: „Alles fließt.“ Für bundesdeutsche Historiker ist der alte Grieche aber seit dreißig Jahren kein Ahnherr mehr – wenigstens soweit sie sich um die „Aufarbeitung“ der deutschen Geschichte zwischen 1933 und 1945 bemühen. Wer hier die betonierten, geschichtspolitisch mit maximalem medialen Aufwand im kollektiven Gedächtnis verankerten Bilder revidieren möchte, handelt sich das Verdikt „Revisionismus“ ein, mit dem Lenin einst alle Sozialisten außerhalb seiner bolschewistischen Partei zum Abschuß freigab. Wer Elmar Schepers großen Essay über „Hitler, Deutsche und Juden“ (Lynx-Verlag, Gauting 2009, gebunden, 263 Seiten, 25 Euro) in die Hand nimmt, muß nicht lange blättern, um zu erkennen, daß der Verfasser in einem derart vorgezeichneten Spielfeld den „Revisionisten“ umstandslos zugerechnet wird. Er weist auf Tatsachen hin, die man hierzulande besser verschweigt – wie etwa die Zahl, die Juden als eine „Minderheit“ (vierzig Prozent) unter den Opfern in Auschwitz ausweist. Und es gibt Autoren wie Rassinier, Stäglich, Walendy&Co., die man besser nicht zitiert. Dabei muß man Schepers allerdings den Vorwurf machen, sich allzu unkritisch auf diese oft recht schlampig arbeitenden „Revisionisten“ zu stützen – wie überhaupt viel von ihm zitiertes Material aus der Presse oder aus mindestens fragwürdigen Quellen und reichlich angejahrten Darstellungen stammt. Die Anregung, „Axel Springers Rolle im Dritten Reich müßte näher beleuchtet werden“, hat Hans-Peter Schwarz inzwischen in seiner magistralen Verleger-Biographie aufgegriffen – mit einem Schepers vermutlich enttäuschenden Resultat.

 

Aufrührer. Lenin hatte unrecht. Sein Befürchtung, daß deutsche Revolutionäre vor der Erstürmung eines Bahnhofs sich erst einmal eine Bahnsteigkarte kaufen würden, kann der Kölner Historiker Alain Felkel gar nicht teilen. Und so zählt er uns Volk von Beharrlich-an-der-roten-Ampel-Stehern eine ganze Flut von historischen Begebenheiten auf, die seine These stützen, daß der Aufruhr ein Meister aus Deutschland ist. Angefangen bei Hermann dem Cherusker führt seine flott erzählte, populärwissenschaftlich aufbereitete Beweisführung über Widukind, den „Bundschuh“, Vinzenz Fettmilch  und die Märzaufständischen bis zu den Leipziger Helden Anno 1989. Ausgerechnet der 20. Juli findet bei ihm allerdings keinen Platz (Aufstand. Die Deutschen als rebellisches Volk. Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 2009, gebunden, 608 Seiten, 22,99 Euro).

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