© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  09/10 26. Februar 2010

Die Kommunistische Gefährdung der Verfassungsordnung
Auf dem Weg in eine neue DDR?
von Ute Scheuch

Sind wir auf dem Weg in die „DDR light“? Wir stecken wieder, wie in den Zeiten des Kalten Krieges, mitten in der Auseinandersetzung, ob wir Rechtsextremismus ebenso energisch bekämpfen wie Linksextremismus. Mit dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ schien sich das zu ändern, als der Begriff „Totalitarismus“ eine „ungeahnte wissenschaftliche Renaissance“ erlebte, so der Politikwissenschaftler Eckhard Jesse. Doch heute gibt es selbst unter Wissenschaftlern keinen Konsens darüber, was überhaupt unter den Extremismusbegriff fällt. Jesse ist zuzustimmen, daß dies „inkonsequent“ ist; denn damit werden alle diejenigen gut erfaßt, die den demokratischen Verfassungsstaat offen oder verdeckt bekämpfen. Jesse zufolge sei es „verkehrt gewesen, die Analogien zwischen rechten und linken Diktaturen herunterzuspielen“.

Vor allem Marxisten und Kommunisten versuchten schon in der frühen Bundesrepublik, von den Gemeinsamkeiten zwischen „linken“ und „rechten“ Bewegungen und Staaten abzulenken. Bei vielen Wählern waren seinerzeit die Nationalsozialisten mit ihren sozialpolitischen Versprechungen, ihren antikapitalistischen Teilen der Agitation und ihrer gleichzeitigen Mischung von rechts- und linksextremistischen Inhalten besonders erfolgreich. Das hindert linke Autoren nicht daran, die törichte Kommunisten-These zu vertreten, der Nationalsozialismus sei gleich dem „Faschismus“ und schlummere im Kapitalismus, womit sie das gesamte kapitalistische und bürgerliche System in die Nähe des „Faschismus“ rücken. Als Mittel zur Überwindung des Kapitalismus empfehlen sie dann häufig ausgerechnet das, womit Sozialisten die DDR ruiniert haben.

Hier muß aber auch an das Versagen führender Politiker im wiedervereinigten Deutschland erinnert werden: Sigmar Gabriel als neuer SPD-Vorsitzender griff auf, daß die SPD unter Bundeskanzler Gerhard Schröder die Finanzmärkte dereguliert und „die Hürden für Heuschrecken“ gesenkt hat. Bekanntlich saßen auch Politiker in den Aufsichtsgremien der Landesbanken, die ebenso milliardenschwere Verluste wie andere Finanzinstitute erlitten, für die heute die Steuerzahler ebenso aufkommen müssen wie für das Wegräumen der DDR-Ruinen.

Daß es nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich extremen rechten und nicht linken Kräften gelang, nennenswerte Erfolge zu erzielen, ist vor allem begründet durch den Anschauungsunterricht mit dem real existierenden Kommunismus in der SBZ/DDR und dem 1950 durch die kommunistische Aggression Nordkoreas ausgebrochenen Koreakrieg. Noch im November 1945 war das Meinungsklima anders: Sehr viel mehr Deutsche hatten sich in einer Umfrage für ein kommunistisches als für ein NS-Regime ausgesprochen. Und so lassen sich die Wahlerfolge der Sozialistischen Reichspartei (SRP) in den fünfziger und der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) in den sechziger Jahren auch nicht damit begründen, ihre Anhänger seien gefährliche Rechtsextremisten gewesen.

Die Mehrheit der SRP-Wähler glaubte der Partei, sie bemühe sich um soziale Verbesserungen, und im gleichen Maße wie die Bevölkerung allgemein lehnte sie Kriegspolitik und Diktatur ab. Sie erinnerten sich des Hitler-Regimes als eines anfänglich besonders entwickelten Wohlfahrtsstaates, und das erschien im Elend der unmittelbaren Nachkriegszeit positiv – und wurde unerheblich, nachdem sich das demokratische System der Bundesrepublik auch hierin als überlegen erwiesen hatte.

Die Wähler der NPD wiederum kennzeichnete neben einer eher ideologischen Orientierung als „rechts“ vor allem das Motiv Protest; denn diese Partei verdankte ihren Erfolg auch der 1966 geschlossenen Großen Koalition, die allerlei Protestbewegungen wie die gegen die Notstandsgesetze oder die Achtundsechziger-Explosion des Linksextremismus hervorrief. Die Sozialforscher Erwin K. Scheuch und Hans Dieter Klingemann konnten führende Politiker davon überzeugen, eine Attacke auf die Wähler als Neonazis sei abträglich für ihre eigene Glaubwürdigkeit.

Wie sehr sich die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR bemühte, mit destruktiven Agitationen die Bundesrepublik als „faschistisch“ beeinflußten Staat zu „entlarven“, wurde nach der friedlichen Revolution aus den Akten offenbar. Günter Bohnsack und Herbert Bremer, langjährige HVA-Mitarbeiter, packten aus, wie in ihrer Abteilung Personalakten führender westdeutscher Politiker und Industrieller aus der NS-Zeit auf belastendes Material durchsucht wurden. Mal mußten sie die Akten „lüften“, also entlastendes Material beseitigen; oder aber die Akte wurde „je nach Maßgabe ‘vervollständigt’ durch Dokumente aus eigener Fertigung“. Erinnert sei an die Kampagne gegen Bundespräsident Heinrich Lübke, den die HVA mit gefälschten Bauplänen für Baracken zum „KZ-Baumeister“ aufgebaut hatte.

Mit dem Fall der Mauer endeten die Angriffe aus der DDR nicht: So gelang es dem zum Ministerpräsidenten der DDR aufgestiegenen SED-Politiker Hans Modrow als Meisterstück seiner diskreditierten Partei, die Bürgerrechtsbewegung in eine „Regierung der Nationalen Verantwortung“ einzubinden und sie mit der Schaffung des Zentralen Runden Tisches auf das alte und nun auch neue Feindbild einzuschwören: den Rechtsextremismus. Damit hatte er den Grundstein legen können, zumindest die „antifaschistische“ Tradition der DDR zu sichern, wie sie im August 1989 das Mitglied in der Akademie der Wissenschaften beim ZK der SED, Otto Reinhold, formuliert hatte: Die DDR sei „nur als antifaschistischer (…) Staat, als sozialistische Alternative zur BRD denkbar“.

Auf kaum einem anderen Feld dürften Linksextremisten im wiedervereinigten Deutschland so erfolgreich sein wie in ihrer „antifaschistischen“ Ausgrenzung von „Rechten“. Ausgerechnet die Linkspartei schaffte es, in den Landtagen der neuen Länder, wo ihr ein extremes Pendant von der rechten Seite entgegentritt, eine geschlossene „Einheit der Demokraten“ zusammenzuschmieden – in der Regel unter Einschluß der Christdemokraten.

Diese Einseitigkeit spiegelt sich auch in der empirischen Sozialforschung wider: Zwischen 2002 und 2009 wurden lediglich 181 Studien zum Linksradikalismus, aber 966 zum Rechtsradikalismus durchgeführt! Eindeutig fällt dagegen das Urteil des Bundesverfassungsschutzes 2004 über den Extremismus aus; der Linksextremismus  sei „unbestreitbare Realität“, so der damalige Innenminister Otto Schily. Und die zuständige Referentin im Ministerium beklagte, der Linksextremismus werde zu Unrecht in Wissenschaft und Publizistik seit vielen Jahren ignoriert. Linksextremisten hätten „durch ihre teilweise virtuos unter Beweis gestellte Fähigkeit, demokratische Organisationen zu unterwandern, mehr Einfluß, als man annehmen könnte“.

Schilys Nachfolger Wolfgang Schäuble ließ 2005 verbreiten, die Zahl „linksextremistischer“ Straftaten sei stets niedriger als die Zahl „rechtsextremistischer“; bei der politisch motivierten Gewaltkriminalität aber hielten sich die Zahlen in etwa die Waage. Unter den „rechtsextremistischen“ Straftaten entfallen übrigens etwa 75 Prozent auf „Propagandadelikte“ – also NS-Verherrlichung. Seit Anfang 2008 werden nun sogar Hakenkreuz-Schmierereien in der Statistik erfaßt, selbst wenn der Täter nicht zu ermitteln ist. Und so ließ sich im November 2008 ein neuer Höchststand errechnen: Innerhalb eines Jahres waren die rechtsextremistisch motivierten Delikte um 29,6 Prozent angestiegen. Ist es wirklich abwegig zu unterstellen, daß auch Antifaschisten die verbotenen NS-Symbole unter das Volk bringen? Schneller lassen sich rechtsextremistische Straftaten ja nicht in die Höhe treiben.

Bedenklicher ist allerdings die Unverfrorenheit, mit der das Schlagwort vom „Extremismus der Mitte“ für alles mißbraucht wird, was sich nicht explizit „links“ gibt. Als eigentlicher Kronzeuge für die Unterstellung, der Rechtsextremismus reiche bis in die Mitte der Gesellschaft, gilt vor allem Wolfgang Gessenharter, Professor an der Universität der Bundeswehr in Hamburg, der auf diese Weise sowohl CDU-Politiker als auch Redakteure der Welt und der FAZ in dessen Nähe rücken kann.

Vergleicht man links- und rechtsextremistische Gruppen, so ergibt sich ein widersprüchliches Bild. Linksextremisten waren in den alten Ländern vor dem Aufkommen der Linkspartei bei Wahlen meist erfolgloser als rechtsradikale Parteien. Als Gründer von Organisationen waren sie dagegen stets viel effektiver. Entscheidender aber ist der Einfluß ihrer Sympathisanten insbesondere in den Institutionen des Kommunikations-, Bildungs- und Kulturbetriebs mit dem Erfolg, daß heute linksextremistische Positionen – ungeachtet des Stalinismus und Maoismus – nicht in dem gleichen Maße delegitimiert sind wie rechtsextremistische durch den NS-Staat.

Die beängstigende Folge dieser Machtpositionen von Linksextremen ist, „daß die Gefahr der Verharmlosung der kommunistischen Diktatur auch heute noch besteht“, so Karl Wilhelm Fricke, einer der bekanntesten DDR-Forscher. Längst seien linksdoktrinäre Geschichtsrevisionisten am Werk und versuchten, „mit Hilfe von Lügen und Halbwahrheiten ihr altes Deutungsmonopol zurückzuerobern“.

War die DDR überhaupt ein „totaler“ Unrechtsstaat? Diese Frage verneinte der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern, der aus Westdeutschland übergesiedelte SPD-Politiker Erwin Sellering. Und eher selbstverständlich lehnte Sahra Wagenknecht als Mitglied im Bundeskoordinierungsrat der Kommunistischen Plattform 2009 die Charakterisierung der DDR als Unrechtsstaat ab. 1992 ging sie soweit, die Mauer ein „notwendiges Übel“ zu nennen. Im übrigen sei die DDR „ein besserer Staat als die BRD“ gewesen.

Im September 2009 durfte Daniela Dahn als Gast im WDR-Presseclub auftreten – die Publizistin lehnt eine Analogie zwischen den beiden deutschen Diktaturen im 20. Jahrhundert ab. Der Nationalsozialismus werde verharmlost, setze man ihn mit DDR-Verbrechen gleich. Auch für Bodo Ramelow als Bundestagsabgeordneter der Linken verbietet sich „ein Vergleich zwischen der DDR und den Greueln der NS-Diktatur“. Es habe „in der DDR keine Millionen ermordeter Menschen aus rassistischen Gründen gegeben“. Auch seien „verbrecherische Angriffskriege von der DDR … nicht begonnen worden“. Beides stimmt. Doch es hat existenzvernichtenden Terror gegen unliebsame Gesellschaftsschichten gegeben wie auch Mord und Folter an politischen Gegnern. Und die sehr wohl vorhandenen Pläne für einen kriegerischen Angriff auf die Bundesrepublik ließen sich angesichts der Stärke des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses nur nicht realisieren.

Artikel 17 des Einigungsvertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR begründet im übrigen die Berechtigung dieses Vergleichs, indem er die angemessene Entschädigungsregelung der „Opfer des SED-Unrechts-Regimes“ vorschreibt – eine Formulierung, die der in der Bundesrepublik üblichen Bezeichnung „NS-Unrechts-Regime“ entsprach.

Vielleicht stehen wir an einer Zeitenwende: Mit der Vorlage einer Studie des Berliner Verfassungsschutzes, die links begründete Gewalttaten in der Zeit von 2003 bis 2008 aufzeigt, hat dessen Leiterin Claudia Schmid im November 2009 zur Ächtung linker Gewalt aufgerufen. Nun, die schwarz-gelbe Koalition hat beschlossen, in Zukunft gegen  jede Art von Extremismus vorzugehen.

Erwin K. Scheuch und ich schrieben 1996: „Durch eine Reglementierungswut sondergleichen werden Wirtschaft und Politik schwerste Schäden zugefügt. Vorangetrieben wird die schleichende Umfunktionierung Deutschlands durch die ‘political correctness’ als Tugendterror der Gutmenschen gegen die Bösmenschen, der Antifa-Bataillone gegen die ‘reaktionären Konservativen’. Dabei bildet das religiös-ethische Vakuum die beste Voraussetzung dafür; so ist die früher religiös gebundene Verfolgung des Unmoralischen in die säkularisierte Gesellschaft eingedrungen.“ Unsere Warnung: Die Bundesrepublik begibt sich auf den Weg zur „besten DDR, die es je gab“ – mit Mecker- und Reisefreiheit. Seitdem sind 13 Jahre vergangen – und alles ist eher schlimmer geworden: Das ist aber dennoch ein Weg, den man selbstverständlich aufhalten kann.

 

Dr. Ute Scheuch, Jahrgang 1943, studierte Soziologie, Psychologie, Geschichte, Pädagogik und Erwachsenenbildung. 1988 promovierte sie in Soziologie an der Universität Köln. Bis 1998 arbeitete sie als Medienwissenschaftlerin bei der Deutschen Welle und war leitende Mitarbeiterin in verschiedenen Projekten der empirischen Sozialforschung. Der hier abgedruckte Text ist ein Auszug aus einem Vortrag, gehalten am 9. Dezember 2009 vor der Münchner Winterakademie der Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung.

Foto: Die „BRD“ als große „DDR light“ im Zeichen von Hammer und Zirkel im Ährenkranz: Die Bundesrepublik begibt sich auf den Weg zur „besten DDR, die es je gab“ – mit antifaschistischer Einheitsfront gegen Rechts und mit Mecker- und Reisefreiheit

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