© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Eine Frage des Respekts
Bundeswehrsoldaten am Pranger: Versagen von Politik und Medien
Michael Vollstedt

Fragt man Soldaten, was sie über ihre Situation denken, kann man ernüchternde Antworten erwarten. Das zeigen zwei Themen, die jüngst Schlagzeilen lieferten, nämlich das erweiterte Mandat für den Afghanistan-Einsatz und die Disziplin bei unseren Gebirgsjägern. Zwischen beiden gibt es eine Verbindung, auch wenn es nicht gleich so scheint.

Ob die neue Afghanistan-Strategie ein Erfolg wird, bleibt abzuwarten. Aber dies steht fest: Unseren Soldaten wird weiterhin alles abverlangt werden – als tapfere und durchsetzungsfähige Kämpfer, handlungs- und rechtssicher, souverän in kritischer Lage ebenso wie im komplizierten internationalen Umfeld. Und als gute Ausbilder für die afghanische Armee wie auch als versierte Helfer in der zivil-militärischen Zusammenarbeit. Indessen ist über acht Jahre nach Operationsbeginn der Rechtsstatus der Soldaten immer noch unklar – ein fundamentales Versagen der Politik!

Erst wenn der Bundesgerichtshof über Oberst Klein urteilt, weiß man, was im Einsatz als Straftatbestand gilt oder ein zulässiges militärisches Vorgehen ist. Und dann das: Zu Weihnachten verkündet Bischöfin Margot Käßmann, daß der Afghanistan-Einsatz selbst bei weitester Auslegung nicht mit der evangelischen Lehre vom Christentum vereinbar ist. Das Herz der Bischöfin war da nicht bei den betroffenen Soldaten und ihren Familien. An diese dachte sie ebensowenig wie die Bundestagsfraktion der Linken, die geschlossen gegen das Mandat stimmte und Namen von afghanischen Opfern des Nato-Luftangriffs vom 4. September in die Höhe hielt. Namen unserer gefallenen Soldaten wurden nicht genannt.

Solche Schlaglichter zeigen nie das ganze Bild. Dennoch: Unsicherheit der politischen Führung hier, weltanschaulich begründete Ablehnung dort sind zwei Kennzeichen der Situation, in der sich die Soldaten wiederfinden und in der Fragen nach dem Rückhalt für ihren Einsatz nicht verstummen. Sie richten sich an die Politik und an die Mitbürger, um deren Sicherheit vor islamistischem Terror es schließlich geht. Sie betreffen aber auch die Bundeswehr selbst und deren Führung.

Mit der Zeit hat sich für die Truppe in Afghanistan vieles verbessert, aber eine konsequentere Ausrichtung auf die tatsächlichen Einsatzerfordernisse erscheint doch noch nötig. Oder ist es richtig, wenn ein Kommandeur die eigenen Aufklärungsdrohnen in kritischer Lage nicht einsetzen kann, weil deren „Piloten“ die in der Luftfahrt geltenden Ruhezeiten einhalten sollen?

Gewiß ist dies eines der lösbaren Einzelprobleme, es paßt jedoch in den größeren Zusammenhang: Hätte die höhere Führung nicht früher reagieren können, als Kundus ein Schwerpunkt des Taliban-Terrors wurde, als die dort eingesetzte Truppe für die notwendige Aufklärung der Lage, die Präsenz in der Fläche und die zivil-militärischen „reconstruction“-Aufgaben nicht mehr ausreichte? Man wüßte gern, welche Meldungen und Berichte geschrieben wurden, welche Weisungen daraufhin ergangen sind und ob die Truppe das Gefühl hatte, bis hinauf zum Verteidigungsministerium verstanden zu werden.

Themenwechsel: Eilmeldung im Nachrichtensender, große Schlagzeilen, eine erfundene Meldung der Deutschen Presseagentur, eine Serie von Zeitungs- und Fernsehberichten – weswegen? Bei einem Gebirgsjägerzug soll es außer Dienst Aufnahmerituale gegeben haben, mit zuviel Alkohol und derbem mitmenschlichen Umgang. Die nach solchen Vorgängen übliche Entrüstung und Abscheu blieb diesmal aber kraftlos und kam vor allem aus der politischen Linken, die ohnehin auf die Bundeswehr verzichten will.

In der Rückschau auf 42 Dienstjahre und mit viel Erfahrung als Disziplinarvorgesetzter ist es mein Fazit, daß sich niemand für die Leistung und den Gemeinschaftsgeist unserer Truppe schämen muß. Nur selten wurde ein Eingreifen wegen grober Verfehlungen oder Ausschweifungen nötig, und Aufnahmerituale waren nicht dabei. Allerdings hatten und haben Vorgesetzte es mit zwei Entwicklungen zu tun, deren Beherrschung nicht so einfach ist: die Verhaltensweisen, die aus der zivilen Gesellschaft natürlich in die Truppe hineingetragen werden, und gruppendynamische Vorgänge, die in der engen soldatischen Gemeinschaft auch notwendig sind, aber in die richtigen Bahnen gelenkt werden müssen. In der Regel gelingt dies, wobei man die Meßlatte nicht ins Idealistische verschieben soll. Nachsicht kommt nur dem nicht zugute, der dienstliche Autorität mißbraucht oder sie nicht einsetzt, wenn es notwendig ist.

Gehört alles in einen Zusammenhang? Sicher. Es kommt nicht nur darauf an, den Einzelfall von der Regel, dem anerkennenswerten Führungsverhalten der Vorgesetzten, zu unterscheiden. Es muß auch die Randerscheinung vom Wichtigeren unterschieden werden.

Eine Betrachtung aus dem Blickwinkel der Betroffenen hilft dabei. Wo das Leben auf dem Spiel steht wie in Afghanistan, gebührt dem Einsatzauftrag und seiner Erfüllbarkeit die größte Aufmerksamkeit und jeder Vorrang in der öffentlichen Diskussion. Dies ist eine Frage des Respekts für die Soldaten und ihren Dienst.

 

Michael Vollstedt ist Generalmajor a. D.. Er hatte Führungsaufgaben unter anderem als Regiments- und Divisionskommandeur sowie in der Nato.

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen