© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Verzweifelter Kampf um das Leben
Lebensschutz: Wissenschaftler haben Staat und Gesellschaft auf einer Tagung vorgeworfen, mit Täuschungsmanövern das Ausmaß der Abtreibung zu verschleiern
Hinrich Rohbohm

Das Grundgesetz garantiert die Unantastbarkeit der menschlichen Würde. Die parlamentarische Gesetzgebung und die gesellschaftliche Praxis gehen in unserem Land andere Wege“, hieß es in der Einladung zum vom Gemeindehilfsbund in Bad Gandersheim organisierten deutschlandweiten Lebensschutzkongreß. Daß dies nicht nur bloße Behauptungen sind, verdeutlichte am Wochenende auf dem Kongreß vor allem der Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker, der zum Thema „Der verleugnete Rechtsstaat – zur Kultur des Todes in Deutschland“ sprach und vor den „Tarnkappen“ der Politik warnte, durch die der Schutz des ungeborenen Lebens ausgehöhlt werde.

Dazu zählt Spieker das Schwangeren- und Familienänderungsgesetz, daß „keine wirkliche Hilfe für Familien“ darstelle. Auch die Familienberatungsstelle Pro Familia bediene sich „einer Sprache, in der weder Kind noch Embryo vorkommen“. Spieker nennt als Beispiel verbaler Verharmlosung von Abtreibungen den Jugendroman „Intercity“ von Nina Schindler. Dort werde eine Abtreibung mit dem Ziehen eines Zahns verglichen. Auch bei den Sozialleistungen gebe es sogenannte „Tarnkappen“. So gelte Abtreibung heute als staatliche Sachleistung der Krankenkassen, deren Kosten als „Sozialhilfe für Schwangere in besonderen Notsituationen“ von den Sozialministerien der Länder beglichen werden. Und auch bei den Statistiken werde nicht mit offenen Karten gespielt. So liege etwa die Zahl der kassenärztlichen Abrechnungen für Abtreibungen um 50 Prozent höher als die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten Zahlen. Zudem sei 1992 mit der letztlich gescheiterten Abschaffung der Meldungspflicht ein weiterer Versuch unternommen worden, die Zahlen zu schönen.

„Es geht immer nur um das Selbstbestimmungsrecht“, brachte es der Manheimer Theologe Rainer Mayer in seinem Referat „Die Unverfügbarkeit des menschlichen Lebens“ auf den Punkt. Die Autonomie der Frau werde vor die Rechte des ungeborenen Kindes gestellt. Dabei sei gerade das ungeborene Leben der schwächere Teil, den der Staat schützen müsse.

„Ohne Abtreibungen hätten wir heute keine Probleme“

Daß daran selbst in der Kirche kein sonderlich großes Interesse besteht, verdeutlichte der Bremer Pastor Jens Motsch­mann, der nicht mit Kritik an der gegenwärtigen Kirchenführung sparte. „Auch aus der Kirche heraus wurde die Liberalisierung des Paragraphen 218 vorangetrieben“, merkte er an und warf Deutschlands führenden Geistlichen Profillosigkeit vor. Vor allem die Evangelische Kirche verfüge derzeit über keine einheitliche Ethik. „Mit mir haben Sie keinen Unterstützer“, soll etwa der Präsident des EKD-Kirchenamtes, Hermann Barth, den Lebensschützern in einem Gespräch entgegnet haben. Im Verlauf der Diskussion habe er sich „abgewendet“ und sei einfach „gegangen“.

Die Politik handle verantwortungslos, war man sich auf dem Kongreß einig. Es sei nicht mehr nachzuvollziehen, daß der Staat jedes Jahr 40 Millionen Euro zur Finanzierung von Abtreibungen ausgebe, statt das Geld für die Unterstützung von Kindern und Familien einzusetzen. Bis zu 130.000 Abtreibungen würden offiziellen Zahlen zufolge in Deutschland jährlich vorgenommen. Doch die Dunkelziffer dürfte weitaus höher ausfallen, sind sich Lebensschützer sicher. Zwischen 5 und 9,5 Millionen ungeborene Kinder seien seit den siebziger Jahren in Deutschland getötet worden.

„Ohne Abtreibungen hätten wir heute kein demographisches Problem“, sagte ein Teilnehmer. Und die nicht abgetriebenen Kinder hätten heute wohl selbst Nachwuchs. Wenn das Statistische Bundesamt demnächst die Geburtenzahlen für 2009 bekanntgeben wird, hat die Zahl der Neugeburten einer Schätzung des Amtes zufolge mit rund 660.000 einen neuen historischen Tiefstwert in der Bundesrepublik erreicht.

Weitere Informationen im Internet unter  www.gemeindehilfsbund.de 

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