© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Blitzableiter Deutschland
Griechenland: Auf die Bürger kommen schwere Zeiten zu, denn das kreditfinanzierte Leben ist nun endgültig vorbei
Hans Christians

Wie sich die Zeiten ändern: Nachdem Griechenland 1999 trotz Bedenken der Euro-Zone beitreten durfte, wurden die Hellenen für ihr folgendes kleines Wirtschaftswunder gelobt. Noch 2009 lag Griechenland beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit 30.305 Dollar pro Kopf auf Rang 26 der Weltrangliste – vor Israel oder Neuseeland, und nur knapp hinter Spanien. Doch Aufschwung und Wohlstand waren kreditfinanziert – mit etwa 300 Milliarden Euro steht allein der griechische Staat bei meist ausländischen Gläubigern in der Kreide. Doch die sind nervös geworden, denn das sind etwa 26.000 Euro für jeden der 11,5 Millionen Griechen. In Deutschland sind es hingegen „nur“ etwa 20.000 Euro pro Einwohner.

Das südeuropäische Land sieht sich daher einer bedrohlichen Staatskrise ausgesetzt (JF 8/10), die nach Einschätzung von Premier Giorgios Papandreou sogar geeignet sein könnte, die Souveränität des Landes zu gefährden. Am Montag reiste der EU-Währungskommissar Olli Rehn nach Athen und forderte noch größere Anstrengungen zum Abbau des Staatsdefizits – es müsse innerhalb eines Jahres von 12,7 Prozent um vier Prozentpunkte gesenkt werden.

Möglicherweise sind die Hellenen dem Abgrund schon näher, als dies Papandreou und seine sozialistische Regierung wahrhaben wollen. Vorige Woche hatte die Rating-Agentur Fitch die Kreditwürdigkeit Griechenlands von „A-“ auf „BBB+“ herabgestuft – der mittelfristige Ausblick für die Entwicklung der Staatsfinanzen mache Sorgen. Und es drohen weitere Abstufungen – griechische Anleihen sind nur noch mit höheren Zinsen absetzbar, was noch höhere Schuldenaufnahmen erfordert, um diese Zinsen zu bezahlen. Die Euro-Zone hat damit ein gewaltiges Glaubwürdigkeitsproblem, denn die Probleme waren absehbar. Der Euro ist daher inzwischen von knapp 1,50 auf 1,35 Dollar gefallen.

Nachdem die konservative Vorgängerregierung jahrelang die Defizitzahlen schöngerechnet hatte, kam nach dem Regierungswechsel im Herbst 2009 die Wahrheit ans Licht. Doch schon 2008 lagen die Griechen mit 8,8 Prozent über der Maastricht-Defizitgrenze von drei Prozent des BIP. Sanktionen aus Brüssel gab es praktisch keine – angesichts der Weltfinanzkrise war auch die Haushaltsdisziplin in Paris oder Berlin vorbei. Erst im vergangenen Monat beschloß die EU-Kommission, den griechischen Haushalt unter EU-Kontrolle zu stellen – da wurde an den Finanzmärkten, wo die griechischen Staatsanleihen plaziert werden, schon längst gegen Griechenland und die Euro-Zone spekuliert.

„Griechenland soll seine Hausaufgaben machen“

Wie die griechische Sparpolitik funktionieren soll, weiß niemand. Vorige Woche legte erneut ein Generalstreik das öffentliche Leben Griechenlands weitgehend lahm – doch das Dolce Vita auf Pump ist vorbei. Alle zwei Monate soll der griechische Finanzminister nun in Brüssel zum Rapport antreten. Sollten keine Sparerfolge sichtbar werden, behält sich die EU Sanktionen in Form von Geldstrafen vor – eine rein theoretische Drohung. Die Begeisterung, von EU-Seite aus mit Bürgschaften oder gar Finanzspritzen in das griechische Chaos hineinzuregieren, hält sich in Grenzen. In Deutschland droht sogar eine neue Verfassungsklage wegen möglicher Verstöße gegen den Maastricht-Vertrag, der die Grundlage für die Währungsunion ist (siehe den Kommentar auf Seite 2).

Bundeskanzlerin Angela Merkel hofft und spielt auf Zeit: „Der Euro ist in seiner sicherlich schwierigsten Phase seit seinem Bestehen. Die nächsten Schritte müssen gründlich überlegt werden.“ Ungeachtet anhaltender Medienspekulationen über ein 30-Milliarden-Rettungspaket unter französisch-deutscher Führung schloß sie Milliardenhilfen aus Deutschland offiziell aus: „Wir können Griechenland im Augenblick dadurch am besten helfen, daß wir deutlich machen: Griechenland soll seine Hausaufgaben machen.“ Am Freitag steht dennoch ein Treffen mit Papandreou in Berlin auf ihrem Programm. Gesprächsstoff gibt es inzwischen mehr als genug – auch jenseits der Finanzkrise.

Denn in jeder Krise wird ein Sündenbock gesucht, der von den eigenen Fehlern ablenken kann. Diese Rolle soll Deutschland offensichtlich spielen. Eine Steilvorlage lieferte vorige Woche das Münchner Magazin Focus, das mit der Venus von Milo mit ausgestrecktem Mittelfinger neben dem Schriftzug „Betrüger in der Euro-Familie“ titelte. In einem polemischen Artikel unter der Überschrift „2.000 Jahre Niedergang“ wurde zudem den heutigen Griechen abgesprochen, echte Nachfahren der antiken Griechen zu sein – das brachte das Faß zum Überlaufen.

Es folgten Aufrufe zum Boykott deutscher Waren und Handelsketten, die in Griechenland – dank der Euro-gefüllten Taschen der Verbraucher – gut vertreten sind. Die Bevölkerung wisse, daß „sehr, sehr schwere Zeiten auf sie zukommen“, erklärte Vizeaußenminister Dimitris Droutsas. Wenn man in dieser Situation „nur Kritik hört und das Gefühl bekommt, man erhalte nicht die notwendige und gewünschte Unterstützung, dann kommen manchmal Emotionen hoch, die zu Mißverständnissen führen“. Fast 6,7 Milliarden Euro hatten deutsche Firmen 2009 dank des Euro in dem südeuropäischen Land abgesetzt.

Doch die Export-Situation ist auch ohne Boykott-Aufrufe wegen der Finanzkrise sehr angespannt. Tochterfirmen von deutschen Unternehmen berichten übereinstimmend von „merklicher Zurückhaltung“ der Konsumenten. Der deutsche Botschafter in Griechenland, Wolfgang Schultheiss, beeilte sich zwar zu versichern, daß das Focus-Bild nicht die Meinung der deutschen Politik wiedergebe, doch der Zorn der Griechen ist erregt: „Wer solche Freunde hat, braucht vor seinen Feinden keine Angst mehr zu haben“, entgegnete eine griechische Verbraucherorganisation. Auch die NS-Vergangenheit wird – speziell von der konservativen und linksgrünen Opposition – bemüht, um deutsche Zahlungsverpflichtungen anzumahnen.

Die Bundesregierung mußte daher erneut Vorwürfe zurückweisen, die Entschädigungszahlungen für den Zweiten Weltkrieg seien nicht vollständig geklärt. Die stellvertretende Regierungssprecherin Sabine Heimbach bekräftigte die Position, wonach Deutschland seinen Reparationsverpflichtungen nachgekommen sei: „Alles andere ist Unsinn.“

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