© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Spielbälle im Kalten Krieg
„Groß ist der Ruhm“: Eine Leipziger Ausstellung zeigt Sport als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln
Sebastian Hennig

In Hölderlins Nachdichtung hebt Pindars achte olympische Ode an: „Mutter, o du des goldgekrönten Kampfspiels, Olympia, / Der Herrscherin der Wahrheit, wo ahnende Männer / Aus heiliger Flamme schließend, / Erfahren von Zeus, dem hellblitzenden, / Wenn etwa er hat ein Wort von Männern, strebend nach großen Tugenden, im Gemüte zu empfangen / Und der Mühen Umatmung.“ Ganz anders tönt das Erich-Honecker-Zitat am Eingang zur Ausstellung. Und doch ist seine Aussage völlig korrekt: Der Sport ist noch nie Selbstzweck gewesen, sondern immer diente er als Mittel zum Zweck. Pindar besingt die Tyrannen der groß-griechischen Stadtstaaten. Er feiert die Stattlichkeit und Körperkraft des Hieron von Syrakus, indem er den Bericht von seinem Sieg mit dem Rennpferd auf das mythische Wettrennen des Pelops mit dem König Oinomaos bezieht.

„Der Zirkus Sarrasani will einen Elefanten“

Eine Vielzahl von Sport-Reliqien, Dokumenten und Aufzeichnungen aus dem Deutschen Rundfunkarchiv veranschaulicht im Leipziger Zeitgeschichtlichen Forum das bizarre Turnier zwischen Politik und Sport. Auf jeder der beiden zwanghaft geschiedenen Seiten hatte man hinreichend mit sich selbst zu kämpfen, so daß die Konfrontation der Systeme im Sport zwar hervorgekehrt wurde, aber weitgehend von dem sportimmanenten Widerstreit zwischen Körperkraft und Serum, Eigenwillen und Kollektiv, Mensch und Mechanik überdeckt wurde. Das politische Gefälle war da nur der Katalysator. Den Reichssportabzeichen schliff man das Hakenkreuz ab. In Kempten wurde erst 2005 ein Carl-Diem-Weg durch das Überkleben eines Buchstabens in Karl-Diem-Weg umgewidmet: wenig ehrenvoll für den Widmer wie für den einst verfolgten Gewerkschafter, dessen pure Namensgleichheit mit dem Sportfunktionär sein Andenken als Entnazifizierungsmaßnahme empfahl. Wie so oft hat man im Ausland von der innerdeutschen Migräne weit weniger mitbekommen.

Eine Unmenge subtilster Erwägungen prägte den Versuch gemeinsamer Olympiamannschaften in den Jahre 1956–68. Die Trikolore mit den weißen olympischen Ringen veranlaßte Adenauer zu der Replik: „Wenn Sie jetzt die olympischen Ringe in die Fahne reinmachen, dann kommt der Zirkus Sarrasani und will einen Elefanten und die Metzgerinnung will mit einem Schweinskopf auf die Fahne.“ Die sanfte Unterspülung der Hallstein-Doktrin, die eine Anerkennung der DDR durch Drittstaaten als unfreundliche Handlung gegen die Bundesrepublik ansah, durch die Sportgemeinschaft behagte ihm gar nicht. Das Ende der deutsch-deutschen Sportbeziehungen wurde schließlich auch von den westdeutschen Sportlern heimlich begrüßt, da sie im Hinblick auf die zentralistisch organisierten „Medaillen-Kollektive“ zunehmend geringere Chancen in den Vorentscheidungen hatten. Später wurden dann in der DDR selbst Spiele mit BRD-Mannschaften als „Internationale Begegnungen“ angezeigt.

Eine Empfehlung für Sprachpuristen bietet die Zeitschrift practic aus dem Jahr 1974 indem sie titelt: „Brettsegeln – eine neue Sportart“. Die Versportlichung des Arbeitslebens, wie sie heute allgegenwärtig ist, findet sich in einer Regelung des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) festgelegt: „Die leistungssportliche Entwicklung ist in der Regel nicht durch Schwangerschaft zu unterbrechen.“ Im Vorfeld der Münchner Olympiade 1972 wurden zur Erfolgsmaximierung nur noch Sportarten mit hohem Medaillenertrag gefördert. Das hinderte den Minister für Staatssicherheit nicht daran, eigens für die von ihm protegierten Eishockey-Mannschaften eine grotesk ungleichgewichtige Meisterschaft aufrechtzuerhalten. Als Verteidigungsminister machte Helmut Schmidt ebenfalls mobil und verfügte 1970 einen Erlaß zur Spitzensportlerförderung in der Bundeswehr.

Hollywood-Filme im DDR-Trainingszentrum

Das Trainingszentrum Kienbaum bei Berlin verfügt über die weltweit größte Unterdruckhalle. Für die Wassersportler konnten extreme Höhenbedingungen simuliert werden. Mit Hollywood-Schinken, die nie im Progress-Filmverleih erschienen sind, wurden die Sportler bei Laune gehalten. Bis kurz vor die Auslandsturniere wurde chemisch manipuliert. Eine genaue Kontrolle stellte sicher, daß die Rückstände im Körper auf ein Niveau abgebaut waren, das Nachprüfungen standhielt. Qualitativ gab es in beiden Teilstaaten kaum einen Unterschied. Der bestand nur im Umfang. In der DDR wurde die Vergiftung systematisch betrieben. Aber der unbekümmerte Pragmatismus des heutigen Bundesfinanzministers Wolfgang Schäubles bekundet sich, als er 1977 im Sportausschuß zugesteht, man solle Mittel „nur sehr eingeschränkt und nur unter der absolut verantwortlichen Kontrolle der Sportmediziner“ verwenden, da in einigen Sportarten „ohne den Einsatz dieser Mittel der leistungssportliche Wettbewerb in der Weltkonkurrenz nicht mehr eingehalten werden kann“. Sport und Politik dopten unter dem Deckmantel von „Anti-Dopingmaßnahmen“. Das Ganze wurde mit Bundesmitteln gefördert. Und die Praxis forderte auch in der alten Bundesrepublik ihre Todesopfer.

Dieser widerliche Nachgeschmack wird etwas verdünnt durch die Tatsache, daß verkommene Verhältnisse die Folie bilden für die Aufrichtigkeit einzelner. Der Trainer der DLV-Kugelstoßerinnen gab 1972 sein Amt auf, weil er mit sauberen Trainingsmethoden keine Nominierung für die Olympischen Spiele im eigenen Land erlangen konnte. 1963 stellt die Rudertrainerin Johanna Sperling in einem handschriftlichen Brief ihren „Sperlingen“ eindringlich vor: „Ich bitte Euch ganz ernsthaft, kein, aber auch kein einziges Mittelchen zu schlucken, das Eure Leistung angeblich steigert. (…) Erspart es Euch und geht guten Gewissens an den Start, die Nationalhymne klingt dann um so erhebender.“

Ähnliches berichtet ein Bahnradsportler von seinem Trainer, der zwar vor Handgreiflichkeiten gegen seine Schützlinge nicht zurückscheute, ihnen aber deutlich nahelegte: „Jungs, wenn die Euch diese kleinen blauen Pillen geben, schmeißt sie weg.“

Symptomatisch für den Umgang mit der toxikologischen Unterstützung ist das Verfahren um die Tilgung des „vergifteten Rekords“ von Ines Geipel. Ihren Namen ließ sie durch ein Sternchen ersetzen, der 1984 aufgestellte Vereins-Weltrekord über 4 x 100 Meter bleibt aber weiter gültig. Dadurch wird deutlich, wie sehr die Sportler zum austauschbaren Medium inszenierter Ereignisse wurden. Als der thüringische Skitrainer Henner Misersky das Thema anspricht, erhält er Schmähbriefe, in denen ihm Feme angedroht wird: „Quieslinge und Wlassow-Leute und andere schwarze Helfershelfer gab es genug.“

Pindar schließt seinen Preisgesang: „Groß ist der Ruhm allzeit, / Wenn auch dein Preis folget, der herrliche. / Andere über andere kommen / Der Güter, viel sind der Wege / Mit Göttern des Wohlseins.“

Ob der Leistungssport noch einmal auf einen dieser Wege des Wohlseins zurückfinden wird, bleibt fraglich angesichts der vielen Indizien dieser Ausstellung, die eine Kontinuität in der Haltung der Sportfunktionäre bis zum heutigen Tag bekunden.

Die Ausstellung „Wir gegen uns“ ist bis zum 5. April im Zeitgeschichtlichen Forum Leipzig, Grimmaische Straße 6, täglich außer montags von 9 bis 18 Uhr, am Wochenende ab 10 Uhr, zu sehen. Telefon: 03 41 / 22 20-0, Internet: www.hdg.de/leipzig

Fotos: Fahne der gesamtdeutschen Olympiamannschaft 1956–1968: Unterspülung der Hallstein-Doktrin, Oral-Turinabol, das am häufigste verwendete Dopingmittel im DDR-Leistungssport: „Jungs, schmeißt die kleinen blauen Pillen weg“, Plakat zur Ausstellung

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