© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Faszination des Schreckens
Werbung auf Döner-Tüten: Im Dresdner Schloß öffnet die Türckische Cammer
Paul Leonhard

Gleich das erste Ausstellungsbild hat es in sich: Fünf lebensgroße, prachtvoll aufgezäumte, aber reiterlose Araberhengste bäumen sich vor dem Besucher auf, lassen ihn fast zurückprallen. Hinter ihnen zieht sich ein schmaler Gang, gesäumt von Vitrinen voller reich verzierter Schwerter, Säbel, Dolche, Schilder und Harnische, aber auch Fahnen, Gewänder und Gemälde. Die Hauptattraktion ist aber ein riesiges türkisches Dreimastenzelt sondergleichen. Zwanzig Meter lang, acht Meter breit und sechs Meter hoch, vermittelt es einen Eindruck einstiger osmanischer Staatspräsentation.

Was ab Sonntag im Dresdner Residenzschloß als neue Dauerausstellung zu sehen sein wird, ist ein weiteres Glanzlicht sächsischer Sammlungsgeschichte und Kulturpflege. Zum ersten Mal seit 1942 werden die von den Kurfürsten und Königen zusammengetragenen Kunstschätze der Türckischen Cammer gezeigt, eine der ältesten und weltweit bedeutendsten Sammlungen osmanischer Kunst.

Beginnend mit der Zeit Sultan Süleymans I. (1520–1566) reichen die auf knapp 750 Quadratmetern ausgestellten Objekte historisch bis zurück zum Frieden von Karlowitz 1699. Sie berichten von der „Faszination des Schreckens“, wie es Dirk Syndram, Direktor der Rüstkammer der Staatlichen Kunstsammlungen, formuliert. Denn auch in Sachsen zitterte man angesichts der ersten Belagerung Wiens 1529 vor den osmanischen Heeren des 16. Jahrhunderts. Kurfürst Moritz von Sachsen zog in der Folgezeit zweimal an der Spitze sächsischer bzw. kaiserlicher Truppen nach Ungarn.

Beutegut macht trotz erfolgreicher Schlachten aber nur einen geringen Teil der 600 Ausstellungsstücke aus. Die Sachsen seien eben relativ schlechte Soldaten gewesen und hätten sich beim Plündern zurückgehalten, sagt Syndram. Beispielsweise sei 1610 das sächsische Militär befehlsgemäß in den Schanzen geblieben, um einen erwarteten Gegenangriff abzuwehren, während die polnischen Heere schon „Kulturaustausch auf dem Schlachtfeld“ betrieben hätten.

Syndram ist kein Sachse, sondern aus dem Westen nach Dresden gekommen. Und er ist auch kein Historiker. Sonst wüßte er, daß die Sachsen in der Schlacht um Wien 1683 maßgeblich am Sieg über die Osmanen Anteil hatten. Auch das von August dem Starken kommandierte polnische Heer siegte 1698 in Podolien. Trotzdem ist heute wichtig, daß die Schätze der Türckischen Cammer fast alle käuflich erworben wurden oder Geschenke europäischer Herrscher sind.

Eine besondere Faszination ergibt sich aus den vielfach überlieferten Angaben zur Provenienz der orientalischen Schätze. Oberkonservator Holger Schuckelt kann zu vielen Stücken Anekdoten erzählen. Beispielsweise über das Prunkschwert, das der 1574 als Mitglied der kaiserlichen Gesandtschaft nach Istanbul reisende sächsische Adlige Heinrich von Bünau erwarb und – samt einem Spionagebericht über die osmanische Flotte – nach Dresden schickte. Als Geschenk italienischer Fürsten gelangte 1587 eine größere Anzahl orientalischer Prunkwaffen nach Dresden. Und für seine Dienste während des „Langen Türkenkrieges“ (1593–1606) erhielt der Kurfürst Christian II. orientalische Waffen und Reitzeug als Geschenk des Kaisers. Außerdem ließen die sächsischen Herrscher entsprechend der damaligen Mode Prunkwaffen und Harnische nach orientalischem Vorbild anfertigen. Die Ausstellung zeigt eine 1610 in Prag gefertigte Reitgarnitur. Weltweit einmalig ist auch eine Gruppe osmanischer Reflexbögen mit Originalbespannung, deren ältestes Exemplar aus dem Jahr 1586 stammt.

Stück für Stück holten die Wettiner die Pracht des Orients und des osmanischen Hofs nach Dresden. Die Türckische Cammer bildete bereits seit 1614 einen eigenständigen Sammlungsbereich innerhalb der Rüstkammer. Bis 1942 war sie im Dresdner Johanneum ausgestellt, wurde später ausgelagert und nach Kriegsende nach Rußland gebracht. Nach der Rückkehr der Kunstschätze war seit 1959 eine kleine Auswahl in die Rüstkammer in der Sempergalerie zu sehen. Nach 1990 wurde es schließlich möglich, die Kostbarkeiten zu restaurieren. Zwanzig Jahre lang habe man an der Konzeption und dem Erhalt der Objekte gearbeitet, erinnerte Generaldirektor Roth. Die Innenarchitektur übernahm das Architekturbüro Peter Kulka. Wie hart hinter den Kulissen über die richtige Präsentation zwischen Generaldirektor und Architekten gerungen worden mag, deutet Roth nur an. Immerhin: Der jetzt inszenierte „Traum von Tausendundeiner Nacht“ habe ihn überzeugt: „Kulka ist auch ein Meister des Designs.“

Die von Kulka inszenierte Nachtsituation mit Vitrinen aus doppelt entspiegeltem Glas und Glasfaserlicht überzeugt. Sie versetzt den Besucher tatsächlich in eine Stimmung aus „Tausendundeiner Nacht“ und schont insbesondere die fragilen textilen Kunstwerke. Den Besuchern wird ein sehr emotionaler Zugang ermöglicht.

Die Schau sollte zur Auseinandersetzung mit osmanischer Kunst und Kultur anregen und möglichst viele türkische Gäste nach Dresden locken. Deswegen freut sich Martin Roth auch so über den PR-Erfolg seines türkischen Mitarbeiters: Der hat erreicht, daß in Deutschland 4,5 Millionen Döner-Tüten mit dem Ausstellungslogo bedruckt werden: „Ist das nicht genial.“

Die Ausstellung im Dresdner Residenzschloß ist täglich außer dienstags von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon 03 51 / 49 14 2000, Internet: www.skd.museum.de

Foto: Osmanisches Staatszelt in der Türckischen Cammer: Traum von Tausendundeiner Nacht

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen