© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  10/10 05. März 2010

Musikalische Glücksgefühle
Feurig: Carl Reinecke zum hundertsten Todestag
Wiebke Dethlefs

Er war einer der bedeutendsten deutschen Musiker in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: als Komponist, Dirigent, Pianist und Lehrer. Doch wissen die meisten Musikfreunde nichts Genaues mehr über diesen seinerzeit hochgeschätzten Meister. Die Flötisten kennen seine „Undine“-Sonate, und den Harfenisten hat er eins der wenigen Konzerte für dieses Instrument geschenkt. Darüber hinaus ist er im Musikleben nicht mehr präsent.

Der 1824 in Altona geborene Reinecke, der wie Brahms aus ärmlichen Verhältnissen kam, machte jedoch schnell eine Karriere als Pianist und begab sich 1843 nach Leipzig, an Mendelssohns neugegründetes Konservatorium zur Weiterbildung. Etwa ab 1850 leitete er verschiedene deutsche Orchester und hatte ab 1860 als Leiter des Leipziger Gewandhauses 35 Jahre lang eine der bedeutendsten musikalischen Stellungen Deutschlands inne.

Daneben war er bis 1902 Lehrer für Klavier am Leipziger Konservatorium, wo unter anderem Edvard Grieg, Christian Sinding und Felix Weingartner seine Schüler waren. Als Virtuose konzertierte er insbesondere als Mozart-Interpret europaweit und spielte 1905 einige Konzerte auf den Rollen des Welte-Mignon-Pianos ein. Und er schuf ein umfassendes kompositorisches Œuvre von 288 numerierten Werken aller Gattungen; das letzte komponierte er als 84jähriger.

Reinecke war – ähnlich wie Max Bruch oder in Frankreich Camille Saint-Saëns – Klassizist und behielt zeitlebens wie diese Komponisten eine „romantische“ Tonsprache bei, ohne eine stilistische Entwicklung durchzumachen. Insbesondere Mendelssohn und Robert Schumann waren seine musikalischen Hausgötter, und lebenslang hielt er an deren künstlerischer Ästhetik fest.

Wie Bruch geriet er aber schnell nach seinem Tod in Vergessenheit. Sechs Opern, darunter als bedeutendste „König Manfred“, ein Ballett „Nußknacker und Mausekönig“, drei Symphonien, vier Klavierkonzerte und unzählige Kammermusikwerke harren der Wiederauffindung und Würdigung. Denn die melodiöse, wirkungsvolle, auch in den Spätwerken noch ungemein feurige Musik hinterläßt bei Hörern (wenn sie, selten genug, aufgeführt wird) stets Glücksgefühle. Das sollte Grund genug sein, diese vielleicht nicht ganz große, aber sehr gute Musik wieder zu spielen. Zumindest die Symphonien und die Klavierkonzerte gibt es neben einigen Kammermusikwerken auf Tonträgern.

Infos im Internet: www.carl-reinecke.de 

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