© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

„Israel von der Erde tilgen“
Deutschland, Israel, Iran und die Bombe. Der Jerusalemer Historiker Martin van Creveld über ein pikantes Trio
Moritz Schwarz

Herr Professor van Creveld, Merkel droht Iran mit Sanktionen: Beeindruckt Teheran das?

Creveld: Das möchte ich bezweifeln. Nach meiner Einschätzung betrachten die Iraner ihr Nuklearprogramm als eine nationale Frage. Sanktionen würden sie daher nicht beeindrucken, sondern eher dazu führen, daß sie sich um so mehr um Ahmadinedschad scharen.

In einem Aufsatz für die Wochenzeitung „Die Zeit“ haben Sie jüngst mit der Feststellung provoziert, Iran wäre als Nuklearmacht „nicht gefährlicher als Israel oder die USA“.

Creveld: Ja, oder als der sogenannte „Schurkenstaat“ Nordkorea. Immerhin hat letzterer seit Ende des Koreakrieges gegen niemanden mehr Krieg geführt. Das ist mehr, als wir über die beiden anderen Staaten sagen können.

Wie gefährlich sind denn die USA und Israel nach Ihrer Ansicht?

Creveld: Na ja, fragen Sie mal Slobodan Milosevic oder Saddam Hussein. Diese beiden haben erfahren müssen, wie gefährlich die USA sind, wenn ein Land nicht mit den Amerikanern übereinstimmt. Und wenn – denn es müssen noch zwei weitere Voraussetzungen erfüllt sein – das Land erstens militärisch konventionell unterlegen ist und zweitens keine Nuklearwaffen besitzt. Und was die Gefährlichkeit Israels angeht, vielleicht sollten Sie dazu mal die Leute im Libanon oder in Syrien fragen ...  

Also wird die Gefahr, die von einem atomaren Iran ausgeht, übertrieben?

Creveld: Na klar, und das Kalkül dahinter ist doch offensichtlich: Die USA haben stets alles unternommen, um andere davon abzuhalten, in den Besitz der Waffen zu kommen, über die sie selbst längst verfügen. Im Falle Israels ist der Beweggrund ein anderer: Offensichtlich geht es darum, von Ländern wie Deutschland oder den USA Geld und Waffen zu bekommen. Dieses Spielchen spielen die Zionisten nun schon seit hundert Jahren – und zwar mit großem Erfolg, wenn ich das hinzufügen darf.

Und das geben Sie so unbefangen zu?

Creveld: Ich bin Historiker und kann es mir leisten, die Wahrheit so wie ich sie sehe offen auszusprechen. Von einem Regierungsvertreter würden Sie dieses Eingeständnis natürlich nie zu hören bekommen. Israel hat 1981 den Irak und 2007 Syrien angegriffen. In beiden Fällen war die Überraschung entscheidend für den Erfolg. Wundert es Sie nicht, daß wir im Fall Iran nun schon seit Jahren reden und nichts tun? Die Tatsache, daß so lange nur darüber geredet wird, legt den Verdacht nahe, daß es um etwas anderes geht, eben darum Geld und Waffen zu bekommen.

Dann ist Ihnen Frau Merkel ja auf den Leim gegangen.

Creveld: Nein, so ist das nicht. Präsident Bush war vielleicht ein Dummkopf, aber Obama und Merkel sind es bestimmt nicht. Denn die Möglichkeit eines Angriffs kann ja nicht absolut ausgeschlossen werden. Deshalb versucht man, Israel genug Geld und Waffen zu geben, um es davon abzuhalten. Für alle Beteiligten ist das ein höchst delikates Spiel, das sowohl Realpolitik, wie auch Täuschung und Heuchelei einschließt.

2008 sprach Angela Merkel die berühmten Worte, das Existenzrecht Israels sei Teil der deutschen Staatsräson. Fühlen Sie sich von dieser Liebeserklärung berührt?

Creveld: Oh, sie macht mich sehr glücklich. Aber im Ernstfall wären Frau Merkels Möglichkeiten doch wohl sehr begrenzt.

Glauben Sie, daß Deutschland die eigene Existenz riskieren und die Bundeswehr in einen großen Krieg für Israel schicken würde?

Creveld: Natürlich nicht. Offenbar muß ich Ihnen mal den Zweck der Gründung des Staates Israel erklären: Rund 2.000 Jahre konnten die Juden nicht beruhigt schlafen, weil sie sich Sorgen machen mußten, ob oder wer sie denn notfalls schützen würde. Israel wurde gegründet, damit die Juden endlich nachts durchschlafen können – weil sie sich diesbezüglich nun nicht mehr den Kopf zerbrechen müssen. Und übrigens, bei allem Respekt, aber mit Blick auf einen ruhigen Schlaf möchte ich meine Sicherheit von der heutigen deutschen Armee auch nicht abhängig wissen. Israel muß sich auf sich selbst verlassen können. Und falls das Unwahrscheinliche geschehen und Israel der Vernichtung gegenüberstehen sollte, würde es mich nicht überraschen, wenn wir so viel der übrigen Welt mit uns in den Abgrund reißen würden, wie wir nur können.

Was meinen Sie damit?

Creveld: Denken Sie an die Geschichte des jüdischen Helden Samson.

„Der durch seinen Tod (mehr) tötete als zu seinen Lebzeiten“, wie die Bibel berichtet. Was heißt das konkret?

Creveld: Das überlasse ich Ihrer Imaginationsgabe.

Warum irrt Frau Merkel, wenn Sie den Eindruck erweckt, Iran wäre als Atommacht gefährlicher als andere Atomstaaten?

Creveld: Na, was meinen Sie wohl? Ich habe zumindest noch keinen Iran-Experten getroffen, der glaubt, daß Chamenei – der Mann, der im Iran in Wirklichkeit die Fäden zieht –, Ahmadinedschad und das persische Volk im allgemeinen, allesamt irre sind und ihr schönes Land in eine radioaktive Wüste verwandelt sehen möchten.

Sie meinen: Auch bei den Iranern funktioniert das Prinzip der Abschreckung?

Creveld: Ohne Zweifel. Wie überall, so gibt es auch im Iran Wissenschaftler, die sehr genau wissen, was ein nuklearer Krieg für ihr Land bedeuten würde. Und falls doch nicht, würde ich diesen empfehlen, die Ausarbeitung meines guten Freundes Anthony Cordesman, ehemals Mitglied des Nationalen Sicherheitsrates der Vereinigten Staaten, zu lesen. Dort wird erläutert, was Israel mit den Megatonnen-Bomben in seinem Arsenal dem Iran antun könnte. 

Warum will der Iran die Bombe?

Creveld: Vielleicht um Israel anzugreifen? Nein, höchstwahrscheinlich nicht. Das wäre viel zu gefährlich, denn wer Atomwaffen einsetzt, der riskiert, daß sie früher oder später auch gegen ihn eingesetzt werden. Will er seine Nachbarn bedrohen und erpressen? Wahrscheinlich – vielleicht nicht sofort, aber früher oder später schon.

Das beunruhigt Sie nicht?

Creveld: Nein, wer beunruhigt sein sollte, sind die Golfstaaten – und diese sind es auch. Aber sie sind weit weg von Israel, und Israel selbst hat weder ein Interesse noch die Mittel, diesen Staaten entschlossen beizustehen. Also ist das ein Problem, mit dem sich vor allem die USA auseinandersetzen müssen.

Plant Ahmadinedschad nicht einen „neuen Holocaust“?

Creveld: Ich vermute, das würde er nur allzu gerne tun, wenn er nur könnte.

Und auch das beunruhigt Sie nicht?

Creveld: Israel hat, was es braucht, um ihn notfalls abzuschrecken.

In dem „Zeit“-Aufsatz vertreten Sie die Auffassung, daß Ahmadinedschad die Bombe nicht aus Antisemitismus bauen will, sondern billigen ihm rationale Gründe dafür zu.

Creveld: Ahmadinedschad haßt Israel, kein Zweifel. Und ganz sicher würde er nicht zögern, es vom Antlitz der Erde zu tilgen, wenn er nur könnte. Aber dafür baut der die Bombe nicht. Sondern: Seit 2002 hat sich Irans strategische Situation maßgeblich verschlechtert. Denn egal in welche Himmelsrichtung die Mullahs auch blicken – ob nach Nordost, Südost, Süden oder Westen – immer fällt ihr Blick auf US-Truppen, eine Viertelmillion US-Soldaten, um genau zu sein. Aus dem Fall Irak haben die Mullahs zudem zwei Dinge gelernt: Erstens, daß sie mit ihrer Armee keine Chance gegen die US-Truppen haben. Zweitens, daß man es nicht ausschließen kann, daß es einem US-Präsidenten eines Tages gefallen könnte, sie doch anzugreifen. – Na ja, und da sind sie eben auf die Idee mit der Bombe gekommen: Sich mit Atomwaffen auszurüsten ist das einzige, was sie tun können, um das Ungleichgewicht auszugleichen.

Warum werden diese Gründe in den deutschen Medien in aller Regel nicht dargestellt?

Creveld: Was fragen Sie mich? 

Warum nicht? Sie sind der Fachmann: Was vermuten Sie denn?

Creveld: Nein, ich kann nicht für die deutschen Medien sprechen.

Peter Scholl-Latour zitiert Sie gerne mit dem Satz: „Wäre ich Iraner, wollte ich auch die Bombe haben.“

Creveld: Und?

Warum zitieren Deutsche gerne Juden um ihren Argumenten mehr Gewicht zu geben?

Creveld: Na, die Frage hat’s aus deutscher Sicht aber in sich, was? Aber einen Weg zu finden, wie ihr Deutschen mit der Vergangenheit – ich meine den Holocaust – klarkommt, ist euer Problem, nicht meines.

Weiß die deutsche Regierung in der Iran-Frage eigentlich, von was sie spricht, oder überlagert  hier das Bedürfnis nach Vergangenheitsbewältigung eine rationale Außenpolitik?

Creveld: Das vermag ich nicht zu beurteilen, fragen Sie Frau Merkel.

Wird Ihnen eigentlich Ihre entwarnende Haltung gegenüber der iranischen Bombe in Israel nicht übelgenommen?

Creveld: Jüngst hatte ich mehrfach die Gelegenheit, öffentlich zu diesem Thema zu sprechen: Nein, eigentlich nicht. Die Leute reagieren zwar überrascht, aber nicht erzürnt. Ebensowenig wie Ehud Olmert, als ich mit ihm – als er noch Premierminister war – über diese Dinge gesprochen habe.

In der „Zeit“ betonen Sie, die wahre Gefahr für die Region gehe nicht von der iranischen Bombe aus ...

Creveld: ... sondern von einem Angriff auf den Iran, um den Bau seiner Bombe zu verhindern. Sie müssen nur auf die Landkarte des Persischen Golfs, der ölreichsten Region der Welt, schauen, um zu verstehen warum. Solch ein Angriff könnte die Weltwirtschaft in eine Krise stürzen, die schlimmer sein wird, als alle vorherigen zusammen. Und bekanntlich können wirtschaftliche Krisen auch schwere politische und sogar kriegerische Folgen haben.

Wie würde ein Angriff auf den Iran verlaufen und was könnte schlimmstenfalls passieren?

Creveld: Der Iran ist zu groß, um besetzt zu werden, also würde man sich vermutlich auf den Einsatz von Kommando-Einheiten beschränken und ansonsten einen Bombenkrieg gegen ihn führen. Da sind dann verschiedene Strategien möglich, aber keine würde garantieren, daß das iranische Atomprogramm vollständig vernichtet wird. Außerdem ist es gut möglich, daß dadurch ein Krieg Israels mit Syrien oder dem Libanon verursacht werden würde. Und was so ein Krieg für Folgen für den Ölpreis, also für die europäische Wirtschaft und vielleicht auch für die Europäische Union, haben würde, dürfen Sie sich selbst ausmalen.

Wird es dennoch früher oder später zum Angriff auf den Iran kommen? Wenn ja, wann?

Creveld: Ich vertrete seit Jahren die Meinung, daß es dazu nicht kommen wird. Aber es ist nur fair zu betonen, daß ich mich in der Vergangenheit mit meinen Prognosen leider auch schon geirrt habe. Und zudem ist es immer möglich, daß plötzlich doch ein Verrückter an die Macht kommt.

 

Prof. Dr. Martin van Creveld, der israelische Experte gilt als einer der „weltweit führenden Militärtheoretiker“ (taz) bzw. als „einer der renommiertesten Militärhistoriker der Gegenwart“ (Die Welt). Immer wieder erregt er mit unkonventionellen Thesen Aufsehen. So schrieb er etwa zum Konflikt um die iranische Atombombe im International Herald Tribune: „Würden die Iraner nicht versuchen, Nuklearwaffen zu bauen, wären sie doch verrückt!“

Weltweite Bekanntheit erlangte er 1991 mit seinem bahnbrechenden Werk „The Transformation of War“: „Die Zukunft des Krieges“ (Gerling Akademie Verlag). Darin nahm er die Formen des Krieges vorweg, mit denen sich der Westen seit dem 11. September 2001 konfrontiert sieht. Van Creveld beriet die Streitkräfte verschiedener Nationen, darunter auch das US-Verteidigungsministerium.

Sein jüngstes,  2009 erschienenes „faszinierendes“ Buch (Süddeutsche Zeitung) „Gesichter des Krieges“ (Siedler) beschreibt den Wandel bewaffneter Konflikte von 1900 bis heute und gibt einen Ausblick auf die Zukunft des Krieges im 21. Jahrhundert.

Der Historiker an der Hebräischen Universität von Jerusalem wurde 1946 in Rotterdam geboren.

 

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