© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Zünglein an der Waage
Niederlande: Erfolge für Wilders in Den Haag und Almere / Sprungbrett für einen Sieg im ganzen Land?
Mina Buts

Trotz der Titulierung als „Testwahl“ mit europaweiter Berichterstattung spiegelt das Ergebnis der niederländischen Gemeinderatswahlen nur bedingt die politische Stimmung wider: jede vierte Wählerstimme ging auch diesmal an die etwa 650 lokalen Wahlbündnisse. Ein besonderes Augenmerk richtete sich dennoch zum einen auf die islamkritische Freiheitspartei (PVV) von Geert Wilders und zweitens auf die Sozialdemokraten (PvdA), deren Ultimatum zum Abzug der niederländischen Soldaten in Afghanistan die Regierungskoalition mit den Christdemokraten (CDA) und der sozialkonservativen Christenunion (CU) gesprengt hatte (JF 9/10).

Die PVV trat nur Den Haag und Almere an, einer wachsenden Großstadt mit 200.000 Einwohnern zwischen Amsterdam und Utrecht. Obwohl Wilders bei der Europawahl 17 Prozent erreichte, beließ er es nun bei seinem Engagement in zwei von 450 Gemeinden. Er selbst erklärte dies mit der Konzentration seiner Kräfte auf die vorgezogene Parlamentswahl am 9. Juni. Kritiker vermuten allerdings, daß für Wilders die strikte Kontrolle über seine Partei und ihre Mandatsträger Vorrang vor der Mandatszahl habe. Wie erwartet wurde die PVV in Almere stärkste Partei, wobei auch die Wahlbeteiligung mit beinahe 60 Prozent signifikant höher war als im Landesdurchschnitt. In Den Haag reichte es zu Platz zwei hinter der PvdA.

Die Wahlfeier in Almere fand unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen statt, wie übrigens alle Veranstaltungen, bei denen Wilders anwesend ist. Er steht unter ständigem Polizeischutz, zwei Leibwächter sind immer an seiner Seite. Im Parlamentsgebäude sitzt er gar mit seiner Fraktion in einem eigenen Trakt. Zwei weitere Sicherheitsleute vor seinem Büro kontrollieren jeden Besucher und dessen Taschen. Bei externen Veranstaltungen der Partei gilt: Alle Interessenten müssen sich vorher übers Internet anmelden, Kameras, Jacken und Taschen dürfen nicht mitgenommen werden, vor dem Einlaß erfolgt die Ganzkörperkontrolle. Diese Maßnahmen erklären sich durch die Morde an dem Filmemacher Theo van Gogh (JF 47/04) und Pim Fortuyn (JF 20/02), einen weiteren Märtyrer können die Niederlande nicht gebrauchen.

Wilders verkündet noch am Wahlabend sein Ziel: „Was in Almere und Den Haag möglich ist, das ist auch in den ganzen Niederlanden möglich. Dieser Erfolg ist das Sprungbrett für einen Erfolg im ganzen Land.“ Die aktuellen Wahlumfragen sehen Wilders tatsächlich als Favoriten, mit seiner faktischen Ein-Mann-Partei wird ihm die Stimmenmehrheit im Land zugetraut. In Belgien, wo Wilders‘ Erfolge kritisch beäugt werden, gibt es erste Vergleiche mit dem rechten Vlaams Belang (VB). Die Gazet van Antwerpen, eine der größten Tageszeitungen des Landes, bezeichnete den Wahltag vergangene Woche gar als „schwarzen Mittwoch“. Anders aber als in Flandern wird in den Niederlanden bislang kein „Cordon Sanitaire“ um Wilders gelegt. Im Gegenteil, gerade erst ist er zu einer Podiumsdiskussion über „Die Rolle und die Bedeutung von Kultur in Den Haag“ eingeladen worden, Freikarten für die nächsten Kulturveranstaltungen inklusive. Wilders hatte zuvor angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs die Kulturausgaben der Stadt drastisch beschneiden zu wollen.

Erstaunlicherweise sieht sich aber auch die PvdA als Sieger: „Wir sind wieder ganz da“, verkündete Parteichef und Ex-Vizepremier Wouter Bos. Dabei hat keine Partei so viele Stimmen eingebüßt – ihr Anteil sackte von 23 auf 16 Prozent ab. Dennoch will Bos nach der Parlamentswahl mit einer „möglichst linken“ Koalition Regierungschef werden. Eine Zusammenarbeit mit der PVV hat er aber kategorisch ausgeschlossen. Ihre relative Stärke haben die Sozialdemokraten vor allem den wahlberechtigten Einwanderern zu verdanken: 74 Prozent der Marokkaner, 88 Prozent der Allochthonen aus Ghana und über die Hälfte der Surinameser stimmten für sie. In den großen Städten sind die Wähler mit Migrationshintergrund zum Zünglein an der Waage geworden.

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