© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Ein Faß ohne sichtbaren Boden
Deutschland und die Wiedergutmachung an Israel: Was vor sechzig Jahren konsequent begann, wirkt heute anachronistisch
Stefan Scheil

Wer Kriege verliert, der muß zahlen, so ist es seit jeher Sitte gewesen. Seine Zahlungen können dann entweder auf nackter Gewalt und Erpressung beruhen, also Ungerechtigkeiten schaffen und als eine Art Fortführung des Krieges mittels schwächender Tributzahlungen betrachtet werden. Sie können aber auch zur Wiederherstellung von verletzter Gerechtigkeit dienen. Für die deutschen Zahlungen nach dem Zweiten Weltkrieg galt beides, für die Wiedergutmachungsleistungen an den Staat Israel in erster Linie letzteres.

Die Alliierten untersagten deutsche Zahlungen

Es ist jetzt sechzig Jahre her, daß Konrad Mendelsohn, damals der Leiter der israelischen Steuerbehörde, im Frühjahr 1950 mit offiziellen Vertetern der Bundesrepublik diskret darüber verhandelte, wie die Entschädigungsansprüche israelischer Staatsbürger aus dem Vermögen Westdeutschlands nach Israel zu transferieren seien. Genannt wurde damals von israelischer Seite im Rahmen eines Globalabkommens eine Summe von 100 Millionen der gerade neu eingeführten Deutschen Mark. Damit sollten Ansprüche der Überlebenden abgedeckt sein, der Erben, aber auch der Transfer erbenlosen Vermögens.

An der prinzipiellen Bereitschaft und Verpflichtung der Bundesrepublik zur Leistung solcher Wiedergutmachungen bestand kaum je ein Zweifel, wenn die bundesdeutsche Politik auch mit einigem Grund zögerlich vorging. Schließlich verweigerten sich die DDR und Österreich gleichzeitig ihren ähnlich gelagerten Verpflichtungen, und es stand die Frage im Raum, inwieweit die bereits eingetretenen horrenden Verluste aus der Beschlagnahme deutschen Auslandsvermögens, den Demontagen und des Besitzverlustes von Vermögen jenseits der Oder-Neiße-Linie zu berücksichtigen wären. In der Tat übernahm die BRD dann zunächst sowohl Zahlungen für Österreich als auch die Entschädigung jüdischer Flüchtlinge aus den Vertreibungsgebieten, während sich die DDR dauerhaft weigerte und die kommunistische polnische Regierung nicht nur die Austreibung der überlebenden Juden aus Nachkriegspolen vorantrieb, sondern sich zusätzlich in den Besitz der Holocaustopfer aus Vorkriegspolen setzte.

Wenn die Bundesrepublik als Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs auftreten wollte, dann führte politisch und moralisch kein Weg an der Erklärung vorbei, die Nachum Goldmann damals forderte. Das demokratische Deutschland solle die Verantwortung für nationalsozialistische Verbrechen anerkennen und „Israel und das Weltjudentum feierlich zu Verhandlungen über eine Entschädigung einladen“. Kanzler Adenauer erkannte diese Verpflichtung 1951 vor dem Bundestag öffentlich an, wenn auch 1950 unmittelbar noch nichts aus einem Abkommen geworden war, denn die alliierten Hohen Kommissare verboten solche Zahlungen mit dem Hinweis auf die noch bestehende wirtschaftliche Schwäche der BRD. Scharfe Kritik am israelischen Vorgehen gab es zeitgleich von jüdischen Organisationen aus den USA wie dem American Jewish Committee, das dem Staat Israel das Recht absprach, Abkommen im Namen aller Juden zu schließen. Nachum Goldmann, zu dieser Zeit auf dem weiten Weg vom Mitarbeiter des deutschen Auswärtigen Amts im Ersten Weltkrieg über verschiedene Funktionen in der zionistischen Politik auf seiner Stellung als Präsident des jüdischen Weltkongresses angekommen, vermittelte hier einen Kompromiß. Man einigte sich im Frühjahr 1951 auf ein binnenjüdisches Rahmenabkommen Israels mit den großen amerikanischen Organisationen, laut dem Israel nur für die von ihm aufgenommenen jüdischen Überlebenden sprechen würde. Die deutschen Leistungen an Israel sollten also im wesentlichen die Eingliederungskosten für diese Menschen umfassen. Inzwischen forderte die israelische Regierung für Frühjahr 1951 dafür 1,5 Milliarden Mark.

Das Finanzministerium bilanziert 69 Milliarden Euro

Wie bekannt, ist es dabei nicht geblieben. Konrad Adenauer bot bald darauf die geforderten Verhandlungen über ein Abkommen zur Leistung von Wiedergutmachung an, und die Knesseth debattierte im Frühjahr 1952 lebhaft über die Frage, ob es nicht ein unmoralisches Angebot sei, Geld von Deutschen zu nehmen. Schließlich sagte das israelische Parlament ja zu Verhandlungen und die Höhe der Forderungen wurde 1952 im Zuge des in Luxemburg geschlossenen Wiedergutmachungsabkommens zwischen der Bundesrepublik, dem Staat Israel und der Jewish Claims Conference auf 3,5 Milliarden Mark festgesetzt. Obwohl dies eine beachtliche Steigerung der genannten Summe um mehr als das Vierzigfache in kaum zwei Jahren darstellte, folgte es doch in etwa den Berechnungen, die das Bundesinnenministerium selbst auch angestellt hatte.

Allerdings war dies unter den damaligen Verhältnissen kaum zu leisten und die Verhandlungen schleppten sich entsprechend zäh dahin. Schließlich lebte man noch in Zeiten, in denen der Finanzminister den ausgeglichenen Haushalt nicht nur seinen Urenkeln in Aussicht stellte, sondern persönlich durchsetzte. Trotz aller Bereitschaft wurde daher hart verhandelt. Adenauer hatte mit Widerständen im Kabinett zu kämpfen und wies deshalb nicht nur auf die moralische Verantwortung für „das deutscherseits den Juden in ganz Europa angetane Unrecht“ hin. Er baute zudem Argumente ein, die realpolitisch klangen und heute einen Skandal auslösen würden, als er an einen drohenden wirtschaftlichen Boykott der Bundesrepublik bei Verweigerung der Entschädigungsleistungen erinnerte und auf die „große wirtschaftliche Macht des Judentums in der Welt“ verwies.

Finanzminister Schäffer stimmte dem Wiedergutmachungsabkommen schließlich im Bundestag trotzdem nicht zu. Als Argument hierfür konnte er unter anderem den drohenden arabischen Boykott deutscher Waren anführen, wie überhaupt die arabische Welt ihr möglichstes tat, um dieses deutsch-israelische Abkommen zu verhindern. Weil international gerne über die Bande gespielt wird, vermieden deutsche Diplomaten in Hintergrundgesprächen im arabischen Raum dann nicht den Eindruck, man habe auf amerikanischen Druck hin unterschrieben, und schoben damit den Schwarzen Peter weiter.

Sechzig Jahre später wirkt dies alles anachronistisch. Das hängt einmal mit den damals genannten Summen zusammen, die schließlich in der Realität um ein Vielfaches übertroffen wurden. Nachum Goldmann bezifferte den wahrscheinlichen Gesamtbetrag in den 1960er Jahren bereits mit „mindestens“ 25 bis 30 Milliarden Euro. Das Bundesfinanzministerium schätzte die voraussichtliche Gesamtsumme an Wiedergutmachungszahlungen im Jahr 2000 auf über 69 Milliarden Euro. Ob dies bereits alle Leistungen umfaßte, ist zu bezweifeln.

Der hehre Anspruch wurde oft nicht eingelöst

Wirklich genaue Zahlen sind kaum zu ermitteln, denn die Gründe für deutsche Zahlungen an verschiedene, zumal nicht-jüdische Opfergruppen der nationalsozialistischen Politik und die Modalitäten sind im Lauf der Zeit sehr unterschiedlich ausgefallen. Nicht alle Zahlungen fallen unter den Begriff „Wiedergutmachung“ und manche fielen in heikle Bereiche wie die Entschädigung derjenigen, die von den Nationalsozialisten unter der Rassegesetzgebung als Juden verfolgt wurden, nach israelisch-jüdischer Ansicht aber keine Juden waren. Andererseits wirken die Wiedergutmachungsbeträge dann aus heutiger Sicht wieder überraschend gering gegenüber dem, was der deutsche Staat aus deutlich geringerem Anlaß ausgibt.

Es überrascht, wie präzise die moralische Seite des Nehmens am Beginn der Wiedergutmachung zur Debatte gestellt wurde. Der Prozeß des Transfers hat schließlich mehrere Seiten, und die Zahlung von Wiedergutmachung scheint idealerweise vor allem dann gerechtfertigt, wenn der Nehmer auch der Geschädigte gewesen oder unmittelbar mit ihm verbunden ist.

Daß dieser Anspruch vielfach nicht eingelöst werden konnte, lag in der Natur der Massentötungen während des Zweiten Weltkriegs begründet, die ein israelisch-jüdisches Kollektiv zurückließen, das stellvertretend für seine Toten agierte und agieren mußte. Kritik kam bekanntlich auch von jüdischer Seite auf, als sich hier im Lauf der Jahrzehnte die Entwicklung der Forderungen mancher Gruppen sehr weit von dieser Konstellation entfernt hat.

Inzwischen unterstützt die Bundesrepublik den Staat Israel unter anderem fortlaufend durch die Überlassung hochmoderner Rüstungstechnologie. Die aktuellen Erklärungen der Regierungschefin über eine existentielle Verpflichtung der Bundesrepublik zur Sicherung Israels werden durch den Verweis auf die Geschichte begründet und sind daher mindestens indirekt ebenfalls als eine Art Wiedergutmachungsleistung zu betrachten.

Die Intensivierung solcher Äußerungen läuft parallel mit der gewachsenen Bedeutung des Begriffs „Holocaust“. Anfang der fünfziger Jahre war er kaum jemandem bekannt, ist heute jedoch als Zentralbegriff für das Ungeheuerliche weltweit etabliert, das sich mit dem deutschen Namen verbindet.

 Diese Begründung der deutschen Haltung durch die Kanzlerin traf jüngst auf den Widerspruch eines anderen ehemaligen Regierungschefs und Zeitzeugen, der von seinem jüdischen Großelternteil erst während des Zweiten Weltkrieges erfuhr. Helmut Schmidt weist die Auffassung der Kanzlerin zurück und sagt, die Bundesrepublik habe nicht mehr Verantwortung für die Existenz Israels als andere Staaten auch.

In ihrer Rationalität und ihrer Rückbindung an die Selbstverständlichkeiten des internationalen Rechts ist dies gewissermaßen eine Stimme aus der Vergangenheit.

Foto: Unterzeichnung des deutsch-israelischen Wiedergutmachungsabkommens am 10. September 1952 in Luxemburg: Israels Delegation mit Außenminister Moshe Sharett als Unterzeichner (l.), die deutsche Delegation mit Bundeskanzler Konrad Adenauer

 

Stichwort: Deutsche Militärhilfe für Israel

Die Wiedergutmachung ist ein Grundstein der fruchtbaren deutschen Militärhilfe für Israel, die Mitte der 1950er Jahre begann. Ob Millionenbeträge für Heeresmaterial Mitte der sechziger Jahre oder die milliardenschwere Finanzierung von Patriot-Flugabwehr-Batterien und U-Booten der Dolphin-Klasse Ende der neunziger Jahre – Deutschland ist sich seiner Sonderbeziehung zu Israel bewußt. Und so erklärte Kanzler Schröder noch im Jahr 2002 die Haltung Berlins: „Ich will ganz unmißverständlich sagen: Israel bekommt das, was es für die Aufrechterhaltung seiner Sicherheit braucht, und es bekommt es dann, wenn es gebraucht wird.“

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen