© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  11/10 12. März 2010

Den Gegner kopiert
Politische Zeichenlehre XCIV: Kruckenkreuz
Karlheinz Weissmann

Die Auseinandersetzungen um die Aufführung einer „Dollfuß-Oper“ in Wien oder die Rehabilitierung der Opfer des „Austrofaschismus“ (mit oder ohne nationalsozialistische „Lager“-Insassen) wird von den deutschen Feuilletons nur am Rande zur Kenntnis genommen. Was vor allem darauf zurückzuführen ist, daß man zuwenig weiß über die Geschichte des kleinsten deutschen Staates in der Zwischenkriegszeit.

Die Schärfe der Auseinandersetzungen zwischen „Rot“ und „Schwarz“ beim Nachbarn, einer weit nach links gehenden sozialistischen Partei und einem selbstbewußten politischen Katholizismus, ist hierzulande sowenig bekannt wie der Konflikt mit der Anschlußbewegung, die nach der Machtübernahme Hitlers auch den Charakter einer Revolutionsdrohung annahm. Der Kampf gegen die „Illegalen“, also die Mitglieder und Sympathisanten der verbotenen nationalsozialistischen Partei, hatte in erster Linie den Zweck, die österreichische Selbständigkeit grundsätzlich oder doch gegenüber dem NS-Deutschland zu bewahren.

Dieses Ziel machte sich vor allem die „Vaterländische Front“ (VF), eine katholisch-autoritäre Bewegung, zu eigen, die unter dem Druck der Umstände allerdings gezwungen war, viel vom Gegner zu lernen, dessen politischen Stil teilweise zu kopieren und dem Hakenkreuz ein anderes – das „Kruckenkreuz“ – entgegenzusetzen.

Kruckenkreuz, auch „Krückenkreuz“ oder „Hammerkreuz“, ist die Bezeichnung für ein griechisches Kreuz mit Querbalken an den Enden. Es handelt sich dabei um ein Motiv, das seit der Frühzeit belegt und fast universal verbreitet ist. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang mit der Sonnensymbolik, sichere Aussagen gibt es aber nicht. In der christlichen Ikonographie spielte es früh eine Rolle. Die bekannteste Verwendung dürfte die im sogenannten Jerusalemkreuz – einem goldenen (ursprünglich roten) Kruckenkreuz auf weißem Grund, in dessen Winkel vier kleinere goldene (ursprünglich rote) Kreuze gesetzt waren – gewesen sein, das dem von den Kreuzfahrern gegründeten Königreich Jerusalem als  Wappen diente. Ein Kruckenkreuz findet sich außerdem als Marke auf dem „Reichsschwert“ des Heiligen Römischen Reiches und verschiedentlich als Muster für die Gestaltung mittelalterlicher Altarkreuze, so auch im Fall des „Reichskreuzes“.

Diese Traditionen erklären hinreichend, warum das Kruckenkreuz in moderner Zeit vor allem von Bewegungen verwendet wurde, die eine Rückbesinnung auf das christlich-abendländische Erbe anstrebten, so in Frankreich, Spanien und Portugal, aber vor allem in Österreich nach dem Zusammenbruch der Monarchie. Entsprechend ließ der aus dem Lager der Christlich-Sozialen kommende Ignaz Seipel als Bundeskanzler schon 1922 dem Großen Ehrenzeichen der Ersten Republik die Form eines Kruckenkreuzes geben, außerdem wurde es als Emblem seit 1922 auf der Rückseite mehrerer Münzen angebracht. 1933 wählte dann Engelbert Dollfuß das Kruckenkreuz in den österreichischen Farben (weiß, mit einem roten inneren und äußeren Rand) als Abzeichen der von ihm gebildeten Vaterländischen Front.

Die VF wurde ab 1934 Monopolpartei des „Ständestaates“, der an die Stelle der parlamentarischen Republik getreten war. Die VF führte auch Fahnen in den Farben des Bindenschilds (rot-weiß-rot), auf denen ein Kruckenkreuz (und manchmal ein grüner Sparren zum Mast hin) aufgelegt war. Ab 1935 wurden die Flaggen der Vaterländischen Front der Staatsflagge gleichgestellt, allerdings kam das Kruckenkreuz nicht in das Staatswappen, für das man auf den nimbierten Doppeladler mit dem Bindenschild zurückgriff.

Die Zielsetzung des Ständestaates, den deutschen Charakter Österreichs ebenso zu erhalten wie die Unabhängigkeit, scheiterte. Das „Martyrium“ Dollfuß’, der am 25. Juli 1934 in Wien einem nationalsozialistischen Putschversuch zum Opfer fiel, war zuletzt ebenso vergeblich wie die Versuche der VF, die Propaganda der Konkurrenz zwar äußerlich zu kopieren, samt Uniformierung, Grußformel und Kampfgesängen, aber inhaltlich zu verändern. Auch die symbolpublizistische Wirkung des Kruckenkreuzes war ungleich geringer als die des Hakenkreuzes. Das kam sogar noch im Fehlschlag des Bemühens zum Ausdruck, die überall an den Wänden zu findenden Hakenkreuz-Sgraffiti dadurch zu neutralisieren, daß man sie mit vier Strichen in Kruckenkreuze „ummalte“.

Foto: Plakat der Vaterländischen Front mit dem Kruckenkreuz: Partei des Ständestaats

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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