© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Sehnsucht nach der Großen Koalition
Dauerkrise: Die Stimmung in der christlich-liberalen Koalition wird angesichts der zunehmenden Orientierungslosigkeit immer explosiver
Paul Rosen

Eine Liebesheirat hatte es sein sollen, als wenn lang getrennte Liebende wieder zusammengefunden hätten. Doch zwischen Union und FDP herrscht Scheidungsstimmung. Eine gemeinsame Plattform wie die 1982 nach dem Ende der sozial-liberalen Ära ausgerufene „geistig moralische Wende” ist nicht erkennbar. Vielmehr setzt sich – vor allem innerhalb der Union – der Eindruck fest, mit einer breiten Regierungsmehrheit zusammen mit der SPD würden sich großen Fragen der Zeit wie Reduzierung der Staatsschulden und Bekämpfung der Krisenfolgen besser beantworten lassen.

Diese bürgerliche Koalition ist beileibe keine Neuauflage des damals von Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher im beschaulichen Bonn gegründeten Bündnisses. Seither gab es die Wiedervereinigung und den weitgehenden Zusammenbruch des Weltfinanzsystems. Deutschland hat nicht nur ein anderes Gesicht bekommen, es ist auch anders geworden. Sichtbar wird dies vor allem daran, daß die Bonner Republik Geschichte ist und niemand so recht weiß, wie man die „Berliner Republik“ nun definieren soll.

Die im bürgerlichen Lager um sich greifende Orientierungslosigkeit wird in fast allen Politikfeldern deutlich. Sichtbarstes Beispiel sind die Auseinandersetzungen im Gesundheitswesen. Die von der Koalition vorgesehene Kopfpauschale als Einheitsbeitrag für Krankenversicherte stößt auf den erbitterten Widerstand der CSU. Der junge Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) steht in einem Doppelkonflikt: Einerseits wollen die CSU und besonders der bayerische Gesundheitsminister Markus Söder nichts von der Kopfpauschale wissen. Und andererseits will Rösler den von der Großen Koalition geschaffenen Gesundheitsfonds abschaffen, in dem die Finanzen der Krankenkassen zentral verwaltet werden, was besonders die CDU verhindern will.

Unüberbrückbare Differenzen in der Steuerpolitik

Unüberbrückbar erscheinen auch die Differenzen in der Steuerpolitik. Als die Tinte der Unterschriften unter dem Koalitionsvertrag noch nicht ganz trocken war, da legte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) schon los und zog die für 2011 vereinbarte Steuerreform in Zweifel, die ein Wahlkampfschlager der FDP gewesen war. Angesichts der stark steigenden Staatsverschuldung hat Schäubles Position viele Anhänger: Reduzierung der Staatsschulden finden bürgerliche Wähler vernünftig, während Sozialisten Steuersenkungen für ein Greuel halten, weil dadurch die Umverteilungsmasse schrumpft. Die FDP steht mit ihren Forderungen allein.

In der Innenpolitik verlaufen die Fronten nicht anders. Die FDP hat mit Sabine Leutheusser-Schnarrenberger eine bürgerrechtlich orientierte Politikerin ins Justizressort befördert. Im Innenressort steht ihr mit Thomas de Maiziere von der CDU ein mehr auf Sicherheit ausgerichteter Politiker entgegen. De Maiziere ist nicht so verbalradikal wie der als Überwachungspolitiker kritisierte Vorgänger Schäuble. Doch in diesem Fall ärgert die FDP die Union: Nachdem das Bundesverfassungsgericht das Vorratsdatenspeicherungsgesetz gekippt hatte, betont Leutheusser-Schnarrenberger zum Ärger der Union, daß sie so schnell kein neues Gesetz vorlegen will.

Schließlich ist da der Fall Westerwelle. Unmittelbar nach Koalitionsbeginn hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) begonnen, in der Sicherheitspolitik eine Art Nebenaußenpolitik zu treiben. Bis Guttenberg sich in die Kundus-Affäre verstrickte, hatte er Westerwelle besonders in sicherheitspolitischen Fragen schon abgehängt. Doch jetzt geriet der Außenminister selbst wegen Günstlingswirtschaft ins Zwielicht und steht unter schwerem Feuer. Kanzlerin Angela Merkel steht ihrem Vizekanzler nur halbherzig bei. Sie sei überzeugt, daß Westerwelle bei der Zusammenstellung seiner Reisegruppen in Übereinstimmung mit den Regeln der Regierung vorgegangen sei, sagte eine Regierungssprecherin. Die Beistandserklärung der Regierungschefin wirkt wenig überzeugend. Der CDU dürften die Probleme der FDP nicht ganz ungelegen kommen. Sie verbindet damit die Hoffnung, zur FDP geflüchtete Wähler zurückzugewinnen, weil die Günstlingswirtschaft und das offene Bekenntnis des Außenministers zu seiner Homosexualität auf Auslandsreisen abschreckend wirken könnten.

Selbst innerhalb der Union sind die Differenzen nicht mehr zu übersehen. Daß CDU und CSU sich in einer Eiszeit befinden, ist bekannt. Neu ist, daß Merkel und Schäuble jetzt auf Distanz gehen. Im Zuge der drohenden Griechenland-Pleite plauderte Schäuble fast fröhlich aus, was möglichst lange geheim bleiben sollte: Den Hellas-Pleitiers und anderen südeuropäischen Schuldenmachern könnte mit einem Währungsfonds geholfen werden. Merkel fürchtete nicht zu Unrecht, daß die Wahrheit zu früh ans Licht kommen könnte: In den Fonds soll nicht etwa eingezahlt werden, sondern er soll Liquidität bringen, indem Geld aus dem Nichts geschaffen wird – früher nannte man das die Notenpresse anwerfen. Aus Angst vor einer Inflationsdebatte versuchte Merkel das Thema auf die lange Bank zu schieben.

So wächst in der CDU die Sehnsucht nach der Großen Koalition, während die FDP nicht weiß, was und wohin sie will. Der Vorrat an Gemeinsamkeiten, so hieß es zum Ende der sozial-liberalen Koalition von Helmut Schmidt und Genscher, sei verbraucht. Bei dieser Koalition scheint es von vornherein nicht viele Gemeinsamkeiten gegeben zu haben und eine große Idee schon gar nicht.

Foto: Schwarz-gelbe Sprengkraft: Es scheint von vornherein keine Gemeinsamkeiten zwischen Union und FDP gegeben zu haben

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