© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Im Bann der geschönten Bilanzen
US-Geschäftsbank Goldman Sachs: „Strahlender Retter“ oder „Blasenmaschine“, die selbst in Krisen keine Skrupel kennt?
Michael Wiesberg

Spätestens seit dem „Griechen-Deal“ steht Goldman Sachs (GS) dort, wo die auf Verschwiegenheit bedachten GS-Manager ihre Bank gar nicht gerne sehen – im Fokus der Öffentlichkeit. Die Einschätzung ihres Geschäftsgebahrens könnte dabei unterschiedlicher nicht sein: Sprechen die einen im Zusammenhang mit GS von einer „Weltmacht“, ist sie für andere der leibhaftige Gottseibeiuns der Finanzwelt. Derzeit überwiegen Einschätzungen, die sich auch durch die Art, wie GS Griechenland half, Schulden zu verschleiern, bestätigt sehen.

Athener Schulden umwandeln und damit unsichtbar machen

Strippenzieher dieser Schuldenschönung war vor allem Gary Cohn, bei Goldman Sachs Vorstand für das Tagesgeschäft. Er soll den Griechen im Jahre 2001 nahegelegt haben, sich doch sogenannter Cross Currency Swaps (Währungs-Swaps) zu bedienen. Grob gesagt werden bei derartigen Swaps (engl.: Tausch) Zinszahlungen und gelegentlich auch Schulden in verschiedenen Währungen getauscht, und zwar mit der Absicht, möglichst gute Zinszahlungen für einen Schuldner zu erreichen.

Im Falle Griechenlands lag der Zweck vor allem darin, laufende in zukünftige Schulden umzuwandeln und damit „unsichtbar“ zu machen. Überdies konnten so insgeheim Kredite in Milliardenhöhe aufgenommen werden. Lakonisch kommentierte die International Herald Tribune (IHT), dieses Geschäft funktioniere „ziemlich genau so, wie wenn pleite gegangene Hausbesitzer eine zweite Hypothek aufnehmen, um ihre Kreditkartenschulden abzuzahlen“.

Kreativ zeigte man sich auch bei der Bezeichnung der Geschäfte, die zum Teil nach Figuren aus der griechischen Mythologie bezeichnet worden sind. „Aeolos“ – was entweder auf eine Windgottheit oder auf den Stammvater der Hellenen verweisen kann – war eines dieser Geschäfte, das pars pro toto für die Art und Weise steht, wie Griechenland im Zusammenspiel mit GS für getunte Bilanzen sorgte: Griechenland erhielt bei diesem Geschäft Bargeld als Vorschuß auf die Verpfändung zukünftiger Landegebühren auf den Flughäfen des Landes. Trotz massiver Kritik verbuchten die Hellenen den Erlös dieser Transaktionen als Verkäufe und nicht als Darlehen.

Eine besondere Rolle im Zusammenhang mit dem „kreativen griechischen Schuldenmanagement“ (Handelsblatt) spielte die Zweckgesellschaft Titlos PLC, die 2009 in London gegründet wurde. Hinter dieser Gesellschaft stehe laut Handelsblatt nur der Zweck, an „Liquiditätsspritzen“ der Europäischen Zentralbank (EZB) heranzukommen. Rund drei Wochen nach der Gründung emittierte Titlos auf Betreiben von GS und der ältesten und größten kommerziellen Bank Griechenlands, der National Bank of Greece (NBG), Kreditverbriefungen von rund fünf Milliarden Euro. Laut Dealogic, einer Finanzforschungsfirma, behielt die NBG die Schuldverschreibungen, die Titlos ausgab, ein, um sie als Sicherheiten für noch mehr Kredite der EZB einsetzen zu können. Doch auch die Griechen hatten bei diesen Geschäften ihre „Schmerzgrenze“: Als Cohn ihnen laut Basler Zeitung im Herbst letzten Jahres angeboten haben soll, mit einem Swap auch Verpflichtungen aus dem Gesundheitswesen „auf die Zukunft zu verschieben“, stiegen die Griechen aus.

Vampirtintenfisch mit menschlichen Zügen

Zu all diesen Vorwürfen hat GS öffentlich bisher keine Stellung bezogen. Festzuhalten bleibt, daß diese Geschäfte den Griechen langandauernde Zahlungsverpflichtungen an GS aufbürden, so daß das Ganze letztlich nach Urteilen von Beobachtern als Verlustgeschäft zu bewerten sei. Bis 2009, so berichtete unter anderem Spiegel Online, soll Griechenland allein an GS bereits rund 300 Millionen Dollar überwiesen haben.

Griechenland ist kein Einzelfall: Zu Recht betonte die Neue Zürcher Zeitung darauf, daß die Verschiebung von aktuellen Verpflichtungen in die Zukunft „seit längerem zum normalen Geschäft von Regierungen“ gehöre und verwies auf Zeitbomben, wie die gigantischen Pensionsverpflichtungen, für die nicht genügend Rückstellungen bereitgestellt würden. Nur leicht übertrieben sei, was die Fachzeitschrift Euromoney bereits 2005 feststellte, daß Europas Regierungen ihre Schulden „Enronisiert“ hätten. Enron ist der US-Energiekonzern, der aufgrund seiner „strukturierten Finanzoperationen“ 2001 kollabierte und für den bis dahin größten Skandal in der US-Wirtschaftsgeschichte sorgte.

„Deals“ wie der mit Athen, aber auch die bevorzugte Rolle bei der Rettung der US-Banken haben GS nachhaltig ins Gerede gebracht. Auslöser der bis dato heftigsten Diskussion um die Rolle von GS in der Finanzwelt ist ausgerechnet das Popmagazin Rolling Stone geworden, in dem der US-Publizist Matt Taibbi unter dem Titel „The Great American Bubble Machine“ (Die große amerikanische Blasenmaschine) konstatierte, die „bedeutendste Investmentbank der Welt“ sei ein „riesiger Vampirtintenfisch, mit menschlichen Zügen getarnt, der aber unerbittlich seinen Bluttrichter in alles ramme, was nach Geld riecht“.

Entgegen der sonstigen Gepflogenheit von GS reagierte die Bank auf diese Angriffe sichtlich genervt: Taibbis Attacken seien nichts anderes als eine „hysterische Sammlung von Verschwörungstheorien“. Mag man auch den ein oder anderen Vorwurf als Überspitzung abtun, so bleibt doch die auffällige (Über)Repräsentanz von Ex-GS-Mitarbeitern in sensiblen Positionen ein ins Auge fallendes Argument. Sei es nun im US-Finanzministerium, sei es an der New Yorker Börse, der Weltbank oder anderswo. Taibbi hat es in der ihm eigenen Sprache so formuliert: „Das erste, was man über Goldman Sachs wissen muß, ist, daß sie überall sind.“ Die Zeit sprach mit Blick auf GS nicht unzutreffend von einer „Weltmacht mit Drehtür“ zwischen Finanzwelt und Politik.

GS würde nach dem immer gleichen Drehbuch vorgehen, meint Taibbi. Die Bank brächte sich inmitten einer Spekulationsblase in Stellung und verkaufe wertlose Investments. Damit würden gewaltige Summen aus den unteren und mittleren Gesellschaftsschichten eingesammelt. Breche dann eine Krise aus, käme GS „angeritten“, um alle zu retten, „indem uns die Bank unser eigenes Geld borge“, um sich dann als „strahlender Retter“ feiern zu lassen. Seit den 1920er Jahren würde GS nach Meinung von Taibbi nichts anderes praktizieren. Vorwürfe, die zwar „populistisch“ klingen, im Kern aber auch von anderer Seite vorgetragen werden. Zum Beispiel vom ehemaligen Chefökonomen des Internationalen Währungsfonds, Simon Johnson, der mit Blick auf die führenden Wall-Street-Geschäftsbanken von einem „stillen Putsch“ des Kapitals sprach.

Als Beispiele für den hohen Anteil von ehemaligen GS-Mitarbeitern in Schaltstellen der Macht führt Taibbi Henry Paulson an, Finanzminister unter Bush und ehemaliger GS-Vorstand. Er war entscheidend an den Rettungspaketen für die Investmentbanken beteiligt. Einer der Nutznießer dieser Pakete war die Citigroup, die stattliche staatliche Hilfen erhielt. Chef der Citigroup war der ehemalige GS-Mitarbeiter Robert Rubin, unter Clinton Finanzminister. Bezeichnenderweise ließ Paulson entgegen dem Grundsatz „too big to fail“ den GS-Konkurrenten Lehman Brothers in Konkurs gehen. Dafür wurde das Füllhorn über den Versicherungsgiganten AIG (American International Group) ausgeschüttet, dessen neuer Chef Ed Lilly, wenig überraschend ehemaliger GS-Mitarbeiter, infolge die gigantischen Verbindlichkeiten abzubauen begann. Ein Hauptnutznießer dieses Abbaus war einmal mehr GS, die den Löwenanteil einstrich.

Auch hatte die GS-Wandlung von einer Investment- in eine Geschäftsbank einen handfesten Hintergrund: Mit diesem Schachzug erhielt die Bank Anspruch auf Hilfen aus dem staatlichen Rettungsprogramm, das von einem ehemaligen GS-Banker, Neel Kashkari, verwaltet wurde. Diese Wandlung hatte aber noch einen anderen Effekt, ging doch die Kontrolle über die neue Geschäftsbank GS an die New Yorker Notenbank über, deren Chef zu diesem Zeitpunkt das GS-Aufsichtsratsmitglied Stephen Friedman war. Dieser verdiente mit GS-Aktien in der Folge viel Geld, bis seine Geschäfte ruchbar wurden. Ersetzt wurde er durch William Dudley – ehemals Chefvolkswirt bei GS.

„Wir konnten nicht scheitern, wir hatten Cash“

Wenn Taibbi aber mit Robert Rubin den Hauptverantwortlichen für die Deregulierung der Finanzmärkte, genauer des Handels mit Finanzderivaten, und deren katastrophale Folgen mehr oder weniger zum Alleinverantwortlichen stempelt, dann ist das nur ein Teil der Wahrheit. Maßgeblich beteiligt waren neben Rubin unter anderem Larry Summers, von 1999 bis Anfang 2001 Finanzminister unter Clinton, die US-Notenbank unter Alan Greenspan und die US-Börsenaufsicht unter Arthur Levitt.

Im Jahr 2000 waren sie am Ziel, als die Regierung Clinton im Gesetz zur Modernisierung der Warentermingeschäfte fixierte, daß der Handel mit Finanzderivaten nicht gesetzlich reguliert wird. Dieses Gesetz kam einer Initialzündung gleich, blähte sich der „außerbörsliche“ Handel mit Finanzderivativen – gemeint ist der Handel nur zwischen Banken – in der Folge bis zum Jahre 2008 auf (vorsichtig) geschätzte 60 Billionen Dollar auf. Diese Deregulierung ermöglichte es AIG überhaupt erst, für Hunderte von Milliarden Dollar Credit Default Swaps – worunter ein außerbörsliches Kreditderivat zum Handeln von Ausfallrisiken von Krediten, Anleihen oder Schuldnernamen verstanden wird – zur Besicherung von (häufig „toxischen“) hypothekarisch gesicherten Wertpapieren zu verkaufen.

Es bedurfte dann eines finanziellen Kraftaktes, um einen Konkurs von AIG nach Ausbruch der Finanzkrise zu verhindern. Womit wir wieder bei GS wären. Wie andere Investmentbanken hatte auch GS bei AIG in dem Bewußtsein seine Wertpapiere versichern lassen, daß die eigenen Finanzprodukte „garbage“ (Schund) sind, wie es Dean Baker, Co-Direktor des Londoner Center for Economic and Policy Research, in einem Kommentar für den britischen Guardian ausgedrückt hat. Wohl wissend, daß es im Krisenfall genug hilfreiche Geister geben wird, die die Bank über Wasser halten.

Wie drückte es doch Gary Cohn aus: „Wir hätten nicht scheitern können. Wir hatten Cash.“ – und die notwendigen „Interessenvertreter“ in der Politik, möchte man ergänzen.

 

Marcus Goldman Im Jahr 1869 gründete der aus dem unterfränkischen Trappstadt stammende Marcus Goldman in der New Yorker Pine Street die M. Goldman & Company. Er gilt als Pionier des Wertpapiergeschäfts (Commercial Paper). So erwarb er die Schuldscheine seiner Kunden und verkaufte diese an die Geschäftsbanken. Infolge familiärer Bande – Schwiegersohn Samuel Sachs stieß hinzu –, änderte sich der Name des heute weltweit führenden Finanzdienstleisters im Jahr 1885 in Goldman Sachs & Co.

Foto: Der „Goldman-Sachs-Tower“ in Jersey City (New Jersey) und Streik-Auseinandersetzungen vor der Griechischen Nationalbank in Athen: Gewalt als Ergebnis kreativer Finanzoperationen

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