© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Zeichen von Auflösung
IfS-Studie: Warum Thilo Sarrazins Tabuisierung scheiterte
Fabian Schmidt-Ahmad

Über die zunehmende Einschränkung der Meinungsfreiheit in Deutschland gibt es zwei unterschiedliche Ansichten. Die eine geht von einer kontinuierlichen Einengung des Meinungsspektrums aus, bis hin zu einer völligen, auch juristischen Sanktionierung durch die Politische Korrektheit. Die andere deutet dagegen den stetig schärfer werdenden Ton als Reaktion auf den immer deutlicher zutage tretenden Widerspruch zwischen der Politischen Korrektheit und dem, was sich als Realität zeigt.

Der Streit um das zum Skandal hochstilisierte Interview des Bundesbankers Thilo Sarrazin (SPD) in dem Kulturmagazin Lettre International könnte möglicherweise einen Wendepunkt darstellen. Denn anders als ähnliche Kampagnen zuvor, wie beispielsweise gegen die Fernsehmoderatorin Eva Herman, endete die Hatz nicht mit der beruflichen Vernichtung des Opfers. Im Gegenteil zeigte sie an ihrem Höhepunkt Zeichen von Auflösung, denen nun in der Studie „Der Fall Sarrazin“ des Instituts für Staatspolitik (IfS) nachgegangen wird.

Die wichtigsten Akteure wie der zeitliche Ablauf des Medienereignisses werden ausführlich wiedergegeben. Interessant ist die Rolle von Sarrazins Vorgesetztem, dem Bundesbankpräsidenten Axel Weber, der mit einer überraschend am 30. September einberufenen und ohne Rücksprache mit dem Vorstand gehaltenen Pressekonferenz das Interview überhaupt erst zum Skandal machte – zu diesem Zeitpunkt war das Heft noch nicht einmal im Handel erhältlich.

Was folgte, war eine Medienwalze, die den Sozialdemokraten mit immer absurder sich überschlagenden Vorwürfen von „Rassismus“ und „Fremdenfeindlichkeit“ zu erdrücken suchte. Allerdings zeigt die IfS-Studie auf, wie mit der Welt und der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zwei etablierte Blätter aus der „Volksfront“ gegen Sarrazin ausscherten. „Damit war die Parole ausgegeben: Es geht um die Verteidigung der Meinungsfreiheit.“

Ein wichtiges Indiz, um von einer „gescheiterten Tabuisierung“ sprechen zu können, sehen die Autoren in dem verunglückten Auftritt von Stephan Kramer, dem Generalsekretär des Zentralrats der Juden. Auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der Türkischen Gemeinde in Deutschland am 9. Oktober schimpfte Kramer, daß Sarrazin mit seinen Äußerungen „Göring, Goebbels und Hitler eine große Ehre erweist“. Damit war der Bogen überspannt, und wenig später mußte Kramer ein halbherziges Dementi abgeben.

Den schwächsten Teil der Studie stellt die Überprüfung von Sarrazins Aussagen dar. So wird der Behauptung, „die Türken erobern Deutschland genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch höhere Geburtenraten“, durch statistische Analysen nachgegangen. Das Problem ist dabei allerdings zum einen, daß es für das so wichtige Thema bezeichnenderweise keine verläßlichen Daten gibt, zum anderen, daß hier nach Denkmustern gefragt wird.

Die spannende Frage ist nicht, in welcher Weise der türkischstämmige Teil der deutschen Bevölkerung wächst, sondern ob hinter diesem Wachstum eine gezielte Strategie steckt. Zusätzlich zu dem Zahlenmaterial hätten die IfS-Autoren veröffentlichte Aussagen türkischer Politiker wiedergeben sollen, die eben letzteres nahelegen. Sarrazin selbst nannte persönliche Gespräche mit hochrangigen Beamten als Quelle.

Gleiches gilt für Sarrazins Aussage, daß er niemanden anerkennen muß, „der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt“, was für „siebzig Prozent der türkischen und neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin“ gelte. Nun geht Sarrazin freilich von einem Integrationsmodell aus, das Ehrgeiz und hohes Engagement der Eingewanderten voraussetzt.

Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet sind Sarrazins Schätzungen durchaus realistisch zu nennen, wie er im Vergleich mit Einwanderern aus Osteuropa oder Ostasien herausarbeitet. Wenn dann in der IfS-Studie behauptet wird, daß Sarrazin mit diesen – eigentlich nach Einstellung fragenden – Angaben „stark übertreibt“, ist das eine ärgerliche und unnötige Vorlage für andere. So meldete das SPD-nahe Internetportal Endstation Rechts triumphierend, „sogar“ das IfS weise Sarrazin „frei erfundene Zahlen“ nach.

Dennoch überwiegt der positive Eindruck einer Untersuchung, bei der man sich vorbehaltlos dem Wunsch der Autoren anschließen kann: „Der Verlauf der Kampagne weckt die Hoffnung, daß die dahinterstehende Debatte über Integration und Ausländer jetzt offener geführt werden könnte.“

Institut für Staatspolitik (Hg.): Der Fall Sarrazin. Verlauf einer gescheiterten Tabuisierung. Edition Antaios, Albersroda, 40 Seiten, geheftet, 5 Euro

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