© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

LOCKERUNGSÜBUNGEN
Rücksichtnahme
Karl Heinzen

Für die Soldaten im Einsatz unterhält die Bundeswehr mit Radio Andernach einen eigenen Hörfunksender, der rund um die Uhr Informationen und Unterhaltung bietet. Das Rahmenprogramm wird in Deutschland produziert, für das Lokalkolorit sorgen Teams in den Einsatzgebieten.

Auf die Bedürfnisse der Hörer ausgerichtet für „gute Laune“ zu sorgen, ist das erklärte Ziel dieses Medienangebots. Ihm gerecht zu werden, ist allerdings nicht einfach, muß doch in der Programmgestaltung eine besondere Sensibilität an den Tag gelegt werden. Einen Eindruck von diesen Beschränkungen vermittelt das Musikmagazin Rolling Stone in seiner jüngsten Ausgabe. So sei Radio Andernach zwar bekannt, daß die Hörer insbesondere nach Rammstein verlangen. Diesem Wunsch könne jedoch nur ausnahmsweise nachgegeben werden, da das berüchtigte rollende „R“ des Sängers allzu starke Erinnerungen an den Nationalsozialismus wecke. Der nicht minder gefragte Rapper Bushido wiederum zeichne sich durch einen expliziten Wortschatz aus, der mithörenden Einheimischen im Einsatzgebiet nicht zugemutet werden könne. Vier Prozent der Afghanen verstünden Deutsch, und auf ihre Gefühle müsse man Rücksicht nehmen. Selbst im Karneval könne man dem Frohsinn nicht einfach freien Lauf lassen. Der Höhner-Klassiker „Viva Colonia“ etwa werde mit seiner Liedzeile „Da simmer dabei, das ist prima“ von Patrouillen, die am Hindukusch permanent der Gefahr von Anschlägen ausgesetzt seien, als ein Affront betrachtet.

Nähme Radio Andernach seine Mission, Soldaten und Einheimische nicht auf falsche Gedanken zu bringen, tatsächlich ernst, müßte die Selbstzensur noch viel gravierender ausfallen. So hätte die Ausstrahlung von Hits, die eine hedonistische Einstellung oder seelische Probleme zum Ausdruck bringen, zur Wahrung der Disziplin zu unterbleiben. Auch auf Liebeslieder wäre unter Rücksichtnahme auf den Schmerz zu verzichten, den viele Soldaten wegen der Trennung von den Liebsten daheim empfinden. Um nicht den Eindruck zu erwecken, man wolle unter Muslimen missionieren, sollten auch Anspielungen aufs Christentum und seine Feiertage, gar kirchliche Programmbeiträge unterbleiben. In den Nachrichten müßten als homosexuell geoutete deutsche Politiker unerwähnt bleiben, um die Afghanen nicht in Gewissensnöte zu bringen.

Generell wäre zu prüfen, ob überhaupt Musik übertragen werden darf: Die Taliban, auf deren Friedenswillen man hofft, hatten sie schließlich aus dem öffentlichen Leben ihres Landes verbannt.

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