© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Wir kurieren den Kater nur mit Alkohol
Gregor Hochreiter mahnt zur Entwöhnung von der Droge „billiges Geld“ – oder der nächste Crash wird unausweichlich und brutal werden
Harald Seubert

Viel ist seit dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise über sie geschrieben, noch mehr gesagt worden. Dieses Buch, das die besten Traditionen der Österreichischen Schule der Nationalökonomie (von Mises, Hayek) weiterführt, ragt aus dem medialen Rauschen heraus. Hochreiters Analysen sind von der Art, daß einem der „Star gestochen“ wird. Nach seiner Lektüre wird klar, warum keiner der Mainstream-Ökonomen, wohl aber Denker der Österreichischen Schule (wie der Hayek-Schüler Roland Baader) seit Jahren den Crash prognostiziert haben. Es zeigt mit Nüchternheit, Klarheit und Realitätssinn, wo die eigentliche Ursache des Desasters liegt: in der Inflationierung der Geldmengen, die mit immer geringerer Deckung erkauft ist. Die Interessen der Banken und jene von kurzfristig auf die nächste Wahl orientierten Politikern konvergieren dabei in unseliger Weise.

Hochreiters scharfe Analyse macht aber zugleich bedrückend sichtbar, daß wir weit davon entfernt sind, die Krise bewältigt zu haben. Dies erforderte ein Umdenken, das nirgends in Sicht ist, und es bedeutete zunächst weitreichende Einschränkungen. Der gesamte, auf Blasen und Schulden hin finanzierte Renten- und Versorgungsstaat würde wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzen. Doch gibt es schwerlich einen anderen Weg, gesunde Nationalökonomien zu gewinnen, auf Geldwertstabilität, Deckung und Sparsamkeit begründet.

Besonders überzeugend ist Hochreiters Hinweis auf den Zusammenhang von Scheinwachstum, Geldillusion mit der Dekadenz einer Spätgesellschaft: Glücksspieleuphorie und Konsumrausch, Promiskuität, politischer Aktionismus und ad-hoc-Gesetzgebung bilden ein unseliges Netz, aus dem sich eine in ihrem Illusionssystem verfangene Gesellschaft kaum wird lösen können. Hochreiter zeigt auch, daß eine tiefe Wurzel der Krankheit in dem Fetisch von Wachstum und Arbeit liegt: Schatten des frühen Kapitalismus, der in seiner innerweltlichen Erlösungsstruktur nicht allzuweit vom Sozialismus entfernt ist. Das Gegengewicht, die Vita contemplativa, Leben um seiner selbst willen, scheint dagegen weitgehend vergessen zu sein – Grund genug, alteuropäische Tugend, die in der monastischen Tradition weiterlebte, als höchst aktuell zu erkennen.

Mit Ernst und Tiefe geht Hochreiter der Frage nach, weshalb derselbe Grundirrtum der Geldinflation von Krise zu Krise beständig wiederholt wird. Was hält den Illusionismus wider besseres Wissen am Leben? Was treibt die Lemminge an, immer wieder Gott zu spielen?

Grundlegende Unterscheidungen sind in der heutigen mathematisierten Ökonomie, aus der Sicht der klassischen österreichischen Ökonomie eine „trostlose Wissenschaft“, nicht mehr bekannt: so jene zwischen Preisinflation (Teuerung) und Geldinflation. Die erstere ist, wie Hochreiter an einfachen, höchst plausiblen Beispielen zeigt, zwar eine Folge der zweiten. Doch das Kernproblem liegt bei dem inflationierten Geld. Hochreiter zeigt weiterhin, daß der im Mainstream vergessene Faktor der Zeitpräferenz von entscheidender ökonomischer Bedeutung ist. Hohe Zeitpräferenz hat der, der mit Keynes ausruft: „In the long run we are all dead“. Eine geminderte Zeitpräferenz allein könnte Stabilität sichern. Denn zyklische Wellenbewegungen der Konjunktur sind nicht naturgegeben.

Das Buch liefert eine knappe und treffende Analyse des Börsenkrachs und der Weltwirtschaftskrise von 1929: Im Gegensatz zur gängigen Einschätzung zeigt es, daß es die staatlichen Eingriffe waren, die den Great Crash hervorbrachten – und keineswegs ein freier Markt.

Vor dieser Folie erweisen sich die Perspektiven der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise als höchst bedrohlich – und dies nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für die Demokratie. Hochreiter erinnert an den unfreien, manipulierbaren Status weitgehend von billigem Staatsgeld abhängiger Bevölkerungen. Hierin liegt die Wahrheit des Reims: welfare-warfare-state begründet. Die neuen Zentralisierungen ökonomischer und politischer Macht eröffnen die Gefahren eines schleichenden Wohlfühl-Totalitarismus des Versorgungsstaates. Die „Wege in die Knechtschaft“ (Hayek) werden immer breiter. Schon Tocqueville wußte: Wenn Freiheit und Gleichheit in einem Konflikt stehen, wird die Mehrheit die Gleichheit wählen. Doch die Logik dieses kranken Systems nähert sich einem Pyramidenspiel: Irgendwann werden die Rendite-Illusionen platzen. Hochreiter zeigt eindrücklich, daß der finale Kollaps unvermeidlich sein wird, wenn weiterhin der Kater mit Alkohol kuriert wird. Die Entwöhnung von der Droge „billiges Geld“ erscheint – wie jede Entwöhnung – schmerzlich, aber letztlich unabdingbar. Sie fordert Ethik und Sinn­orientierung.

Dieses Buch ist, bei aller Knappheit und Unprätentiosität, ein ganz großer Wurf: Es ist klarem, hartem Nachdenken entsprungen. Man wird seine Diagnosen und Therapieansätze nicht ungestraft umgehen können. Vor allem hat es eine Tugend selbst, an der es heute fehlt: Es ist in Kontemplation, mit langem Atem geschrieben und gedacht.

Gregor Hochreiter: Krankes Geld – Kranke Welt. Analyse und Therapie der globalen Depression. Mit einem Vorwort von Roland Baader. Resch Verlag, Gräfelfing 2009, gebunden, 264 Seiten, 19,90 Euro

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