© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Kaiser der Zeitenwende
Das Spätwerk des Althistorikers Zvi Yavetz über den römischen Herrscher Gaius Octavius, der als Augustus in die Geschichte einging
Sverre Schacht

Daß ein anerkannter Historiker die Ergebnisse seiner jahrelangen Forschung nicht Fachkollegen, sondern einem breiten Publikum vermitteln will, ist ungewöhnlich. Im Fall der jetzt von dem 85jährigen Zvi Yavetz publizierten Biographie über den römischen Kaiser Augustus ist diese Entscheidung jedoch naheliegend – allein schon, weil der israelische Althistoriker in dieser Art Alterswerk noch einmal die Fäden seiner Arbeit zum Prinzipat und dem ersten Kaiser des römischen Weltreichs aufnehmen und verknüpfen will. Der Mitbegründer der Universität von Tel Aviv präsentiert deshalb auch eher eine Sammlung als ein Werk aus einem Guß.

In teils recht knappen Kapiteln geht Yavetz pointiert auf ältere Kontroversen der Wissenschaft ein. Er nimmt dabei jedoch wenig auf, was seit den achtziger Jahren über den Großneffen Cäsars geschrieben wurde. Drei Aspekte – „Ein Herrscher, der eines natürlichen Todes starb“, „Die augusteische Gesellschaft“ und „Der Herrscher und sein Erscheinungsbild“ – bilden das Gerüst des Werkes. Der in Czernowitz geborene und 1942 nach Palästina geflohene Fachmann in Sachen römischer Antike spricht somit vor allem dank seines routinierten Zugriffs auf die überlieferten Quellen-Texte und Inschriften den Leser an. Yavetz’ kritische Prüfung solcher Überlieferung zeigt, wie schmal mitunter das Fundament althergebrachter Lehrmeinungen sein kann.

Nicht nur im Kapitel „Augustus und die Außenpolitik“ treten solche Ambivalenzen zutage: „Außerdem war Augustus selbst kein fähiger Heerführer, sondern fürchtete sich, in neue Kriege zu ziehen, da dann vielleicht ein tüchtigerer und den Soldaten willkommenerer Feldherr auftauchen könnte – daher übergab er große Armeen nur seinen Getreuen wie Agrippa und den Stiefsöhnen Tiberius und Drusus. Letzten Endes wollte Augustus Italien zum Zentrum des Imperiums machen. Jede Expansion über den Euphrat hinaus hätte Alexandrias zentrale Lage betont. Gerade gegen diesen Zentralismus hatte Augustus in Actium gekämpft. Daher seine Friedenspolitik.“

Dennoch gelte es weitere Fakten zu berücksichtigen, so der Autor: „Augustus, der angeblich den Krieg haßte und den Frieden suchte, brachte mehr Gebiete in den Besitz des Imperiums als Julius Caesar.“ Dies weist Yavetz mit einer Liste der Kämpfe nach: „Das Wort pax war ein politisches Schlagwort, Eroberungs- und Annexionskriege brachen während Augustus’ Regierungszeit immer wieder aus.“

Neben dem Herrscher widmet der 1956 Promovierte auch den zeitgenössischen Finanzen, der Religion und vor allem dem Heer Aufmerksamkeit. Die zwischenmenschlichen Beziehungen am Hof und der Ärger des Kaisers mit seiner als lasterhaft verschrienen Tochter treten anschaulich zutage. Ein kurzes Kapitel läßt „die engsten Helfer des Augustus“ quasi als Handwerker der Erfolge aufscheinen. Dank seiner Kenntnisse vermag Yavetz selbst aus Nuancen der Überlieferung Erkenntnisse zu gewinnen, ohne allzu sehr ins Spekulative abzugleiten. So arbeitet er die Familienverhältnisse des Augustus heraus – zum Beispiel auch, was der als Gaius Octavius geborene Herrscher anläßlich des Todes seiner zum Erben bestimmten Enkel empfunden haben mag: „Auch dieses Mal gab der Klatsch in Rom Livia die Schuld. Zwei Jahre vorher (2 n. Chr.) war Lucius, der jüngere Bruder des Gaius, in Massilia (Marseille) gestorben. Durch den Tod von Gaius blieb Augustus nichts anderes übrig, als Tiberius erneut zu bitten, wichtige Ämter zu übernehmen. Augustus tat das mit demonstrativer Unlust und verzeichnete in seinem Testament: ‘Da das grausame Schicksal mir meine Söhne Gaius und Lucius geraubt hat, wird Tiberius zwei Drittel meines Erbes erhalten.’“

Im Vergleich zu früheren Historikern gesteht Yavetz Livia, der im Volk ungeliebten Ehefrau des Begründers der römischen Monarchie, eine positivere Rolle als Ratgeberin ihres Mannes zu. Angesichts der erklärungsbedürftigen Machtverhältnisse verliert er den Begründer des Prinzipats als vielschichtige Persönlichkeit selten aus den Augen. Für seine Milde gerühmt, ging Augustus mitunter hart gegen Konkurrenten vor, konnte aber über Schmähungen, die seine Stellung als Erster unter den Senatoren nicht gefährdeten, hinwegsehen, wie Yavetz nachweist.

Dem Selbstbild des Kaisers als Wiederhersteller der Republik begegnet Yavetz, indem er die geschickte Ämterhäufung und subtilen bis brutalen Kontrollmittel des Mannes darlegt. Da der Althistoriker nicht chronologisch vorgeht, sondern von wichtigen Zeitgenossen und Teilaspekten aus seinen Gegenstand quasi einkreist, vermittelt die Augustus-Biographie mitunter etwas episodenhaft Ungeordnetes. Wer also neue Erkenntnisse sucht, ist mit Yavetz’ „Kaiser Augustus“ schlecht beraten. Dennoch macht der Blick auf den Kontext und die Besonderheiten der Epoche Yavetz’ Werk als Lektüre wertvoll. Begriffe wie Ordines, Senat und ihre Einordnung im Kontext heutiger (Miß-) Verständnisse und Auffassungen davon sind ohne Zweifel ein Gewinn für jeden, der sich schnell einen Überblick verschaffen will.

Zvi Yavetz: Kaiser Augustus. Eine Biographie, Rowohlt Verlag, Reinbek 2010, gebunden, 397 Seiten, Abbildungen, 24,95 Euro

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