© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  12/10 19. März 2010

Planlos in Berlin
Regierungskrise: Niemand weiß, wohin Kanzlerin Angela Merkel eigentlich will
Rolf Dressler

Die Sprache ist die Quelle aller Mißverständnisse.“ Diese Lebenserfahrung des großen Antoine de Saint-Exupéry ficht die meisten heutigen Politikschaffenden offenbar herzlich wenig an. Eine löbliche Ausnahme immerhin machte dieser Tage Deutschlands Innenminister Thomas de Maizière: „In der schwarz-gelben Koalition wird viel zuviel herumgequatscht und entschieden zu wenig konstruktiv miteinander gearbeitet“, befand er unumwunden. So klarsichtig kann nur jemand sprechen, der aus seinem Herzen eben keine Mördergrube macht, sondern sich selbst – und ganz gewiß ungezählten Bürgern – endlich einmal tiefsitzenden Frust von der Seele redet.

Daß es sogar zwischen sogenannten Wunschpartnern bisweilen kräftig im Koalitionsgebälk knirscht, ist im politischen Alltagsgeschäft genauso normal wie im richtigen Leben. Doch in Fernsehmikrofone und durch den Blätterwald dröhnt vorwiegend Parteiengezänk. Für Talkshow-Runden nehmen sich Zeitgeistpolitiker augenscheinlich deutlich länger Zeit als für die Pflichtübungen im Hohen Haus des Deutschen Bundestages, dem angeblichen Zentrum allen demokratischen Ringens um den besten Weg zum Wohle und zum Nutzen des Ganzen. Ob Hartz IV, der Rechtsanspruch auf einen Kinderhortplatz auch schon für die Allerjüngsten oder das gewaltig überdehnte Gesundheitssystem: Bedenkenschwer wälzen Politiker, Verbandsfunktionäre und Journalisten alle möglichen Aspekte, nur nicht die schwerwiegenden wahren Folgen der lange geduldeten, ja sogar gewollten Zuwanderung – direkt in die hiesigen Sozialsysteme, in die Jahr für Jahr teurere, Dutzende Milliarden Euro schwere Sozialhilfe.

Schon während der ersten, mühsamen hundert Anlauftage fechten CDU, CSU und FDP nicht wie Koalitionäre im Geiste, sondern eher wie erbitterte Kontrahenten um die besten Startpositionen für die kommenden Wahlkämpfe. Nächster Zielpunkt: der Urnengang am 9. Mai in Nordrhein-Westfalen. Fiele dieses Bundesland für Schwarz-Gelb, wäre durch die verlorene Mehrheit im Bundesrat das politische Gestalten dann wohl erst recht zum Stillstand verdammt. Statt seriöser, freilich anstrengender Parlamentsdebatten prägen fast tägliche Eklats und Scheingefechte das krause Erscheinungsbild von Politik und Politikern. Auf der Strecke bleibt der gründliche Austausch von Argumenten, im Klartext: die öffentliche Meinungsbildung.

Nur, kümmert und bekümmert das unsere Politikveranstalter überhaupt noch wirklich? Eine eigene unverwechselbare Merkel-Agenda 2010, ein überzeugender Entwurf gegen die unverantwortlich ausufernde und schon heute eigentlich unbezahlbare Umverteilungs- und Staatsbeglückungsmanie – weit und breit nicht zu sehen.

Immer mehr Bürger finden sich kaum mehr zurecht in der medialen Flut von Information und Desinformation. Deshalb greifen Politiker aller Farben gern zu allerlei Ablenkungsmanövern. Und das mit oft verblüffendem Erfolg. Die kriminellen Verursacher des jüngsten gigantischen Weltfinanz-, Vermögens- und Geldvernichtungsdesasters, ob in der Politik oder im Bankensystem, sind praktisch ungeschoren davongekommen. Derweil berühmen sich hohe und höchste Regierende ihres ach so famosen Krisenmanagements, das schlicht und dreist darin besteht, unermeßliche Billionen Steuergelder (die also nicht etwa „der Staat“ erwirtschaftet hat!) in die „Rettung“ selbst total kaputter Bankinstitute zu verfeuern, weil sie angeblich „systemrelevant“ seien. Wo, wenn nicht hier wird wissentlich und hemmungslos auf Kosten vieler künftiger Generationen gearbeitet? In dieser Lage mutet es übrigens noch um so skurriler an, daß die Westerwelle-FDP krampfhaft an ihrem 24-Milliarden-Steuererleichterungspaket klebt.

Apropos Guido Westerwelle: Nach seinem Kotau-Ausflug gen Polen in der Sache Erika Steinbach und Berliner Zentrum gegen Vertreibungen warb der Jung-Außenminister anläßlich seines Ankara-Besuches auffallend nachdrücklich für den EU-Beitritt der Türkei. Wie steht nun eigentlich die CDU-Kanzlerin Angela Merkel dazu? Nichts Genaues weiß man nicht, sagt der Volksmund in solchen Unklarfällen.

„Merkel läßt Westerwelle in Schutz nehmen“, titelt die Frankfurter Allgemeine – in Anspielung auf die deftigen Attacken der linken politischen Konkurrenz und der Medienmehrheit auf den Parteichef der Liberalen. Zu dessen forscher Fürsprache für eine EU-Vollmitgliedschaft der Türkei ließ sich die CDU-Spitze indes nicht vernehmen – so wenig wie, verständlicherweise, seinerzeit zu der gleichfalls hintersinnigen FAZ-Titelseiten-Schlagzeile „Erdoğan lädt Merkel nach Deutschland ein“ nach dessen feuriger Rede vor zehntausend Landsleuten in Köln. Sicherlich hofften damals viele deutsche Bürger vergeblich auf eine ruhige, aber bestimmte Erwiderung von Kanzlerin Angela Merkel.

Allein, die gewollten Fakten sind andere, politisch und ideologisch. Mit tatkräftigem Dauerdruck der veröffentlichten (nicht der öffentlichen) Meinung sieht sich die Bürgermehrheit zunehmend in die Defensive gedrängt. Minderheiten werden hofiert, trumpfen auf, als wären sie (schon) in der Überzahl. Nicht nur in Berlin, auch anderwärts in Großstädten und Ballungsgebieten beziehen schon heute unzureichend ausgebildete Migranten bis zu vierzig Prozent ihres gesamten Lebensunterhalts aus öffentlichen Kassen. Es ist daher blanker Hohn, wenn Politiker, die ernstgenommen werden wollen, gänzlich ungeniert über die wertvollen Beiträge ausländischer Arbeitskräfte schwadronieren, die es maßgeblich ermöglichten, notleidende Einheimische finanziell zu unterstützen.

„Die CDU wandelt sich“, bedeutet man Land und Leuten. Doch wo sind die Wegezeichen, auf die Verlaß wäre, gerade auch aus der Sicht all jener Enttäuschten, die der „Partei“ der Nichtwähler immer stärkeren Zulauf verschaffen? Hauptsache mitregieren – das ist offenkundig die Richtschnur der Parteien von heute.

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