© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Jürgen Rüttgers gibt den Malocher
Nordrhein-Westfalen: Während gegen den Linkstrend der Union protestiert wird, ruft der Ministerpräsident seine Partei zum Kampf auf
Hinrich Rohbohm

Sie tragen leuchtend orangefarbenen T-Shirts, die mit einem durchgestrichenen nach links zeigenden Pfeil bedruckt sind. Er soll sagen: Die CDU muß sich wieder auf ihre traditionellen Werte besinnen, darf nicht noch mehr sozialistische und linksliberale Gesichtszüge annehmen. „Wir sind die Basis“, steht auf einem Transparent, das die zumeist jungen Aktivisten am Sonnabend vor dem Eingang zur Münsterlandhalle in Münster aufgespannt haben, wo sie Flugblätter gegen den Linkstrend in der CDU verteilen. 

In der Halle versammelt sich die nordrhein-westfälische Union zu ihrem Landesparteitag. Viele Parteifunktionäre ändern ihre Laufrichtung, blicken verschämt weg. Man fühlt sich beobachtet – „von den Apparatschiks aus dem Adenauer-Haus“, wie es ein Delegierter gegenüber der JF hinter vorgehaltener Hand formulierte. Doch es gibt auch andere Reaktionen. Einige Delegierte verneinen ganz offen, den Linkstrend stoppen zu wollen, halten ihn gar für den richtigen Weg. Von anderen kommt zustimmendes Nicken und knappe Worte der Anerkennung. Kurz. Unauffällig. Denn „Muttis Informanten“ beobachten die Aktion mit Argusaugen.

Die 600 Delegierten in der Halle erleben unterdessen einen ungewöhnlich kämpferischen Ministerpräsidenten. Auch der neue Landes-Generalsekretär Andreas Krautscheid scheint die Delegierten zu überzeugen. Sie quittieren den Auftritt des 49jährigen mit einem Traumergebnis: 99,5 Prozent.

Dann spricht Rüttgers. „Wir schaffen das gemeinsam“, ruft der gebürtige Kölner fast beschwörend in den Saal und ballt die Faust. Es sieht aus, als wenn er all seine Kraft und Entschlossenheit in diesen Satz legen wollte: vier Worte, die der 58jährige zwischen seinen Lippen regelrecht hervorpreßt – so, als würde er gerade einen zentnerschweren Sack voll Steinkohle aus einem Bergwerksstollen schleppen und sich dabei von der Last unter keinen Umständen unterkriegen lassen wollen.

Seine Rede, Mimik und Gestik gleichen heute einem hart malochenden Kumpel, nicht einem Anzug tragenden Sozialpopulisten, der die Rolle des Arbeiterführers mimt. Der Mann, dessen Kokettieren mit den Grünen längst ein offenes Geheimnis ist, schlüpft in die Rolle des Kämpfers. „Ich stehe für das christlich-jüdische Abendland und die Aufklärung“, ist unter den ungläubigen Blicken der Delegierten aus seinem Munde zu vernehmen. Rüttgers spielt auf einmal auf Angriff statt politisch korrekter Rückpässe. Immer wieder fährt er den Arm aus, um zu gestikulieren: körpersprachliche Maloche, den Blickkontakt zur Basis suchend.

Die Grünen werden als „machtgeil“ geschmäht

Er holzt gegen Rot-Rot, teilt gegen die SPD und seine Kontrahentin Hannelore Kraft aus, wirft den Genossen „Wahlbetrug“ vor, weil sie in Wahrheit mit der Linkspartei koalieren wollen. „Rot-Rot macht arm, Schwarz gibt Sicherheit“, warnt er. Und überhaupt: „Sozialdemokraten können nicht mit Geld umgehen.“ Und die Grünen? Die spart der NRW-Landesvater lange völlig aus – so lange, bis es auffällig zu werden droht. „Machtgeil“ seien sie, grätscht er ihnen schließlich doch noch in die Parade.

Rüttgers entfesselt in Münster Kampfgeist. Jahrelang hatte er es vermieden, auf das gegnerische Tor zu schießen. Auf diesem Parteitag ist alles anders. Es scheint, als hätte er begriffen, daß die letzten zehn Minuten der Partie angebrochen sind und seine Mannschaft das Spiel zu verlieren droht. Ob er es noch drehen kann, wird selbst unter den Delegierten hinter vorgehaltener Hand angezweifelt. Dennoch: An diesem Wochenende „war der Jürgen gut“, meint einer von ihnen gegenüber der JUNGEN FREIHEIT.

Wie ein Stürmer auf dem Fußballplatz steht er da – dort, auf dem Podium, am Ende seiner Rede: in Siegerpose, die Arme nach oben gereckt, die Zeigefinger in die Höhe ausgefahren. Blitzlichtgewitter prasselt auf ihn herab, ein kurzes warmes mediales Bad in Zeiten des kalten politischen Gegenwinds, der das derzeitige disharmonische Bild der Bundesregierung rauh und scharf aus Berlin herüberweht und die CDU-Umfragewerte am Rhein und im Ruhrpott in den Kohlenkeller sausen läßt.

Glaubt man den Demoskopen, so sind die Tage von Schwarz-Gelb im bevölkerungsreichsten Bundesland gezählt. Die Koalition käme demnach zusammen nur noch auf 45 Prozent und hätte keine Mehrheit. Rot-Rot-Grün oder Schwarz-Grün wären die Alternativen. Schwarz-Grün aber ist genau das, was die Unions-Basis ablehnt. Nicht wenige sehen darin das Ende für die CDU als Volkspartei.

So etwa die von dem Rechtsanwalt und Ex-CDU-Bundesrichter Friedrich-Wilhelm Siebeke gegründete „Aktion Linkstrend stoppen“ (JF 8/10). Die Initiative zumeist christlich-konservativer und rechtsliberaler Kräfte innerhalb und außerhalb der Union zählt inzwischen mehr als 4.000 Unterstützer. Auch am Montag nerven die Linkstrend-Stopper die Parteiführung, als sie am Rande des kleinen CDU-Parteitages in Berlin demonstrieren. Verunsicherung spiegelt sich teilweise in den Gesichtern linksliberaler Polit-Größen der Union wider, als diese vor dem Tagungshotel ihren Nobelkarossen entsteigen. Doch bei einigen umspielt ein Lächeln die Mundwinkel. „Super“, entfährt es einem von ihnen – und offenbart, daß nicht alle Christdemokraten mit „Muttis“ Kurs einverstanden sind.

Foto: Protest gegen den Linkstrend vor der Münsterlandhalle: Angst vor dem Konrad-Adenauer-Haus

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