© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Mißgunst und Haß
Italien: Regionalwahlen als politische Schlammschlacht / Regierungspartei wegen Formfehlern ausgeschlossen
Paola Bernardi

Hunderttausende aus allen Teilen des Landes haben voriges Wochenende in Rom demonstriert – doch diesmal nicht gegen, sondern für Premier Silvio Berlusconi. Unter dem kitschigen Motto „Die Liebe siegt über Mißgunst und Haß“ protestierten sie gegen den teilweisen Ausschluß der bürgerlichen Regierungsparteiliste „Volk der Freiheit“ (PDL) von den Regionalwahlen. Auf der Bühne neben Berlusconi stand in seltener Einmütigkeit Umberto Bossi, der Chef der rechten Bürgerbewegung Lega Nord. Gianfranco Fini, einst Chef der postfaschistischen Alleanza Nazionale (AN) und nun PDL-Mitglied sowie Präsident der Abgeordnetenkammer, fehlte seltsamerweise. Es war die letzte große Kundgebung vor den Wahlen in 13 von 20 Regionen, die am 28. und 29. März stattfinden. Der dortige Jubel tat speziell Berlusconi sichtlich gut, der seit seiner erneuten Regierungsübernahme vor knapp zwei Jahren unter medialem wie juristischem Dauerbeschuß steht.

Anfang des Jahres hatten noch alle Zeichen auf einen triumphalen Wahlsieg des Berlusconi-Lagers gedeutet. Die postkommunistisch-linkskatholische Oppositionspartei Partito Democratico (PD) unter ihrem neuen Parteichef Pier Luigi Bersani schien weit abgeschlagen. Doch dann brach ein politischer Tsunami über das Land und Berlusconi herein – ähnlich wie 1991, als Antonio Di Pietro und weitere Mailänder Staatsanwälte die Aktion „Mani pulite“ („Saubere Hände“) starteten. Mit diesem politischen Prozeß wurden die seit 1945 dauerregierenden Christdemokraten (DC) und die Sozialisten (PSI) für immer fortgespült. Auch jetzt warten Untersuchungsrichter (im engen Zusammenspiel mit den Medien) wieder mit neuen Ermittlungen oder Beweismaterialien auf, die suggerieren, daß die Korruption erneut weit verbreitet ist und die Politik von der Mafia infiltriert sei. Fast täglich kommt es zu neuen Verhaftungen. Der Verdacht genügt schon, um eine Person politisch zu erledigen. So muß ein PDL-Vertreter in Haft, weil er sich mit Hilfe der kalabrischen ’Ndrangheta Stimmen in Deutschland gekauft haben soll.

Telefonische Abhörprotokolle in den Medien veröffentlicht

Selbst Di Pietro, inzwischen Chef der linksliberalen Partei Italia dei Valori (Italien der Werte), wird nun öffentlich ins Visier genommen. Er soll angeblich in Washington mehrmals Kontakt zur CIA aufgenommen haben. Auch erfolgreiche Unternehmersführer von bekannten Firmen wie Fastweb oder Telecom Italia stehen unter Verdacht des Steuerbetrugs und der Geldwäscherei.

Es scheint, als seien alle Schleusen geöffnet worden. Die Regionalwahl ist damit zum politischen Säurebad hochstilisiert worden. Skandale ohne Ende – und zwar rechts wie links. Plötzlich erscheinen in den Medien sogar die telefonischen Abhörprotokolle des Ministerpräsidenten, der sich bei der Aufsichtskommission des staatlichen italienischen Fernsehens (Rai) über die nicht ausgewogenen politischen Talkshows beschwert hat. Zudem laufen gegen Berlusconi ein Korruptionsprozeß (um seinen früheren Steueranwalt David Mills) sowie ein Prozeß um Steuerhinterziehung bei seiner Sendergruppe Mediaset. Denn noch ist das neue Immunitätsgesetz, das den Ministerpräsidenten schützen würde, nicht rechtswirksam.

Den Höhepunkt der politisch-juristischen Auseinandersetzungen bildet die Ausgrenzung der PDL-Liste in Rom und im Latium. Was zuvor wirklich geschehen ist, ist unklar: Gerichtlich festgestellt ist, daß die PDL-Wahllisten am 27. Februar erst nach 12 Uhr beim zuständigen Gericht abgegeben worden sind.

Daraufhin erließ die Berlusconi-Regierung ein umstrittenes Dekret, welches die Fristversäumnis ungeschehen machen sollte. Es wurde sogar von Staatspräsident Giorgio Napolitano unterzeichnet: Es sei einfach nicht haltbar, daß die größte und regierende Partei sowie ihre Kandidaten für den Posten des Regionalpräsidenten in großen italienischen Regionen nicht vertreten sein sollen, erklärte der 84jährige Postkommunist. Das Oberste Verwaltungsgericht erklärte das Dekret vorige Woche dennoch für ungültig.

Nun sind alle beschädigt: Präsident Napolitano, die PDL und Millionen Wähler in zwei wichtigen Regionen, die die größte Partei diesmal nicht wählen dürfen. Für Berlusconi stehen die Schuldigen längst fest: „eine sowjetische Linke“ und Richter, die seine Partei von der Wahlteilnahme abgehalten haben.

Foto: Silvio Berlusconi: Das Oberste Verwaltungsgericht erklärte ein Wahldekret seiner Regierung für ungültig

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