© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Depressive Ikonen
Leidenschaftliches Mühen um die proletarische Idee: Zum 85. Geburtstag von Bernhard Heisig
Wolfgang Saur

Weithin bekannt als Vertreter der Leipziger Schule, zählte Bernhard Heisig zur berühmten „Viererbande“. Seitdem der surreale Existenzialist Wolfgang Mattheuer und der exklusive Traditionalist Werner Tübke 2004 verstorben sind, leben heute nur noch der „sozialistische Rubens“, Willi Sitte, und eben Heisig, der am 31. März seinen 85. Geburtstag feiern kann.

Generell besteht die große Leistung der Leipziger in der „Neuschöpfung einer komplexen zeitgenössischen Ikonographie, die im Jahrhundert der Moderne demontiert und verlorengegangen war“ (Beaucamp). Speziell Heisigs Bedeutung aber resultiert formal aus der hohen Komplexität seiner Bilder, inhaltlich aus dem leidenschaftlichen Mühen um die proletarische Idee, um Preußen, Krieg und Faschismus (was ihn zur Erneuerung des Historienbildes führte) und gattungsspezifisch aus der Wiederaufnahme des Porträts, das als Bildtyp seit 1900 ausstarb.

Der 1925 in Breslau Geborene nahm 1942 bis 1945 als Mitglied der Waffen-SS am Krieg und am Endkampf um Breslau teil. Seit 1948 in der SBZ, wurde der künstlerisch vielseitig Ausgebildete 1961 Professor an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig und amtierte dort über lange Perioden als Rektor. Zahlreiche Schüler hat er geprägt, so Arno Rink und Neo Rauch. Heisig erneuerte das Historienbild und schuf sperrig expressive Apokalypsen. Der Erfolg seiner depressiven Ikonen in der Honecker-Ära war am Ende erstaunlich genug. 

Nach der Wende wurde auch Heisig in den deutschen „Bilderstreit“ gezogen. Der eskalierte 1993 im Disput um die Neue Nationalgalerie und explodierte schließlich mit der Weimarer Schau „Aufstieg und Fall der Moderne“ (1999). Eben damals stellte Heisig sein gewaltiges Historienbild „Zeit und Leben“ für den Reichstag fertig. Hieran entzündete sich eine Kontroverse, die Heisigs Staatsnähe als Funktionär und seine „Mittäterschaft“ im Weltkrieg aufspießte.

Die Beilegung der Debatte und den Einzug des Monumentalwerks in den Reichstag ermöglichte schließlich sein exzessiver Antifaschismus. Das Trauma von Gewalt, Krieg, Nationalsozialismus hat den Künstler zunehmend beschäftigt und sein tragisches Weltbild schillernd durchwirkt. Es kulminiert in seinem druckgrafischen Hauptwerk „Der faschistische Alptraum“.

Problematisch bleibt seine depressive Auffassung, mit der „Vergangenheitsbewältigung“ werde niemand fertig: „Ich sehe auf Schritt und Tritt immer noch Dinge, die sich aus dieser Zeit herleiten. Gedankenstrukturen, Vorstellungen, Dinge“, die uns „geprägt haben. (…) Potentielle Faschisten befinden sich überall in unserer unmittelbaren Umgebung.“

Konsequent, wenn seine Kommentatoren ergänzen, Auschwitz werde durch keine höherer Sinnhaftigkeit transzendiert. Geistig und künstlerisch sei „nur Immanenz im Sinne einer strukturellen Angleichung des Werks an das Unerhörte und Unvorstellbare“ (Gillen) noch möglich. In diesem Sinn erwies sich Heisigs „scheiternde“ Geschichtssymbolik auch für die BRD anschlußfähig.

Konstruktiv festzuhalten bleibt Heisigs Beharrlichkeit, mit der er die (westliche) Ästhetik des autonomen Kunstwerks ablehnt. Kunst habe immer eine objektive Thematik, impliziere einen gesellschaftlichen Auftrag. Auch deshalb erwies sich Bernhard Heisig als Meister der totgesagten Gattung des Porträts. Eindrucksvoll gelang ihm 1986 die wuchtige Darstellung Helmut Schmidts. In der Galerie des Bundeskanzleramts leuchtet sie neben Kokoschkas Adenauer-Bildnis als wertvollstes Stück.

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