© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  13/10 26. März 2010

Die Bielefeldverschwörung: Ostwestfalens Provinz auf dem Weg zu Starruhm
Manipulierte Realität
Toni Roidl

Und seh’n wir uns nicht in dieser Welt, dann seh’n wir uns in Bielefeld“, kalauerte schon Nuschelrocker Udo Lindenberg. Seit Mitte der 1990er kursiert im Internet noch so ein Kultwitz über die Stadt am Teutoburger Wald: Weil er zwar öfters von Bielefeld hörte, aber nie jemanden traf, der von dort kam oder je dort gewesen war, verbreitete ein Student die Online-Mär, Bielefeld sei ein Phantom und nur Potemkinsche Kulisse. In Wirklichkeit halte an der Stelle, wo angeblich Bielefeld liegt, die CIA den totgeglaubten John F. Kennedy gefangen, damit der nix über die gefälschte US-Mondlandung ausplaudert. Die Geschichte wurde über das Netz zur modernen Legende: Bielefeld ein gut inszenierter Bluff, Phantombauten, leere Straßen – alles nur eine großangelegte Fiktion.

Papperlapapp. Nun schlagen die Bielefelder zurück. Im vergangenen Jahr hatte der Lehrbeauftragte für Film- und Videoproduktionen an der Fachhochschule Bielefeld, Fabio Magnifico, im Urlaub die Idee, die perfide Diskriminierung  zu einer Stärke umzukehren: Mit seinen Studenten plante er einen rasanten Action-Thriller im 007-Stil mit der ostwestfälischen Provinzstadt als Star. Im Juni 2010 kommt nun „Die Bielefeldverschwörung“ bundesweit ins Kino (bielefeldverschwoerung-derfilm.de).

Die Handlung: Der Geheimdienst S.I.E (Secret Intelligent Enforcement) hat Bielefeld in der Gewalt und manipuliert die Realität. Nichts ist, wie es scheint. Die Verschwörer lassen nicht nur mißliebige Personen, sondern auch mal ganze Gebäude verschwinden, um in klassischer Mabuse-Tradition die Weltherrschaft zu erlangen. Ein älterer Professor kommt den Bösewichten auf die Spur und schart einen Kreis unerschrockener Studenten um sich. Diese gründen an der Uni Bielefeld einen konspirativen Agentenring, um den Schurken das Handwerk zu legen. Ein dramatischer Wettlauf beginnt.

Gedreht wurde in Griechenland (so auf Karpathos – eine Insel dieses Namens ist doch bestimmt auch nur eine Legende!) und natürlich in – Bielefeld. Einige der rund 800 ostwestfälischen Statisten mußten für Stunt- und Verfolgungsszenen eigens ein Kampftraining absolvieren.

Und das mit einigem Erfolg, denn die Action-Sequenzen wirken nicht hölzern. Dafür konnte der Regionalkrimi auf dem Parkett der jüngsten Berlinale einige Aufmerksamkeit erzielen, was die Bielefelder besonders stolz machte. Auch bei YouTube findet der Trailer bereits eine wachsende Fangemeinde über die Grenzen Ostwestfalens hinaus.

Das Projekt schweißt die Bielefelder zusammen

Fast 100.000 Euro haben Uni Bielefeld und Stadtmarketing gemeinsam für den Dreh akquiriert. Für Filmemacher ist das eine low budget-Produktion, doch dafür ist das Ergebnis beeindruckend professionell, was der geballten Kompetenz der Medienfakultät zu verdanken ist.

Bevor der Streifen am 2. Juni im Bielefelder Cinemaxx-Kino uraufgeführt wird, erscheint Ende Mai bereits eine Romanversion sowie eine Comic-Ausgabe. Das städtische PR-Amt ist groß in Fahrt: Das Leinwandereignis soll dem bislang unprominenten Flecken einen Popularitätsschub verpassen. Den Lokalpatriotismus beflügelt es jetzt schon: von wegen, Bielefeld gibt es nicht!

Das gemeinsame Projekt hat den Bielefeldern eine stärkere Identifikation mit ihrer Heimat und ein neues Selbstbewußtsein verliehen. Die Bürger sind stolz auf ihre Hauptrolle. Richtig rührend, irgendwie – vor allem, weil es in diesem Fall keine Katastrophe, sondern ein positives Ereignis ist, das die Bewohner der Stadt zusammenschweißt.

Doch nicht immer feiern Fiktion und Wirklichkeit fröhliche Urständ. Leider ist diese Mobilisierung im Fall einer „Bielefeld-Verschwörung“, die kein Film war, nun ausgeblieben: Im Januar hatte der als linker Religionskritiker bekannte Soziologieprofessor Heinz Gess von der Uni Bielefeld den Islam in Freudscher Diktion als „kollektive Zwangsneurose“ bezeichnet. Die Islamische Religionsgemeinschaft Berlin reagierte prompt mit einer Fatwa gegen Gess: Auf ihrer Internetpräsenz erklärte Präsident Abdurrahim Vural, der Bielefelder müsse wegen „Dummheit und blindem Haß gegenüber dem Islam bestraft werden“, und zwar „im Namen der Muslime aus aller Welt“.

Seitdem sieht sich Gess verfolgt und hat Polizeischutz beantragt. Auf seiner Internetseite www.kritiknetz.de schreibt er: „Mir ist völlig klar, daß die Aufforderung muslimischer Führer, Kritiker zu bestrafen, unter den gegebenen Umständen jederzeit jeden in Deutschland treffen kann, der es wagt, den Mund aufzutun.“ Diesmal gründeten Bielefelder Studenten allerdings keinen „Agentenclub“, um sich vor ihren Prof zu stellen und das totalitäre Herrschaftsstreben zu verhindern. Gibt es das nur im Film?

Foto: Bielefelder Fassadenwelt (Alter Markt): Alles nur das Ergebnis der Verschwörung eines Geheimdienstes?

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