© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Aufgeschnappt
Angezeigte Lektüren
Matthias Bäkermann

Bus- oder Tramchauffeure widmen sich zum Thermoskaffee und ihrer Stulle gern mal einer Zeitung, wenn sie in einer Pause ausspannen können. Meistens sind das Boulevardblätter, die sie während der Lenkzeit im unmittelbaren Arbeitsbereich drapieren. Ein Straßenbahnfahrer der Linie 99 in Potsdam verhielt sich entsprechend, nur las er diesmal weder Bild noch Super-Illu oder gar das Neue Deutschland: „Offen sichtbar“ habe der Tramfahrer eine JUNGE FREIHEIT in die Auslage hinter den Fahrersitz gesteckt, empörte sich das Lokalblatt Potsdamer Neueste Nachrichten (PNN) am 23. März vielzeilig in einer Polit-Meldung.

Diese hatte zuvor wohl vermutlich schon ein pensionierter DDR-Abschnittsbevollmächtigter bei den Potsdamer Verkehrsbetrieben (ViP) erstattet, der sich über den unerhörten konterrevolutionären Vorgang telefonisch beschwerte. Natürlich wurde dieser „Fall“ umgehend zur Chefsache. Martin Weis, ViP-Geschäftsführer, ließ augenblicklich den Fahrer feststellen, der für dieses „Publikationsorgan von rechtsgerichteten Intellektuellen“ (PNN) „geworben“ hatte. Ob es Konsequenzen für diesen habe, ließ er zunächst offen: „Wir werden mit ihm sprechen“, drohte Weis vielsagend. In den Fahrzeugen sei nämlich „prinzipiell“ auf politische, religiöse und weltanschauliche Meinungen zu verzichten. Der brandenburgische CDU-Landtagsabgeordnete Sven Petke sprang jedoch dem überführten Täter bei. „Es gibt keine Rechtfertigung, diesem Beschäftigten dienstlich mit Konsequenzen zu drohen“, gab er sich kämpferisch. Dieser habe in dienstlichen Pausen das Recht zur Lektüre. Die Auseinandersetzung mit Inhalten der JF sei auf anderer Ebene „notwendig“.

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