© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Mit den Machtmitteln des byzantinischen Hofes
Parteivorsitz: Seit zehn Jahren führt Angela Merkel die CDU mit sicherem Machtinstinkt und ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen – noch nicht
Paul Rosen

Von Helmut Kohls „Mädchen“ zur Regierungschefin der größten Industrienation Europas – das hatte Angela Merkel kaum jemand zugetraut, als die ehemalige stellvertretende Sprecherin der letzten DDR-Regierung 1990 das glatte Bonner Parkett betrat. Schnell begann ihre Karriere mit dem ersten Höhepunkt als Umweltministerin unter Kohl. Merkel, fachkundig, aber unscheinbar, mit Fünf-Mark-Halskette vom Centrum-Warenhaus am Berliner Alexanderplatz und Pagenschnitt wie ein DDR-Relikt im modernen westdeutschen Staat erscheinend, wurde belächelt, aber nicht ernstgenommen. Das war ein Fehler, wie ihre Opfer heute übereinstimmend bestätigen könnten.

1991 zog sie als stellvertretende CDU-Vorsitzende in das Parteipräsidium ein und lernte dort ebenso wie im Bundeskabinett, wie Patriarch Kohl das wiedervereinigte Deutschland steuerte. Politik begreift sie als Prozeß, und der Verlauf des Prozesses sagte ihr 1998 ganz klar, daß nach dem Verlust der Macht an Rot-Grün und dem erzwungenen Abtritt Kohls die Stunden des Kronprinzen Wolfgang Schäuble zählbar waren.

Trotzdem heuerte sie, die eigene Karriere fest im Blick, bei ihm als Generalsekretärin an. Schäuble war alles andere als beliebt. In der Unionsfraktion war die Zahl seiner Gegner groß. Man warf ihm vor, beim Einigungsvertrag zu viele Fehler zugelassen zu haben und es im übrigen mit der Wahrheit nicht so genau zu nehmen. Der durch ein Attentat versehrte Politiker schien außerdem nicht in der Lage zu sein, es mit Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aufzunehmen. So wurde ihm eine scheinbar kleine Affäre um einen Umschlag voller Geld zum Verhängnis, obwohl Aussage gegen Aussage stand. Aber den Ausschlag gab ein in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung veröffentlichter Brief Merkels gegen Schäuble, der als Dolchstoß geplant war und den Vorsitzenden zum Rückzug zwang.

Parallel dazu schaltete sie Kohl endgültig aus. Der Patriarch hatte trotz seines Rücktritts die CDU weiter so regiert wie vorher, was für Schäuble ein unlösbares Problem war, aber nicht für Merkel. Sie ging im Zuge der Spendenaffäre auf Distanz zu Kohl, feindete ihn an und machte den Kanzler der Einheit de facto zur Unperson in der eigenen Partei. Eine gewisse Zeit nach ihrer Wahl zur CDU-Chefin im April 2000 hatte Merkel die Lage für sich stabilisiert und konnte darangehen, die weiteren Schritte auf dem Weg ins Kanzleramt zu planen. Anders als der brutal auftretende Schröder, der am Zaun des Kanzleramtes gerüttelt und „Ich will hier rein“ gebrüllt hatte, setzte Merkel auf die Machtmittel des byzantinischen Hofes: Intrige und (verbales) Gift. Es war Merkel klar, daß sie die Bundestagswahl 2002 gegen Schröder nicht gewinnen konnte. Offiziell widerwillig, intern aber nur zu gern, überließ sie dem Bayern Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur und handelte ihm gleich die Zusage ab, sie nach der Wahl zur CDU/CSU-Fraktionsvorsitzenden zu nominieren. Der amtierende Vorsitzende Friedrich Merz, ein aufrechter, aber Intrigen bis in die Schlußphase nicht bemerkender Mann aus dem Sauerland, mußte erleben, daß die Zeitungen schon über seine Ablösung spekulierten, als er noch auf Stoibers Zusage vertraute, sich für ihn einzusetzen. Tatsächlich hatte der wendige Stoiber längst die Seite gewechselt. Merz wurde nach der Wahl schnell entsorgt, und Merkel übernahm den wichtigen Fraktionsvorsitz.

2005 war die Kanzlerkandidatur für Merkel ein Automatismus. Noch ehe die Große Koalition geschlossen war, entledigte sie sich des Bayern Stoiber, indem die Merkel-Freundin und Bildungsministerin Annette Schavan mit Stoiber öffentliche Händel um Zuständigkeiten des von Stoiber reklamierten Superministeriums begann. Dieser merkte, daß er bei Merkel keinen Rückhalt hatte und ging nach Bayern zurück, wo er 2007 von Parteifreunden erledigt wurde. Kleine Merkel-Opfer zwischendurch waren etwa der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann, ein konservativer Mann, der entfernt wurde, um der restlichen Truppe zu zeigen, was passiert, wenn man klarere Positionen als Merkel vertritt. Die faßte ihre Ansichten auf dem Parteitag in Hannover so zusammen: „Wo die Mitte ist, sind wir; wo wir sind, ist die Mitte.“

Merkel hat ein System errichtet, in dem die eigenen Leute Angst vor ihr haben. Man nennt sie „Mutti“, aber jeder weiß um die Gefahr der männermordenden Viper im Kanzleramt. Solange der Mittelbau der unter ihrer Führung seelenlos gewordenen Partei glaubt, daß Merkel Wahlen gewinnt, hält sich ihr auf Handy-Kurzmitteilungen basierendes Regierungssystem. Wachsen die Zweifel, wird es gefährlich. Den Dolch des Brutus tragen viele im Gewande.

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