© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Ohne ökonomischen Sachverstand
Helmut Kohl wird 80: Dem Kanzler der deutschen Einheit fehlte der Blick für das Machbare
Wilhelm Hankel

Mit keinem Politiker der Zeitgeschichte (Tony Blair vielleicht ausgenommen) tun sich Historiker und Biographen schwerer als mit Helmut Kohl. 1990 gelang ihm der Sensationserfolg der deutschen Wiedervereinigung. Daran hatte keiner der Realpolitiker – Kohl selbst eingeschlossen – mehr geglaubt. Um so größer war die Ernüchterung, die der Euphorie der ersten Stunde gefolgt ist. Denn schon drei Jahre später hatte es Kohl geschafft, den strahlendsten Erfolg, den je ein Nachkriegskanzler hatte, durch eine verpfuschte Politik ins Gegenteil zu verkehren.

Die Liste der Mißgriffe seiner Regierung bei der Eingliederung der DDR-Volkswirtschaft liest sich wie ein Katalog geplanter Sabotageakte am Erfolg des Verschmelzungsprozesses. Dazu gehörte ein um Hunderte Prozent falscher Umrechnungskurs bei der Währungsunion im Juli 1990. Dies führte zur Totalpleite der DDR-Industrie und einem Millionenheer von Arbeitslosen, die diesen Zustand zuvor nie gekannt oder für möglich gehalten hatten.

Fatal war der unter kontraproduktiven Zeitdruck gesetzte Privatisierungsprozeß. Betriebe, die den Schock der Währungsumstellung überlebt hatten, wurden statt an den Meist- an den Erstbietenden verhökert – übrig blieb ein Minus von 400 Millionen D-Mark in der Staatskasse. Es folgte die Generationen westdeutscher Sozialrentner belastende Übernahme der DDR-Renten auf die Sozialversicherung statt den Fiskus. Dies stellt allerdings bis heute sicher, daß Nichtversicherungspflichtige von dieser Solidarleistung „befreit“ bleiben.

Vier weitere schwere Kunstfehler des Kohlschen Vereinigungspfusches wurden in meinem Buch „Die Sieben Todsünden der Vereinigung“ (1993) angeprangert: den Investitionsstau aufgrund des Ablösungsverbotes (Rückgabe statt Entschädigung), die Legalisierung des Eigentumsraubs der Jahre vor 1949, das skandalöse Bauernlegen durch die Eins-zu-eins-Umrechnung der Agrarschulden und -hypotheken durch westdeutsche Banken mit dem Segen des Gesetzgebers und die Verweigerung einer aktiven Reindustrialisierung in den neuen Ländern durch die amtliche Strukturpolitik. Dies führte zur Schaffung eines deutschen „Mezzogiorno“, und der Glücksfall der Wiedervereinigung wurde so zum volkswirtschaftlichen Betriebsunfall, dessen Bewältigung die Nation noch mindestens zwei weitere Generationen belasten wird.

Helmut Kohls zweiter großer Fehler ist sein Ja zur Europäischen Währungsunion und zur Einführung des Euro, was die Abschaffung der D-Mark – des bislang besten Geldes deutscher Geschichte – bedingte. Es ging ihm dabei nicht etwa um kurzfristige Vorteile für die deutsche Exportwirtschaft, sondern um die zweite große Vereinigung der Gegenwart, diejenige Europas. Er glaubte (und glaubt wohl bis heute) an jene „Sachzwangtheorie“, wonach Staaten über ihr Geld zusammenwüchsen. Jetzt erlebt er deren Widerlegung. Wie die Griechenland-Krise zeigt, hat der Euro Europas Staatenwelt nicht zusammengeführt, sondern auseinanderdividiert (JF 8/10).

Der im Gegensatz zu Drachme oder Escudo nicht mehr abwertbare Euro verführte die traditionellen Schwachwährungsländer dazu, scheinbar risikolos über ihre Verhältnisse zu leben – auf Pump mit dem Geld der stabilen Euro-Partner. Nach dem Platzen der Kreditblase erwarten sie jetzt, daß dem ersten Kredit der zweite folgt – und ihre Gläubiger weiter für sie zahlen. Wie schon frühere Währungsunionen scheitert jetzt auch die europäische am berechtigten Eigeninteresse der Staaten: Sie sind für das Wohl ihrer Bürger verantwortlich und nicht das fremder Staaten. Dies hätte der Historiker Kohl wissen können!

Anläßlich seines 80. Geburtstags wird ein Grundmuster seiner Person und Politik deutlich: Kohl verstand sich immer als Enkel, zuerst des großen Konrad Adenauer, später auch noch Ludwig Erhards. Doch gelernt hat er von seinen Opas wenig. Der eine hätte ihn vor dem sacro egoismo befreundeter Staaten warnen können, der andere davor, im Geld lediglich „Bimbes“ zu sehen. Es ist die unverzichtbare Grundlage des Wohlstands jeder bürgerlichen Gesellschaft, die man – wie die D-Mark – nicht aufgibt, um politisch nebulöse Ziele in einem europäischen Utopia zu erreichen.

Er hatte sehr viel Glück in seiner politischen Karriere: Die Niederlagen seiner Konkurrenten Rainer Barzel und Franz Josef Strauß katapultierten ihn an die Spitze der Union, der Putsch der FDP gegen den Koalitionspartner SPD brachte ihn später ins Kanzleramt. Daher glaubte er wohl auf die Knochenarbeit in einem Fachressort verzichten zu können. So fehlte dem Glückskind das Gespür für Risiko und Mißlingen, dem Generalisten der realistische Blick für das Machbare. Ob die überstürzte Privatisierung der DDR-Wirtschaft oder ein Einheitsgeld für ein Dutzend völlig unterschiedlicher europäischer Nationen – er hielt das Luftschloß für die Realität. Sein Karriere-Glück ebnete ihm den Weg ins politische Unglück.

 

Prof. Dr. Wilhelm Hankel war 1998 einer der vier Kläger gegen die Euro-Einführung vor dem Bundesverfassungsgericht. Er veröffentlichte 2008 das Buch „Die Euro-Lüge und andere volkswirtschaftliche Märchen“.

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