© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Im Angesicht des Gottessohns
Zeugnis der Auferstehung: Gläubige und Skeptiker können sich das Turiner Grabtuch ansehen
Georg Alois Oblinger

Das Evangelium beginnt mit schmutzigen Windeln und endet mit blutigen Tüchern.“ Mit diesen prägnanten Worten hat Joachim Kardinal Meisner das Wesentliche des christlichen Glaubens angesprochen. Dieser Glaube ist keine Theorie zur Weltverbesserung, vielmehr gründet er auf dem Bekenntnis zu einem Gott, der in die Geschichte eingegriffen hat: Jesu Geburt, sein Kreuzestod und seine Auferstehung sind historische Tatsachen.

Ebenso anstößig wie dieser Glaube sind die Reliquien, welche den Glauben zwar nicht beweisen können, aber wesentlich zum Glauben an den menschgewordenen Gott dazugehören. Als kostbarste Reliquie der Christenheit gilt das Grabtuch von Turin, auf dem viele Christen das wahre Abbild („vera icona“) Jesu erkennen. Es wird nur selten öffentlich gezeigt – so jetzt vom 10. April bis 23. Mai 2010.

Selbst Benedikt XVI. hat für den 2. Mai seinen Besuch in Turin angekündigt. Schon als Kardinal äußerte er sich in einem Interview: „Das Turiner Grabtuch ist ein Geheimnis, das noch keine eindeutige Erklärung gefunden hat, auch wenn sehr vieles für seine Echtheit spricht.“ Tatsächlich gibt dieses 4,36 mal 1,10 Meter große Tuch, das die Vorder- und Rückseite eines Gekreuzigten zeigt und in einer Seitenkapelle der Turiner Kathedrale hinter Panzerglas aufbewahrt wird, nach wie vor zahlreiche Rätsel auf.

Als der Fotograf Secondo Pia im Jahr 1898 das Grabtuch zum ersten Mal fotografierte, machte er eine sensationelle Entdeckung. Das Negativ zeigte das lebensechte, dreidimensionale Bild eines männlichen Gesichts. Sollte es sich hierbei wirklich um das Antlitz Jesu handeln? Ist tatsächlich das Leinentuch erhalten, in das der Leichnam Jesu eingewickelt wurde?

In den darauffolgenden Jahrzehnten nahm nicht nur bei religiösen Pilgern, sondern auch bei Wissenschaftlern das Interesse an diesem Grabtuch deutlich zu. Es folgten mehrere Untersuchungen, die unterschiedliche Ergebnisse zutage förderten. 1988 wurde eine Probe des Leinentuchs entnommen, um mit Hilfe einer Radiokarbondatierung (sogenannte C14-Methode) das Alter zu ermitteln. Hierbei wurde das Tuch etwa auf das Jahr 1300 datiert. Allerdings wurden sehr bald Zweifel an der korrekten Arbeitsweise bei dieser sehr aufwendigen Methode laut. Das Ergebnis könnte auch beeinträchtigt worden sein durch den Brand im Jahr 1532 in der Schloßkapelle von Chambéry, von dem das Grabtuch Brand- und Löschflecken davontrug.

Die Zweifler an der Echtheit können die Entstehung dieses einzigartigen Tuchs nicht restlos erklären. Manche halten es für Malerei, andere vermuten, im 13. Jahrhundert sei bereits eine Methode bekannt gewesen, welche der heutigen Fotografie ähnlich ist und ein dreidimensionales Negativbild anfertigen konnte.

Zudem zeigt das Grabtuch alle Spuren der Passion Jesu, wie sie in den Evangelien berichtet wird. Blutspuren im Gesicht und am ganzen Körper bezeugen die Dornenkrönung und die Geißelung, ein großer seitlicher Blutfleck die Seitenwunde durch den Lanzenstich. Die Nägel waren durch die Handwurzeln geschlagen und nicht – wie über Jahrhunderte angenommen und in der Kunst meist dargestellt – durch die Handflächen. Auf den Augen sind Münzen erkennbar, die nur in den Jahren 29 und 30 n. Chr. von Pontius Pilatus geprägt wurden. Ebenso wurden auf dem Tuch Pollenreste nachgewiesen von Pflanzen, die nur im Frühjahr im Nahen Osten vorkommen. Neueste Entdeckung: Der französische Forscher Pierre Thiery Castex hat einen aramäischen Schriftzug auf dem Grabtuch sichtbar gemacht: „Wir haben gefunden.“ Die Schrift ist also in einer Sprache, die nach dem Jahr 70 n. Chr. nicht mehr benutzt wurde.

Auffallend sind auch die Übereinstimmungen des Turiner Grabtuchs mit den beiden anderen wichtigsten Reliquien, die beanspruchen, „vera icona“ zu sein: das Muschelseidentuch von Manoppello (JF 52/2006) und das Schweißtuch von Oviedo. Übereinandergelegt sind die drei Tücher, die als „nicht von Menschenhand gemacht“ gelten, nahezu deckungsgleich.

Im Johannes-Evangelium wird berichtet, wie Petrus und Johannes zum Grab liefen, als sie von Maria Magdalena erfuhren, der Leichnam Jesu sei nicht mehr dort. Simon Petrus ging als erster in das Grab hinein. Der Evangelist schreibt: „Er sah die Leinenbinden liegen und das Schweißtuch, das auf dem Kopf Jesu gelegen hatte; es lag aber nicht bei den Leinenbinden, sondern zusammengebunden daneben an einer besonderen Stelle.“ (Joh 20,17) Das leere Grab ist das erste Zeugnis für die Auferstehung Jesu; aber erst die Erscheinungen des Auferstandenen lassen das, was hier erahnt wird, für die Jünger zur völligen Gewißheit werden. Dieser Leichnam wurde nicht weggebracht, sondern er hat aus eigener Kraft sein Grab verlassen.

Sehr alt sind die historischen Hinweise auf dieses Tuch. So soll schon Kaiser Konstantin bei der Schlacht an der Milvischen Brücke im Jahr 312 das Grabtuch als „heiliges Zeichen“ mitgeführt haben. Später soll das Grabtuch in das griechische Edessa gebracht worden sein, wo es im Jahr 544 die Bevölkerung von der Belagerung durch die Perser befreite. In Edessa finden sich zwei weitere Bilder, die starke Ähnlichkeiten mit dem Turiner Grabtuch aufweisen.

Schließlich soll das Tuch in die Hände der Tempelritter gelangt sein. Bei dem Prozeß, der 1314 zur Auflösung dieses Ordens führte, wurde gegen sie der Vorwurf erhoben, sie beteten das Bildnis eines Bärtigen an.

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