© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  14/10 02. April 2010

Nach dem Kampf um Leben und Tod
Knalliger Kontrast: Schmitt, Ritter und abermals „Der Begriff des Politischen“
Gerd Becker

Geboren als einer der ersten Untertanen Wilhelms II., gestorben am Ostersonntag 1985 als Bundesbürger unter dem letzten Kanzler der Bonner Republik: Carl Schmitts Leben ist halt ein eigener Kosmos von „großartigster Spannung“. Und damit nahm eine staunenswerte Rezeptionsgeschichte ihren Anfang, bei der es immer noch hauptsächlich darum geht, den Staatsrechtler und Staatsdenker Schmitt moralisch zu diskreditieren und intellektuell zu „widerlegen“.

Hierbei möchte auch der Göttinger Doktorand Mark Schweda, Jahrgang 1975, etwas mitmischen. Wie schon der schmittistische Apokalyptiker Jacob Taubes mutmaßte – zu einer Zeit, als der Alte in Plettenberg noch lebte und Schweda den Kindergarten besuchte –, lassen sich damals wie heute akademische Karrieren mit einem Tritt gegen den vermeintlichen „Kronjuristen des Dritten Reiches“ eben ein bißchen beschleunigen.

Schweda schreibt derzeit an einer Dissertation über den Philosophen Joachim Ritter (1903–1974). In dessen Nachlaß, den das Marbacher Literaturarchiv verwahrt, fand er bemerkenswerte „Schmittiana“. In der Frühjahrsnummer der Zeitschrift für Ideengeschichte (1/2010) breitet er seine Trouvaillen in ansprechend illustrierter Form aus, wohltuend altmodisches Zeitkolorit vermittelnd – damals wurden noch Briefe und Postkarten benötigt, um einen „Gedankenaustausch“ zwischen Plettenberg und Münster zu „pflegen“.

Dort an der westfälischen Wilhelms Universität lehrte Ritter seit 1946 und scharte die „Schule von Münster“ um sich, der in jüngster Zeit von Jens Hacke als „liberalkonservativer“ Gegenpol zur Frankfurter Schule eine Schlüsselstellung in der Geistesgeschichte der alten Bundesrepublik zugewiesen worden ist, indem er sie zu deren eigentlichen Gründervätern promovierte (JF 12/07). In dem medial omipräsenten Hermann Lübbe und dem „Transzendentalbelletristen“ (Selbstlob) Odo Marquard fand Ritter seine erfolgsreichsten Lautverstärker. Robert Spaemann wie Ernst Wolfgang Böckenförde, Martin Kriele wie Günter Rohrmoser sind von dem Aristoteles  und Hegel­-Deuter nicht unbeeindruckt geblieben.

Es charakterisiert die westdeutsche Nachkriegskultur, daß „Pluralismus“ damals noch mehr war als eine ideologische Vokabel der Bundeszentrale für politische Bildung. Ritter, enger Schüler des 1933 emigrierten Ernst Cassirer, während der englischen Kriegsgefangenschaft zudem nicht unempfindlich gegenüber den Avancen der „Reeducation“, kannte keine Berührungsängste, die ihn gehindert hätten, sich dem als „Schreckensmann“ verfemten Schmitt zuzuwenden. Schweda dokumentiert die überaus warmherzige, von Ritters größtem Respekt zeugende Korrespondenz, die einen begeistert aufgenommenen Gastvortrag Schmitts über die neue „globale Ordnung“ nach Ende des Zweiten Weltkrieges vorbereitet, gehalten in Münster im März 1957 im legendären Collegium Philosophicum. Der erschien dann übrigens 1995 nicht in einem von Schmitt aus dem Jenseits zum Druck beförderten Band „Staat–Großraum–Nomos“, wie Schweda anmerkt, sondern in einer magistralen Edition, die einen Herausgeber ausweist: Günter Maschke.

Wie Schweda berichtet, riß der Kontakt zwischen den beiden Gelehrten nicht ab, verlagerte sich aber wohl mehr auf eine Reihe intensiver Gespräche, die keine Archivspur hinterließen. Erst ein unveröffentlichter Entwurf, aus dem Ritters Beitrag zur Schmitt­-Festschrift von 1968 entstehen sollte, erlaubt es Schweda, seine Expedition zu den Quellen mit einem knalligen Kontrast abzuschließen, aufgehängt an Schmitts zehntausenfach traktiertem „Begriff des Politischen“.

Es fällt dem Doktoranden leicht, aus Ritters so unscheinbar betiteltem Typoskript („Die aristotelische Unterscheidung der Polis von den natürlichen Gemeinschaften“) einen fundamentalen Dissens aufzuzeigen zu dem, was Schmitts „berüchtigte“ Freund/Feind-Unterscheidung als das „Wesen“ des Politischen definiert. Politische Gemeinschaft entstehe bei dem Staatsrechtler aus der Abgrenzung. Einheit aus der Unterscheidung von anderen, feindlichen Einheiten im „Kampf auf Leben und Tod“. Eine solche von außen induzierte Vereinheitlichung müsse zwangsläufig auch eine „kompaktere“ innere Verfassung erzeugen.

Schweda interpretiert hier Schmitts „Begriff des Politischen“ so, als handle es sich um eine juristisch politologische Fußnote zur geläufigen These des Hohenzollern Historiographen Otto Hintze (1861–1940), der zufolge der Druck auf Preußens Grenzen das geringe Maß an innerer Freiheit im „Militärstaat“ bedingt habe. Durch diese Brille betrachtet, verdient Schmitts „Politikverständnis“ am Ende konsequent das Verdikt „archaisch“ – vor allem auch dann, wenn Schweda sich durch Ritters für die BRD Verhältnisse maßgeschneiderte Aristoteles Exegese legitimiert fühlen darf. Als „Besiegte von 1945“ hatten der ehemalige Wehrmachtsoffizier Ritter, der Marinefähnrich Lübbe oder der Napola Schüler Marquard ihren „Kampf auf Leben und Tod“ freilich hinter sich gebracht und mit dem Austritt aus der Weltgeschichte zugleich den „Abschied vom Prinzipiellen“ vollzogen. Nun ließ sich im rheinischen Idyll an die überschaubare aristotelische Polis anknüpfen und der Rat des Stagiriten befolgen, sich aus den Zweckbezügen „bloßer Selbstbehauptung“ zu lösen, um mit anderen seine „natürliche“ Anlage zum Guten zu entfalten und damit sein „Glück“ in einem auf „individuelle Freiheit bezogenen Gemeinwesen“ zu verwirklichen. Dieser Begriff des Politischen ist indes nur dann nicht ebenso „archaisch“ wie der Schmitts, wenn man es unterläßt zu fragen, wer eigentlich dieses individuelle „Glück“ im Winkel bezahlt.

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