© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Mit Allgemeinplätzen gegen Gewaltwelle
Hamburg: Die Parteien in der Hansestadt reagieren hilflos auf die zahlreichen Prügelattacken vor allem südländischer Jugendlicher
Sverre Schacht

Jugendgewalt ist im Hamburger Stadtteil Billstedt ein Dauerthema – trotz immer neuer Präventionsmaßnahmen. Am 20. März endete sie für einen 19jährigen fast tödlich. Er war mit der Freundin unterwegs zum Bus. Ohne Vorwarnung oder Streit erfolgte die Attacke: Eine Gruppe von fünf oder sechs als südländisch beschriebenen Jugendlichen riß ihn gemeinsam zu Boden, attackierte massiv seinen Kopf, als er schon am Boden lag. Das Opfer erlitt lebensgefährliche Verletzungen. Einziges Ziel der Angreifer: seine Brieftasche.

Der Fall beschäftigt jetzt Hamburgs Politiker, denn die Tat zeugt nicht nur von besonderer Brutalität: Vier der inzwischen aufgegriffenen mutmaßlichen Täter sind erst 14 oder 15 Jahre alt. Zudem ist es nur einer in einer Reihe von spektakulären Fällen, bei denen die Täter oft ein langes Vorstrafenregister haben und doch keine Strafe zu spüren bekamen. So starb im Juni 2009 ein 44jähriger nach einer Attacke durch zwei 16 und 17 Jahre alte Jugendliche – er wollte ihnen kein Geld geben. Videoaufnahmen führten auf die Spur der Täter.

Mitte Februar hatten zwei Jugendliche einen Mann in einem Bus ins Koma geprügelt. Auch hier konnten die Täter dank einer Überwachungskamera gefaßt werden (siehe Foto). Im Oktober stießen drei junge Frauen einen 51jährigen aus der U-Bahn, weil er einen Streit schlichten wollte. Das 2007 gestartete Hamburger Anti-Gewalt-Programm ist angesichts zahlreicher Fälle von Laissez-faire gegenüber bekannten Tätern klar gescheitert. Die Statistik zeigt: Junge Intensivtäter ausländischer Herkunft sind ein schwerwiegendes Problem, auf den die Rechtspraxis nicht wegen Gesetzeslücken, sondern eher aufgrund politischer Fehlsteuerung keine Antwort findet. Seit Jahren wissen Politiker um die Zustände in Billstedt. Dabei liegt der Bezirk, obwohl sozialer Brennpunkt, in der Gewaltstatistik nicht einmal an der Spitze.

Die Innere Sicherheit, einst Renommierthema der CDU-Regierungskoalition von 2001, dient nun ausgerechnet der SPD zur Profilierung „In vielen Fällen sind Gewalttäter türkische oder arabische Jugendliche“, stellt SPD-Jugendpolitiker Thomas Böwer fest. Die SPD-Abgeordneten Andreas Dressel und Anja Domres nutzen jetzt die Antwort auf ihre Kleine Anfrage an den schwarz-grünen Senat zur Attacke gegen die offenbar lax gehandhabte Umsetzung des Jugendschutzes seitens Schwarz-Grün. Nur 42 Bußgeldverfahren 2009 – für eine Millionenstadt ein „Witz“, sagte Dressel.

Kampf gegen Alkoholkonsum als Vorstufe von Gewalt steht im Zentrum der Lösungsansätze der SPD. Polizisten mit Praxiserfahrung bewerten Bußgelder und Alkohol-Testkäufe nicht als Königsweg gegen Jugendgewalt, mehr Sanktionen bei Verletzungen der Schulpflicht schon eher. Das versuchten jüngst die „Polizeitage 2010“ auch der CDU zu vermitteln, doch solche Ansätze sind bei Politikern unbeliebt. Ziellos vorbeugen statt konsequent ahnden, heißt der neue, alte Ansatz von Regierung bis Opposition – Aktionismus statt längst mehrheitsfähigem Durchgreifen.

Der Eindruck, daß hinter den Kulissen allen Parteien am Erhalt eines Status quo gelegen ist, erhärtet sich beim Blick auf die Antwort der Grünen auf die neue Stufe der Gewalt. Statt Forderungen nach früherer Bestrafung, beschleunigten Prozessen oder gar Warnschuß-Arrest sind vom Partner der CDU und künftigen Wunsch-Partner der SPD Allgemeinplätze zu hören. Christiane Blömeke, jugendpolitische Sprecherin aus dem eher problemfernen Wahlkreis Alstertal, fällt zum aktuellen Vorfall nur ein, Gewalt im Bewußtsein der Kinder zu ächten – konkrete Maßnahmen: keine. Ihr Partner, die CDU, wagt derweil weiter eine Politik der zwei Gesichter: Sichtbare Einschnitte bei der öffentlichen Sicherheit wird sie in der Sparklausur im Herbst zu umgehen suchen, zugleich aber wenig tun, um die aus ihren Reihen jetzt geforderten Reformen der Rechtspraxis voranzutreiben.

Denn die würden den grünen Partner schwächen. Schon die oft erfolgreiche Videoüberwachung ist deren Klientel verhaßt. Sie sei nur gerechtfertigt, wenn „keine weniger belastenden Alternativen möglich sind und die Videoüberwachung die beabsichtigten Zwecke eindeutig erreicht“, fordert die Grünen-Fraktion im Internet – kurzum, Polizisten müssen ständig beweisen, daß es auf keinen Fall anders geht. Dauerprüfstand statt politischer Rückendeckung für Polizei und Justiz sind die Folge.

Foto: Jugendliche Angreifer in einem Bus: Kritik an Videoüberwachung

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen