© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Vielfalt zwischen Kies und Naturschutz
Klimawandel: Anpassungsstrategien zum Artenschutz sind gefragt / Hochwasserschutz kontra Kulturlandschaften
Volker Kempf

Der Klimawandel beeinflußt die zukünftige Entwicklung der Natur. Gesellschaften müssen hierauf reagieren. Hierzu gibt es auch zahlreiche Forschungsaktivitäten im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz (BfN). An den von der Bonner Behörde geleiteten Forschungsinitiativen „Biologische Vielfalt und Klimawandel“ sind 27 Projekte angeschlossen sowie 46 Hochschulen, Wissenschaftseinrichtungen und Gutachterbüros beteiligt. Auf der Statuskonferenz des BfN wurden kürzlich deren Forschungsergebnisse vorgestellt.

Wasserbilanz wichtiger als die steigenden Temperaturen

Dabei sollen zunächst die bereits beobachteten Auswirkungen des Klimawandels auf Natur und Landschaft erfaßt und für die anzunehmenden zukünftigen Entwicklungen genutzt werden. Für viele Lebensräume in Deutschland spielten die mit der Erwärmung einhergehenden Veränderungen der Wasserbilanz eine größere Rolle als die steigenden Temperaturen selbst, erklärte BfN-Präsidentin Beate Jessel in Bonn. Damit rückt der Hochwasserschutz aufgrund von Überflutungsgefahren erneut in den Mittelpunkt des Interesses. Eine im Auftrag des BfN erstellte Studie zum Zustand der Flußauen in Deutschland macht den Handlungsbedarf deutlich: Zwei Drittel der ehemaligen natürlichen Überschwemmungsflächen an den Flüssen sind demnach bereits vernichtet. Der Schutz und die Wiedergewinnung von Flußauen erforderten daher nicht nur die Anpassung des Menschen an den Klimawandel, sondern dienten auch dem Naturschutz.

Damit wird ein brisantes Feld betreten. Betrachtet man die Diskussionen in potentiellen Überschwemmungsgebieten, dann werden dort andere Auffassungen vertreten. Die Rheinauen zwischen Weil und Burkheim beispielsweise seien längst Refugien der Natur und glichen einem Urwald, heißt es von seiten lokaler Umweltschützer. Hier nun 55 Millionen Tonnen Kies für den Hochwasserschutz auszubaggern, würde zunächst die Vernichtung bestehender Flora und Fauna bedeuten. Was dann auf kiesigem Grund nachwächst, bleibe fraglich. Man müsse der Natur Zeit geben sich zu entfalten, nicht sie ständig unter neue Bedingungen stellen und das als Naturschutz verkaufen, so die Kritik.

Gerade am Oberrhein ist das Thema Kiesausbaggerung politisch besonders brisant. Nach Korruptionsvorwürfen gegen den Staatssekretär im Finanzministerium, Gundolf Fleischer (CDU), stand dieser für eine Wiederberufung im Kabinett des neuen Ministerpräsidenten Stafan Mappus nicht mehr zur Verfügung. Als Schuldeingeständnis wollte Fleischer das nicht verstanden wissen, sondern nur als Beitrag dazu, Mappus die Amtsführung zu erleichtern.

Der Kiesabbau für ein Hochwasserbauprojekt am Oberrhein sei trotz Empfehlung des Bundesrechnungshofs seit zwei Jahren verzögert worden, da eine Gruppe von Kies- und Baufirmen aus Fleischers Wahlkreis nicht zum Zuge komme, schrieb die Lokalpresse. Fleischer beteuert, korrekt gehandelt zu haben. Er sitzt aber im Beirat von Alcadama – der Firma gehörte eines der Schotterwerke, die sich um Hochwasserschutzaufträge beworben hatten und an Fleischers CDU-Kreisverband spendeten.

Anpassung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen

Der Ex-Staatssekretär dürfte mit seiner Verzögerungstaktik sowohl den Gegnern der Kiesausbaggerung als auch Alcadama und anderen Firmen geholfen haben. Der Rechnungshof hat geprüft, doch die Interpretationen darüber, ob Fleischer die Interessen des Landes zurückgestellt habe, bleibt sowohl parteiintern wie auch zwischen Regierung und Opposition umstritten.

Wie dringlich die Kiesausbaggerung auch ist, wie uneinheitlich die Stimmen hierzu auch aus Naturschutzsicht dazu ausfallen: Als gesichert gilt, daß durch den Klimawandel als solchen auch mit Änderungen im Spektrum der Pflanzen- und Tierarten zu rechnen ist. Eine hohe Gefährdung wird unter den in Deutschland brütenden Vogelarten wie Seeadler, Schwarzstorch, Wiesenweihe und Kranich erwartet. „Aber auch für viele der heimischen Pflanzenarten werden sich die klimatisch geeigneten Gebiete verkleinern“, warnt Jessel.

Für den Naturschutz stelle sich die Frage, wie man den betroffenen Arten dabei helfen kann, den Klimaveränderungen standzuhalten, oder ihnen eine Ausbreitung in andere, besser geeignete Lebensräume ermöglichen kann. Erste Forschungsergebnisse schlagen eine Anpassung von Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen sowie eine veränderte Ausgestaltung von Schutzgebieten vor.

Außerdem wird von Naturwissenschaftlern gefordert, die Ausbreitung von Arten aus naturnahen Lebensräumen durch Trittsteine und Korridore zu erleichtern oder in der Landschaftsplanung stärker dynamische Naturentwicklungen zu berücksichtigen. Die Refugien, in denen Natur ohne Schutzmaßnahmen des Menschen anzutreffen sind, werden damit immer geringer, wie der Soziologe Helmut Schelsky schon 1965 in seiner Aufsatzsammlung „Auf der Suche nach Wirklichkeit“ meinte und dabei die Großtierarten im Blick hatte. Der Fortschritt ist weitergegangen.

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