© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Plötzlich ist alles prima
Bäumchen wechsle dich: „Cicero“ verabschiedet sich endgültig von seinem konservativen Ruf
Erik Lehnert

Als im Oktober letzten Jahres bekanntwurde, daß der Chefredakteur der Monatszeitschrift Cicero, Wolfram Weimer (45), nach München zum Focus wechseln würde, war die Überraschung groß. Weimer hatte den Cicero vor sechs Jahren gegründet und schien mit ihm so verwachsen wie Rudolf Augstein mit dem Spiegel oder Helmut Markwort mit dem Focus. Zwei Monate später folgte dann die Nachricht, mit der man noch weniger rechnen konnte: Michael Naumann wird der Nachfolger Weimers beim Cicero. Wenn zwischen Weimer und Focus noch Gemeinsamkeiten zu entdecken waren, so ist das bei Naumann und Cicero beinahe ein Ding der Unmöglichkeit.

Der Cicero galt bis dahin als konservatives Magazin, und Naumann hatte aus seiner linken Weltanschauung nie einen Hehl gemacht. Das SPD-Mitglied war unter Gerhard Schröder Kulturstaatsminister und bewarb sich vor zwei Jahren in Hamburg erfolglos um das Amt des Ersten Bürgermeisters. Vor seinem Cicero-Engagement war Naumann Herausgeber der Zeit, für die er schon in den siebziger und achtziger Jahren journalistisch tätig war. Anschließend arbeitete er als Geschäftsführer und Verleger für die Holtz­brinck-Verlagsgruppe, zu der seit 1996 auch die Zeit gehört. Für Cicero ist Naumann ausdrücklich als Chefredakteur verpflichtet worden. Damit ist er für die inhaltliche Ausrichtung der Zeitschrift verantwortlich. Auf den ersten Blick mag Naumanns Verpflichtung daher paradox erscheinen. Bei näherem Hinschauen ist sie vor allem konsequent.

Der Cicero erscheint im Schweizer Verlagshaus Ringier, das von Michael Ringier geleitet wird. Dessen Chefpublizist und Ideengeber Frank A. Meyer war es, der in der zweiten Amtszeit den Kontakt zu Gerhard Schröder herstellte, der schließlich im November 2005, nach Schröders Abwahl, in einen Beratervertrag Schröders bei Ringier mündete. Jürg Altwegg schrieb damals in der FAZ: Schröder „ist die Beute, die Frank A. Meyer aus Berlin nach Zürich gebracht hat – seine edelste Trophäe, ein Geschenk für seinen Verleger“.

Frank A. Meyer ist in fast jeder Cicero-Ausgabe mit einem Kommentar vertreten, der meist den linksliberalen Kontrapunkt zu Weimer darstellte; außerdem ist er Mitglied im Publizistischen Beirat des Cicero. Dort sitzt ebenfalls schon lange der ehemalige Stern-Journalist Heiko Gebhardt, der zu den engsten Schröder-Vertrauten zählen soll („Schröders Flüsterer für Bodenhaftung“, Welt). Es war auch kein Zufall, daß Schröder das Cover der ersten Cicero-Ausgabe zierte und darin selber mit einem Beitrag vertreten war.

Auch wenn die Übernahme der Chefredaktion durch Michael Naumann insofern konsequent ist, bleibt eine weltanschauliche Diskrepanz zu Wolfram Weimer bestehen. Der frühere Wirtschaftsredakteur der FAZ und Chefredakteur der Welt war für den konservativen Ruf des Cicero verantwortlich. In der ersten Ausgabe (April 2004) wetterte er gegen Pessimismus und Ironie, die Deutschland in die Lethargie und Bedeutungslosigkeit getrieben hätten. Statt dessen müsse man „die Grundmauern der Tradition wieder freilegen, das Politische wieder als das Bürgerliche begreifen, das Kulturelle als das Eigene, vielleicht sogar das Religiöse als das Sinnstiftende entdecken“.

Die Hoffnungen, die sich an diesem Credo entzündeten, schien Weimer zu erfüllen, als er im Mai 2007 eine kurze Anleitung zum Konservativsein veröffentlichte, deren „wichtigste Lektion“ lautete: Das Leben des Konservativen „kommt schließlich aus dem, was immer gilt, und nicht aus dem, was gestern war“. Cicero-Titel wie „Vergeßt Habermas!“ (November 2006) oder zuletzt Sloterdijks „Bürgerliches Manifest“ (November 2009) sollten diesen Anspruch unterstreichen.

Daß Weimer ihn nicht einlösen konnte, machte nicht zuletzt sein Buch „Freiheit, Gleichheit, Bürgerlichkeit. Warum die Krise uns konservativ macht“ (2009) deutlich. Weimers Konservatismus beschränkt sich auf die Bürgerlichkeit der neuen Mitte. Was ihm fehlt, sind Ernsthaftigkeit und der Mut, die richtigen Fragen zu stellen. Dementsprechend hat Weimer in seiner Abschiedskolumne (Dezember 2009) ein Loblied auf das gegenwärtige Deutschland angestimmt. Von der „Argentinisierung“ Deutschlands ist nun nicht mehr die Rede. Heute ist alles prima: Die Krise war nur eine Kurzrezession, und „Deutschland hat mit souveräner Ruhe eine bürgerliche Regierung der Mitte gerufen“.

Wenigstens in diesem Punkt besteht kein Konsens mit seinem Nachfolger Naumann. Dessen erster Kommentar (März 2010) widmet sich dem „Schweigen der Angela Merkel“ („Wir hören das längste Pausenzeichen einer frisch gewählten Regierung in der deutschen Nachkriegszeit“) und empfiehlt ihr Schröders „Basta-Kompetenz“ zum Vorbild. Zuletzt (April 2010) hat sich Naumann die „globale Finanzwirtschaft“ vorgenommen und deren „strukturelle Gier“ bemängelt – eine Absage an den Neoliberalismus.

Das fehlende Schlußwort Weimers und Naumanns Kommentare sind (neben der „Zeitlos“-Rubrik mit Zitaten großer Denker) bislang die auffälligste Neuerung im Cicero. Da die Verkaufszahlen des Magazins seit seiner Gründung kontinuierlich auf aktuell 82.000 Exemplare gestiegen sind, besteht auch kaum Anlaß für formale Neuerungen. Inhaltlich wird sich in den nächsten Monaten vermutlich einiges tun, da Weimer seine wichtigsten Mitarbeiter (Christine Eichel, Markus C. Hurek) mit zum Focus genommen hat.

Dafür wird Naumann seine Leute mitbringen. Den Anfang macht Hartmut Palmer, der kommissarischer Stellvertreter Naumanns, der über 20 Jahre für den Spiegel tätig war und auch bereits für das SPD-Organ Vorwärts geschrieben hat. Da der Cicero nur über eine kleine Redaktion verfügt, wird die inhaltliche Ausrichtung vor allem davon abhängen, wer dort in Zukunft schreibt. Welt-Korrespondent Alan Posener, der selbst kurz als Weimer-Nachfolger im Gespräch war, durfte sich bereits über das „selektive Gedächtnis“ des Papstes (Februar 2010) verbreiten, während der linksliberale Zeit-Journalist Werner A. Perger den „Extremisten“ Geert Wilders (April 2010) porträtierte.

Sonst hat sich noch nicht viel getan. Durch die Verpflichtung Naumanns ist nur etwas offenbar geworden, was man immer wissen konnte: Der Cicero war und ist kein konservatives Magazin. Daß er jahrelang als solches galt, zeigt, wie dankbar das Publikum selbst kleinste Andeutungen aus dieser Richtung aufnimmt.

Foto: Michael Naumann, seit Februar neuer Chef der Zeitschrift „Cicero“: Weltanschauliche Diskrepanz zu seinem Vorgänger Wolfram Weimer

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