© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  15/10 09. April 2010

Fleisch der Heimat
Politische Zeichenlehre XCVI: Eber
Karlheinz Weissmann

Die Auseinandersetzung um die „Halal-Burger“ in Frankreich ist abgeklungen. Das heißt nicht, daß sie erledigt wäre, denn Speisegebote und -verbote sind Identitätsmerkmale ersten Ranges. Ob die Imbißkette Quick in einigen ihrer Niederlassungen nur noch schweinefleischfreie Hamburger serviert, ist also keineswegs nur Geschmacksfrage und der Hinweis des Grünen-Politikers Daniel Cohn-Bendits auf analoge Probleme im Hinblick auf koscheres Essen zutreffend.

Im Islam wie im Judentum gilt das Schwein als unreines Tier, dessen Verzehr darum verboten ist. Noch im Gleichnis vom verlorenen Sohn kommt der ganze Widerwille zum Ausdruck, wenn als Bild des absoluten Tiefstands menschlicher Existenz der Schweinehirte benutzt wird, der darum bitten muß, vom Schweinefutter nehmen zu dürfen. Umgekehrt rächt sich Joseph Roths Hiob an Jahwe, indem er ins Italienerviertel fährt und dort nach Herzenslust Schweinefleisch verzehrt.

Wie viele Speisetabus ist auch dieses tief verankert, sehr alt und nicht eigentlich rational erklärbar. Denn die oft vorgetragene Begründung, daß Schweinefleisch im orientalischen Klima rasch verderbe und von Trichinen befallen werde, wirkt insofern wenig überzeugend, als im palästinensischen Raum auch ein Volk lebte, das ganz offenbar Schweinefleisch bevorzugte, ohne gesundheitlichen Schaden zu nehmen. Gemeint sind die Philister, die Erzfeinde Israels. Archäologen haben immer wieder darauf hingewiesen, daß angesichts sonst fehlender Indikatoren das Vorhandensein oder das Fehlen von Schweineknochen zur relativ sicheren Klärung der Frage dient, ob man es mit einer Siedlung der alten Hebräer zu tun hat oder nicht.

Die Philister gehörten ursprünglich zur „Seevölker“-Koalition, einer Art Piratenverband im großen, dem sich auch Europäer angeschlossen hatten. Ob sie das Schwein nur als Fleischlieferanten schätzten oder ihm einen symbolischen Wert zuerkannten, ist unklar. Immerhin hat Israel seinen Feind als „wilden Eber“ (Psalm 80,14) bezeichnet. Der kam als Symboltier eines kriegerischen Volkes auch eher in Frage, während das domestizierte Schwein bestenfalls als Sinnbild der Fruchtbarkeit (etwa im antiken Ägypten) taugte.

Der Eber gehörte jedenfalls zu den wichtigen Emblemen der indogermanischen Völker. Seine Darstellung war an der Standarte des parthischen Kriegsgottes Verethragna befestigt, von Beowulf wird berichtet, daß er einen Helm aus „Eberzähnen“ trug. Es gibt archäologische Funde, die zeigen, daß sowohl germanische als auch keltische Krieger den Eber häufig auf ihren Waffen abbildeten. Für die Kelten galt er außerdem als heiliges Tier, das den Druiden  zugewiesen wurde, da der Eber so weise war, daß er Eicheln, also die Früchte des heiligen Baums fraß.

In der Nähe des Ortes Euffigneix, an der oberen Marne, wurde die Figur einer männlichen Gottheit aus gallo-römischer Zeit gefunden, auf deren Brust ein Eber emporschreitet. Bei den Kelten wie den Römern gab es außerdem Feldzeichen mit Stangen, an denen die Darstellung eines Ebers beziehungsweise Eberkopfes zu sehen war. Die besondere Stellung blieb im Mittelalter anfangs erhalten, und der Eber war ein relativ häufiges Wappenbild des Adels. Allerdings wurde die Figur unter dem Eindruck höfischer Vorstellungen von Eleganz allmählich verdrängt.

Die ursprüngliche Bedeutung des Eber-Symbols hat erst die „Keltomanie“ im Frankreich des 19. Jahrhunderts wiederentdeckt, und heute greifen jene Gruppen in Frankreich, Belgien und Oberitalien darauf zurück, die sich als „Identitäre“ bezeichnen. Der im April 2003 gegründete Bloc identitaire verwendet jedenfalls einen Eber in keltisierendem Stil als Abzeichen, auf Kleidungsstücken, Aufklebern und Plakaten. Der Bloc ist weniger eine politische als eine propagandistische Einheit. Zu seinen bevorzugten Zielen gehört die Agitation gegen die Globalisierung – von rechts –, gegen Einwanderung und Islamisierung Europas und die Popularisierung der eigenen Ideen durch die Rockmusik (vor allem der Gruppe Fraction).

Zu den Aktionen der Identitären gehörte in der Vergangenheit schon die Suppenküche für Arme und Obdachlose, die nur „soupe identitaire“ – Eintopf mit Schweinefleisch – verteilte, und im März hat ein Trupp von „Identitären“ eine Filiale von Quick besucht, in der „Halal-Burger“ verkauft werden, maskiert mit Schweineköpfen und Schildern samt Aufschrift „Ich bin ein dummes Schwein“.

Die JF-Serie „Politische Zeichenlehre“ des Historikers Karlheinz Weißmann wird in zwei Wochen fortgesetzt.

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