© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Kurzfristige Versöhnung
Die Trauer um die Toten von Katyn verdeckt nur die Spaltung Polens
Andrzej Madela

Für seine Gegner war Lech  Kaczyński gerade wegen seiner unverrückbaren Überzeugungen ein Mann von gestern – weder ein  Anpassungs-Profi aus der Kaderschmiede der ehemaligen KP Polens (PVAP) noch ein blitzlichterprobter Aufsteiger von 1989. Die Reserviertheit einer gewaltigen Medienmehrheit kam von ebenda: von der Überzeugung, hier sei ein verkrampfter Unbeleckter am Werk, unfähig, eine gestylte „Überzeugung“ in bedarfsgerechtem Design abzuliefern, ein Polit-Amateur mithin, der sich ohne jede Not national „outet“. Andere, wesentlich Einsichtigere, begriffen den Zeitgeist auf Anhieb, sie erwiesen sich gerade hierin als geschmeidiger. Das brachte Pluspunkte auf der Popularitätsskala – und die erneute Möglichkeit, den Präsidenten dem Billigspott der Gazeta Wyborcza zu überlassen.

Hingegen empfahl er sich oft als ein Politiker, der in Zeiten beschleunigter medialer Verwertung für einen schwer absetzbaren Stoff eintrat: das nationale Gedächtnis. Hier gab es für ihn nichts zu verhandeln. Erst zu Zeiten seiner Präsidentschaft sind daher diejenigen zu Auszeichnungen, Ehren und öffentlicher Anerkennung gekommen, die seine Vorgänger geflissentlich übersahen: Soldaten des Warschauer Aufstands, Männer und Frauen des antikommunistischen Untergrunds, Aktivisten der Opposition der siebziger und achtziger Jahre. Er forcierte das nationale Gedächtnis bis zur Unpopularität, indem er gegen immensen Widerstand ein Museum des Warschauer Aufstandes und ein Institut für Nationales Gedenken durchboxte, das diesen Namen auch verdient.

Daher mag sein Tod wie eine Ironie der Geschichte anmuten. Ausgerechnet einer, für den nationale Identität alles und politisches Marketing nichts bedeuten, verliert sein Leben am Rande jenes Wäldchens, in dem exakt 70 Jahre zuvor schon einmal ein polnisches Trauma seinen Anfang genommen hat. Und ausgerechnet demjenigen, den einige Wochen zuvor linksliberale Medien zum unpopulärsten Präsidenten nach 1989 kürten, schlägt nach seinem Tod eine Welle von begeisterter Zustimmung entgegen, von der er zu Lebzeiten nicht einmal geträumt hatte.

Dieser plötzliche Umschwung der  Sympathie scheint rätselhaft. Möglicherweise ist dies aber auch keiner. Vermutlich war die Anhängerschaft des Präsidenten schon immer wesentlich größer als die nationalkonservative Stammwählerschaft der PiS. Wer die polnische Landschaft einigermaßen konsequent beobachtet, wird schnell feststellen, daß dort die Diskrepanz zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung besonders kraß zutage tritt.

Grundlage seiner Popularität bildete bis 2007 die Bevölkerung auf dem Lande und in der Kleinstadt, die gerne für die klassische, auf den Vorrang eigener nationaler Interessen gestützte Position votiert. Diese aber befindet sich seitdem in der Defensive. Die neue, urbane, mobile und wohlhabende Mittelklasse sieht die Garantie ihres Fortkommens in der Verquickung polnischer und europäischer Interessen und fegt ihre Gegnerschaft konsequent beiseite. Das Ergebnis dieses Prozesses ist  ein politisch tief gespaltenes Land. Der Prozeß exerziert im großen vor, was die Regierung mit dem Staatsoberhaupt im kleinen vollzog.

Prominentestes Opfer dieser Entwicklung war aber der Staatspräsident selbst. Gegenüber dem geschmeidigeren und taktisch geschickteren Premier Tusk zog er regelmäßig den kürzeren, die Demontage seines Ansehens war bei der Regierung Tagesgeschäft. Hinter dem – oft grotesken, fast immer unwürdigen – Machtgezerre verbarg sich freilich  Kaczyńskis Sorge um den Zustand des Staates, den er im Ausverkauf sah und der nach seiner Einschätzung von Jahr zu Jahr immer schwächer, inkonsequenter, ja zahnloser agierte.

Ein letztes Mal griff er ins Geschehen ein, während er sich selbst als einen Gast bei den Trauerfeiern in Katyn ins Gespräch brachte. Die Regierung brüskierte den Staatschef und hielt ihre eigene Feier ab. Den Verlierer stellte die mehrheitlich Tusk zugeneigte Medienwelt als einen überforderten Amtsinhaber hin, der unbefugt ins Getriebe der Staatsmaschinerie eingreift und diese durch fehlende Sachkenntnis immer wieder ins Stocken bringt.

Kaczyńskis Tod beendet diese permanente Ehrabschneidung und ruft zugunsten des Verlierers eine Welle medial kurzfristigen Mitleids hervor, dessen Ausmaß angesichts jüngster Aktivität gegen den Präsidenten geradezu unnatürlich wirkt. Es ist bezeichnend, daß die umfangreichste Berichterstattung gerade dort stattfindet, wo noch Stunden zuvor der Wille zur Demontage am stärksten ausgeprägt war. Möglicherweise überdeckt die Dimension der medial inszenierten Trauer die politische Spaltung Polens, die noch vor Tagen mit Händen zu greifen war. Man kann die Behauptung riskieren, daß die Größe der Trauer spiegelbildlich den Beitrag verdeutlicht, den die einzelnen Medien zu Lebzeiten des Präsidenten zur Demontage seines Ansehens geleistet haben.

Diesen heuchlerischen Zug wird auch Zwillingsbruder, Ex-Premier und PiS-Chef Jarosław Kaczyński deutlich erkannt haben. Als er zur Identifizierung des Bruders nach Smolensk flog, weigerte er sich, das Regierungszelt zu betreten, in dem neben Wladimir Putin auch Premier Tusk auf ihn wartete. Schon deswegen ist anzunehmen, daß die mittlerweile landesweit inszenierte Versöhnung tatsächlich sehr kurze Beine hat.

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