© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

„Du mußt etwas tun!“
Die konservative Tea-Party-Bewegung überrollt die USA
Moritz Schwarz

Frau Kremer, seit dem 27. März sind Sie mit dem „Tea Party Express“ unterwegs quer durch die USA, um für eine konservative Bürgerrevolution zu werben.

Kremer: Es ist toll: 44 Städte in zwanzig Tagen! Gerade fahren wir durch Colorado, die Landschaft hier ist ziemlich bergig, und ich hoffe, mein Telefon verliert nicht den Kontakt. Die Stimmung bei uns im Bus ist großartig, denn wo wir hinkommen, werden wir mit Jubel empfangen. Gerade waren wir in Denver, es war ein voller Erfolg: Die Leute waren begeistert von unserem Auftritt!

Die deutsche ARD-Tagesschau berichtete zum Start Ihrer Tour: „Drei Wochen fährt der Buskonvoi durchs Land“, um bis zu den Kongreßwahlen im November „die Wut am Kochen zu halten“.

Kremer: Ich finde, das klingt irgendwie negativ. Tatsächlich feiern wir, wo wir hinkommen! Bei jedem Halt steigt eine kleine „Tea Party“: Wir feiern unser Land, unsere Verfassung, unsere Freiheiten und Bürgerrechte! Wir bringen die Menschen zusammen und schaffen Bewußtsein für die politischen Probleme und unsere Ziele. In jeder Stadt gewinnen wir neue Anhänger. Sie müßten dabei sein: Es ist so ein Erfolg! Wir planen bereits einen 4. Express im Herbst vor den Kongreßwahlen.

Ihre Tour ist quasi der Countdown zur nächsten US-weiten Protestaktion der Tea-Party-Bewegung: Am Donnerstag, den 15. April, endet der Express in Washington, um an der – nach Einschätzung von Beobachtern – „größten politischen Demonstration der USA des Jahres 2010“ teilzunehmen.

Kremer: Genau, der 15. April, der amerikanische „Tax Day“ – der Stichtag für die Abgabe der Steuererklärung in den USA –, soll zum Symbol für die Macht des Bürgerprotests gegen die Regierung werden. Im ganzen Land werden überall Tea Parties stattfinden: Hunderttausende werden in den USA auf die Straße gehen. Wir selbst werden bei der zentralen Hauptdemonstration in Washington dabei sein.

Bei der letzten nationalen Massenveranstaltung der Tea-Party-Bewegung, dem „Steuerzahler-Marsch auf Washington“ im September 2009, sollen zwischen „einigen zehntausend“ und 800.000 Teilnehmer zusammengekommen sein – je nachdem, welcher Quelle man glaubt.

Kremer: Sie können bei jeder öffentlichen Veranstaltung immer widersprüchliche Angaben über die Teilnehmerzahlen zitieren. Wir gehen jedenfalls von unseren Zahlen aus: Tatsächlich demonstrierten am 12. September 2009 in den gesamten USA zusammengenommen etwa 1,7 Millionen Tea-Party-Patrioten gegen die Politik der Regierung. Und wir rechnen damit, daß wir diese Zahl am 15. April noch übertreffen werden.

Der „Washington Independent“ spricht von der „größten konservativen Demonstrationen“, die die US-Hauptstadt je gesehen hat.

Kremer: In den Medien heißt es, wir hätten Obamas „Yes, we can“-Bewegung als größte politische Bewegung der USA abgelöst. Bei „Yes, we can“, auch wenn ich die Politik der Regierung Obama ablehne, ging es darum, daß eine Bürgerbewegung eine etablierte Politik beenden kann – und das ist auch gelungen. Daß dies nicht zum Segen unseres Landes geschehen ist, ist eine andere Frage. Der Punkt ist: Auch die Tea-Party-Bewegung zeigt den Mächtigen, daß sie die Macht nur vom Volk geliehen haben. Und noch wichtiger, sie zeigt dies auch den Bürgern! Amerikaner holt, euch euer Land zurück: „Yes, we can!“ Das gilt genauso für uns.

Die derzeit größte politische Bewegung der USA ist 2009 wie aus dem Nichts entstanden.

Kremer: Weil plötzlich immer mehr Bürger die Nase voll davon hatten, daß die Regierung uns mit Steuern gängelt, sich immer mehr einmischt und die Ausgaben ins Uferlose wachsen. Konkret ist die Tea-Party-Bewegung ein Produkt der neuen sozialen Medien wie Facebook oder Twitter. Dank dieser wurde im Februar 2009 aus der spontanen Idee einer Handvoll Leuten innerhalb nur einer einzigen Woche eine nationale Bewegung in vierzig US-Städten. Und seitdem wächst die Bewegung ohne Unterlaß weiter! Heute ruht die Bewegung auf drei Prinzipien: freie Marktwirtschaft statt Sozialismus, Verantwortlichkeit der Politik gegenüber dem Bürger und „limited government“ statt „big government“, also „begrenzte Regierung“ statt „totale Regierung“, sprich Regierungshandeln muß auf das Notwendige beschränkt bleiben und darf sich nicht in immer mehr Bereiche unseres Lebens einmischen.

Nancy Pelosi, die demokratische Sprecherin des US-Repräsentantenhauses, nennt die Tea-Party-Bewegung „unamerikanisch“.

Kremer: Diese Kritik war ja wohl die Höhe! Tatsächlich verkörpern wir doch das Gegenteil: nämlich die amerikanischen Werte. Amerikanisch ist eine Regierung vom Volk  durch das Volk für das Volk. Das ist doch nichts weiter, als die hilflose Reaktion einer etablierten Politikerin, die die Stimme des Volkes nicht hören will.

Sind Sie der „radikale Flügel der Republikanischen Partei“, wie ein Beobachter schreibt?

Kremer: Unsinn, wir sind Bürger und Amerikaner, keine Parteipolitiker oder Radikalen. Wenn Sie tausend Tea-Party-Patrioten befragen, werden Sie tausend verschiedene Ansichten hören. Nur in einem sind wir uns einig: in unserem Kampf für die amerikanischen Werte, ganz egal, ob man sonst Anhänger der Republikaner, der Demokraten oder einer anderen Partei ist. 

Der „rechte Volkszorn“ nennt Sie die „Welt“, die „konservative Gegenrevolution“ die „Zeit“.

Kremer: Wir stehen für konservative Werte, ja, aber wir sind nicht rechtsgerichtet.

Was ist da der Unterschied?

Kremer: Wir stehen für die Werte ein, auf denen unsere Nation seit ihrer Gründung fußt. Wir sind also keine parteipolitische, sondern eine amerikanische Bewegung.

Tatsächlich setzen Sie aber die „konservativen“ Republikaner von rechts unter Druck.

Kremer: Ich sage ja, daß unsere Werte konservativ sind. Daher mag uns die politische Agenda der Republikaner vielleicht näher sein. Aber das macht uns nicht zum Anhängsel einer Partei. Wenn die Republikaner auf unseren Protest reagieren, um so besser. Wir wollen allerdings genauso die Demokraten und die Regierung unter Druck setzen.

Auch in Deutschland versucht derzeit eine Protestbewegung, die „Aktion Linkstrend stoppen“ (JF berichtete), von konservativer Seite Druck auf die Christdemokratische Partei auszuüben, allerdings bislang ohne großen Erfolg.

Kremer: Ich muß zugeben, daß ich mich mit Deutschland nicht auskenne. Aber die Tatsache, daß es bei Ihnen im Moment keine Tea Party-Bewegung gibt, heißt nicht, daß das in einem halben Jahr immer noch so sein muß. Wie gesagt, vor gut einem Jahr gab es unsere Bewegung auch noch nicht.

Was ist Ihr Rat an die Deutschen?

Kremer: Das Geheimnis der Tea-Party-Bewegung ist, daß sie authentisch ist. Man kann sie also weder kopieren noch einkaufen. Sie ist getragen von der Sorge der Bürger und der Leidenschaft der Patrioten für ihr Land. Ich bin sicher, auch in Deutschland werden die Bürger aufstehen, wenn sie spüren, daß die Politik sich von ihnen und den Idealen ihrer Nation zu weit entfernt hat.

Der US-Publizist Elliot Neaman nennt Ihre Graswurzelbewegung ironisch einen „Kunstrasen“, denn der „Bürgerprotest“ sei in Wahrheit von konservativen Kreisen organisiert und vom TV-Sender Fox News inszeniert. Tatsächlich wird der Tea Party Express etwa vom konservativen Aktionskomitee „Unser Land verdient es besser“ finanziert. Sind da wirklich nur unpolitische, besorgte Bürger am Werk?

Kremer: Jeder kann bei der Tea-Party-Bewegung mitmachen, wenn er unsere Ziele teilt. Klar, daß auch bestehende Lobbygruppen mitmischen. Und die Finanzierung des Express ist kein Geheimnis.

Sie sagen von sich, bis 2008 ein unpolitischer Mensch gewesen zu sein. Was hat Sie plötzlich zu einer politischen Aktivistin gemacht?

Kremer: Das kann ich Ihnen gar nicht so genau sagen. Plötzlich war diese Stimmung da, daß es so nicht weitergehen kann. Die meisten Tea-Party-Patrioten sind eigentlich unpolitische Leute, die sich um ihren Job, ihr Haus, ihre Familie und ihre Nachbarschaft gekümmert haben, die aber plötzlich realisieren mußten, daß all das auf dem Spiel steht, wenn sie sich nicht auch dafür interessieren, was in Washington passiert. Die Ausgabenpolitik der Regierung hat einen Punkt erreicht, an dem ich mir sagte: „Du mußt etwas tun und deine Stimme erheben!“

Im Februar standen Sie auf der „First Tea Party Convention“ in Nashville neben Sarah Palin auf der Rednerliste. Palin gilt inzwischen als Ikone der bislang führerlosen Tea-Party-Bewegung.

Kremer: Das stimmt, dennoch ist Palin nicht die Anführerin. Wie Sie sagen, gibt es keinen Anführer, denn die Tea-Party-Bewegung ist eine Graswurzelbewegung ohne feste Strukturen. Es gibt verschiedene Gruppen im ganzen Land, die Tea Party Patriots, die Tea Party Nation oder wie auch immer sie sich sonst nennen mögen. Es handelt sich um lose Zusammenschlüsse besorgter Bürger, die in ihren Gemeinden für Aktionen sorgen. Die nationale Tea-Party-Bewegung manifestiert sich dagegen bei verabredeten Terminen, an denen alle Tea-Party-Gruppen im Land zur gleichen Zeit auf die Straße gehen, wie etwa dem „First National Tea Party Protest“ am 27. Februar 2009, dem „Tax Day“ jeweils am 15. April, dem „Independence Day Tea Party Protest“ jeweils am 4. Juli oder dem „Steuerzahlermarsch auf Washington“ am 12. September letzten Jahres. Zum Tea Party Express dagegen gehören nur einige Dutzend Aktivisten, dafür dauert er mehrere Wochen und führt durchs ganze Land. Jeder kann seine Idee einbringen!

Warum gründen Sie keine Partei?

Kremer: Nein, es geht uns nicht um Parteipolitik, es geht um die traditionellen amerikanischen Werte, die die Basis jeder Politik – egal welcher Partei – sein sollten. Wir sind Bürger, keine Politiker.

Jede Welle bricht einmal. Wenn sie sich nicht rechtzeitig institutionalisiert, wird die Tea-Party-Bewegung versanden.

Kremer: Wir sind nicht gegen Politiker als solche, sondern nur gegen jene, die nicht auf das Volk hören. In der Demokratie muß man immer wieder seine Stimme erheben. Das ist es, was wir tun. Und ich bin sicher, auch in Zukunft werden die Amerikaner aufstehen, wenn es für das Land nötig ist.

 

Amy Kremer, ist eine der Organisatorinnen des „3. Tea Party Express“ ( www.teapartyexpress.org ), des nationalen Buskonvois der Tea-Party-Bewegung, der quer durch die USA tourt. Die 39jährige ehemalige Stewardeß der Delta Air Lines aus Atlanta/Georgia, die 2008 über das Bloggen zur Politik kam, ist Tea-Party-Aktivistin der ersten Stunde: 2009 gründete sie die inzwischen USA-weite Organisation Tea Party Patriots ( www.teapartypatriots.org ), mit mittlerweile über eintausend Ortsvereinen, war Mitorganisatorin des ersten landesweiten „First National Tea Party Protest“ und bereitete als „Nationale Event-Koordinatorin“ die  Demonstrationen der Tea-Party-Bewegung zum „Tax Day“ 2009 mit vor, wo sie auch als Rednerin auftrat, ebenso wie bei der „First Tea Party Convention“ in Nashville im Februar 2010. Inzwischen ist Amy Kremer „Director“ des „3. Tea Party Express“ (Logo unten) für das Referat „Grassroots and Coalitions“.

Pressestimmen: Auch wenn sie „das Land nach rechts rücken“, die Tea-Party-Bewegung sei die „dynamischste und lauteste (politische) Kraft in  den USA“, räumt die Frankfurter Rundschau ein. Der Spiegel warnt vor den „Schreihälsen“, die sich „zur Gefahr für Obama“ entwickeln. Die Süddeutsche sieht vor allem eine „nationale Bewegung zwischen Hysterie und Aberwitz“. Die Zeit aber rät davon ab, die Tea Party „lediglich als Versammlung verbohrter Rechter“ zu sehen: Auch wenn es darum gehe, „Linke, Liberale und Geldverschwender aus dem Kongreß zu jagen“, vereinige sie ebenso allgemein „politisch Enttäuschte und Desillusionierte“.

Fotos: „Steuerzahler-Marsch auf Washington“ der Tea-Party-Bewegung, September 2009: „Daß es in Deutschland keine Tea Party gibt, heißt nicht, daß das in einem halben Jahr immer noch so ist. Uns gab es vor einem Jahr auch noch nicht.“, Tourbus des 3. Tea Party Express: „Wir sind Amerikaner, keine Radikalen!“

 

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