© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Der Diktatur widerstanden
Aufarbeitung: Die Vereinigung der Opfer des Stalinismus kämpft seit sechzig Jahren für die Rechte der Opfer des Kommunismus
Ekkehard Schultz

Der Verharmlosung der kommunistischen Diktaturen Widerstand entgegensetzen und den antitotalitären Konsens festigen: Unter diesem Motto stand am vergangenen Samstag in Berlin die Festveranstaltung der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS) zum 60. Jahrestag der Gründung des Verbandes. Neben rund 200 Mitgliedern aus den Reihen der ältesten Organisation der Verfolgten der kommunistischen Gewaltherrschaft nahmen auch prominente Politiker wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) und der Vizepräsident des Berliner Abgeordnetenhauses, Uwe Lehmann-Brauns (CDU), als Gäste teil.

Die VOS wurde am 9. Februar 1950 von Heimkehrern aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft und ehemaligen Internierten aus den sowjetischen Speziallagern im Westteil Berlins gegründet. Zu den zentralen Zielen des später bundesweit tätigen Verbandes zählte die soziale Betreuung von Opfern der kommunistischen Diktatur sowie der Kampf um die finanzielle und moralische Wiedergutmachung von Schäden, die den Verfolgten und ihren Angehörigen durch Haft, Mißhandlungen, Bespitzelungen sowie deren physische und psychische Folgen entstanden waren. Ferner wollte die Organisation auf die damalige gesellschaftliche Situation in Mittel- und Ostdeutschland aufmerksam machen. Mit Hilfe der Zeitzeugen sollte zudem dem schleichenden Vergessen und der Verharmlosung der kommunistischen Verbrechen Einhalt geboten werden.

Forderung nach materieller Verbesserung

Die erst vor wenigen Wochen zur ersten Stasi-Beauftragten des Landes Brandenburg gewählte ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe bezeichnete es in ihrer Rede als etwas „Selbstverständliches“, daß sich die Politik an die Seite derjenigen stellt, „die sich der kommunistischen Diktatur verweigerten“.

Dies erfordere jedoch deutlich mehr als bloße Gesten an den Gedenktagen, sagte Poppe. Erforderlich sei es auch weiterhin, für die Verbesserung der sozialen und materiellen Situation der Opfer dieses Systems aktiv einzutreten. Denn wer unter den damaligen Bedingungen in der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR für demokratische und freiheitliche Werte eingetreten sei und damit oft Repressionen, Verhaftungen oder eine berufliche Benachteiligung erlitten habe, dürfe heute auf keinem Fall schlechter gestellt werden als die damaligen Täter und Mitläufer. Doch auch zwanzig Jahre nach dem Ende der SED-Diktatur sei eine solche Haltung keineswegs ein allgemeiner politischer und gesellschaftlicher Konsens. Dies wiederum führe dazu, daß Parteien, welche die kommunistische Diktatur verharmlosen, immer noch viele Stimmen bei Wahlen erhielten, sagte Poppe.

Ebenso wie Poppe kritisierte die Brandenburger FDP-Landtagsabgeordnete Linda Teuteberg, daß bis heute viele Politiker den Interessen der ehemaligen Täter der kommunistischen Diktatur eine größere Aufmerksamkeit schenkten als den Opfern. So seien gerade in Brandenburg  politische Debatten jahrelang von den Forderungen ehemaliger Begünstigter geprägt worden, die sich beispielsweise sehr intensiv dafür eingesetzt hätten, daß ihre Mittäterschaft in der Diktatur zu keinen Nachteilen bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst führte. Dagegen seien all diejenigen, die „Anstand und Zivilcourage“ auch in dieser Zeit bewahrt hätten, nur sehr selten angemessen berücksichtigt worden.

„Aufgabe der jungen Generation“

Vor diesem Hintergrund bezeichnete es Teuteberg als „Aufgabe der jungen Generation, das Klima des Verschweigens und Vertuschens endlich zu beenden“. Besonders wichtig sei es, bei der Vermittlung historischen Wissens „die Opfer in den Mittelpunkt zu rücken und nicht die Täter“. Die Grundlage dafür sei ein antitotalitärer Konsens, der jungen Menschen immer wieder vermittelt werden müsse.

Helge Heidemeyer von der Stasi-Unterlagen-Behörde erinnerte in seinem kurzen historischen Rückblick daran, daß die Ursache des verbreiteten Desinteresses an den Opfern der SED-Diktatur nicht zuletzt darin bestehe, daß seit dem Ende der sechziger Jahre in der Bundesrepublik die DDR oft als „normaler Staat“ wahrgenommen worden sei. Mit dieser Entwicklung sei gleichermaßen auch das Interesse an der Auseinandersetzung mit den Verbrechen dieses Regimes zunehmend verblaßt.

Gegen diesen problematischen Trend hätten nur wenige Organisationen immer wieder ihre Stimme erhoben, darunter an erster Stelle Verbände wie die VOS, sagte Heidemeyer. Heute gebühre ihnen schon deswegen eine breite gesellschaftliche Anerkennung, weil sie trotz einer fehlenden politischen Unterstützung an ihren zentralen Zielen, der Aufklärung über den tatsächlichen Charakter der kommunistischen Diktatur und dem Kampf um ein wiedervereinigtes demokratisches Deutschland, festgehalten hätten.

Am Rande der Veranstaltung schloß die VOS den Vorsitzenden der Vereinigung 17. Juni 1953, Carl-Wolfgang Holzapfel, aus. Ihm wird vorgeworfen, Falschmeldungen über die VOS verbreitet zu haben. Zudem sieht sich Holzapfel dem Verdacht ausgesetzt, er habe seine Kinder sexuell mißbraucht. Holzapfel bestreitet die Vorwürfe.

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