© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  16/10 16. April 2010

Die Politik-Freibeuter suchen neue Beute
Piratenpartei: Rechtzeitig vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen hat die Debatte über eine erfolgreiche Strategie für die Zukunft begonnen
Lion Edler

Auch wenn es am 9. Mai für den Einzug in den Landtag von Nord-rhein-Westfalen wohl nicht reichen wird,  dürften die Mitglieder und Wahlkämpfer der Piratenpartei momentan recht hoffnungsfroh gestimmt sein. Denn die Truppen der Freibeuter wachsen weiter kontinuierlich an: Etwas über 12.000 Mitglieder hat die Partei nach eigenen Angaben bereits, bei der für die Piraten aufsehenerregenden Bundestagswahl im vergangenen Jahr waren es noch deutlich unter 9.000.

Die politische Konkurrenz scheint den Erfolg durchaus zu registrieren. In Hessen etwa hatte Ministerpräsident Roland Koch (CDU) unlängst Vertreter der Piraten zu einem halbstündigen Gespräch in seine Staatskanzlei eingeladen. Auch in Düsseldorf sprachen Piraten mit dem nordrhein-westfälischen Minister für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien, Andreas Krautscheid (CDU). Doch der Erfolg birgt auch organisatorische Schwierigkeiten. „Schon die Aufnahmeanträge brachten uns an den Rand des Möglichen“, sagte der stellvertretende Bundesvorsitzende der Piraten, Andreas Popp. Abhilfe sollen nun die Trennung von politischer Arbeit und Verwaltung sowie bezahlte Kräfte für die Erledigung der Bürokratie schaffen. Das durch die Bundestagswahl eingenommene Geld aus der Wahlkampfkostenerstattung soll in die Professionalisierung der politischen Arbeit gesteckt werden.

Deutliche rot-grüne Schlagseite

Als großen Schwachpunkt identifizierten viele Piraten-Anhänger indes das relativ enge Themenspektrum. Vor allem dem Kampf gegen Zensur, für Datenschutz und für Bürgerrechte haben sich die Piraten verschrieben – doch reicht das, um sich etablieren zu können? Ende Februar sollte ein Parteitag im nord­rhein-westfälischen Korschenbroich den Ruf der Ein-Thema-Partei abschütteln. Das dort beschlossene Programm widmet sich einem breiten Spektrum von Politikfeldern, von der Sozialpolitik über „Nachhaltigkeit als piratiges Prinzip“ bis hin zur Entflechtung des Gütertransversalverkehrs in Nordrhein-Westfalen.

Eine deutliche rot-grüne Schlagseite ist dabei unverkennbar: Die Piraten fordern unter anderem die Abschaffung von Studiengebühren, die Befreiung von Hartz-IV-Empfängern von Lehrmittelkosten, einen „Modellversuch für die kostenlose Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs“, die Abkehr von der Atomenergie und beim Verbraucherschutz die „Ausrichtung des Beratungsangebotes auch an den Bedürfnissen von Verbrauchern mit Migrationshintergrund“.

Die Öffnung zum breiteren Themenspektrum war innerparteilich umstritten, wie Popp offen zugab: „Es stimmt schon, daß es bei uns zwei Strömungen gibt. Auf der einen Seite die ‘Kernis’, die dafür sind, daß sich die Piraten auch in Zukunft auf Internet und Datenschutz konzentrieren, und dann die ‘Vollis’, die eine Öffnung für weitere Politikfelder fordern.“

Als Kompromiß sollte daher ein „hierarchisches Programm“ her, welches mit einem Kernprogramm die klassischen Piraten-Themen abdeckt, während das nun beschlossene erweiterte Programm zu sonstigen Themen Stellung bezieht. Ob der Streit nun beigelegt ist, wird sich zeigen. Denn wenn es etwas gibt, wo der von Optimisten gern bemühte Vergleich zwischen Grünen und Piraten zutrifft, dann ist es die Zersplitterung in ideologische Lager, die bei den Piraten von Linksextrem bis Konservativ reichen.

Wie stark Konflikte durch ein allzu detailliertes Profil befördert werden könnten, zeigten Reaktionen auf das Programm auf der Internetseite der Piraten. Weil für Schüler ab der fünften Klasse der Zugang zu tragbaren Computern „permanent ausgebaut“ werden soll und damit „hohe Bildungsstandards“ gesichert werden sollen, schwand die Identifikation des Kommentators Thomas mit seiner Partei bereits. „Was hat denn das mit Bildung zu tun?“ fragt er und stellt gleich klar: „Meine Stimme ist weg.“

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