© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

„Zurück in den Krieg“
Sieben deutsche Gefallene in 14 Tagen, Afghanistan hat uns eingeholt. Doch es sind nicht die Soldaten, die den Abzug fordern. Der Kanadier Jody Mitic etwa verlor beide Beine – und meldete sich erneut freiwillig.
Moritz Schwarz

Master Corporal Mitic, in einer am Wochenende ausgestrahlten TV-Reportage forderte ein Obergefreiter der Bundeswehr nicht etwa den Abzug aus Afghanistan, sondern im Gegenteil endlich den Einsatz schwerer Waffen.

Mitic: Ehrlich, das wundert mich nicht.

Sie haben dort 2007 im Kampfeinsatz beide Beine verloren – und meldeten sich dennoch erneut freiwillig an den Hindukusch.

Mitic: Ich bin immer noch Soldat, ich trage Uniform. Warum also nicht? Alle Verwundeten, die ich kenne, wollen zurück.

Diese Zeitung hat wiederholt deutsche Afghanistan-Veteranen interviewt: Die zeigten sich ziemlich frustriert über ihren Einsatz dort.

Mitic: Frustriert warum? Ich für meinen Teil jedenfalls bin stolz darauf, in diesem Krieg gekämpft zu haben.

Warum?

Mitic: Weil ich meinem Land gedient und weil wir viel erreicht haben.

Nämlich?

Mitic: Zum Beispiel ist die Kindersterblichkeitsrate in Afghanistan gesunken.

Andererseits kostet der Krieg auch zahlreiche Kinder das Leben.

Mitic: Was für ein Interview ist das? Eines von der Sorte, das mich dazu bringen soll, die Nato zu kritisieren?

In der Tat lehnt diese Zeitung diesen Krieg ab, aber es geht um etwas anderes: Warum will vor allem die Heimat das Ende des Einsatzes, nicht aber zwangsläufig die Soldaten? Im Gegensatz zur deutschen Regierung hat die kanadische inzwischen den Abzug aus Afghanistan bis 2011  beschlossen, und ausgerechnet Sie, der dort beide Beine verloren hat, kritisieren das?

Mitic: Ja, ich halte das für einen Fehler. Das Problem ist, als Kanada den Einsatz 2002 begonnen hat, stand die Mehrheit der Kanadier dahinter, es war eine nationale Entscheidung. Inzwischen ist das nicht mehr der Fall. Das muß ich akzeptieren, auch wenn ich es für falsch halte.

Sie haben nicht nur die Beine verloren, sondern auch zehn Ihrer Kameraden fallen sehen. Haben Sie keine Angst davor zurückzugehen?

Mitic: Ich muß zugeben, daß ich das vor allem seit der Geburt meiner Tochter vor fünfzehn Monaten doch etwas differenzierter sehe. Aber damals habe ich nicht an die Folgen gedacht. Seit ich fünf war, wollte ich Soldat werden. Als junger Mensch glaubt man, man habe eine unsichtbare Rüstung. Es ist wie bei den Leuten, die mit 200 auf einem Motorrad über den Highway rasen. Man weiß, daß dabei Unfälle passieren – anderen Leuten, nicht dir.

Was genau ist damals geschehen, Januar 2007 im Arghandab-Tal im Süden Afghanistans?

Mitic: An diesem Tag war bereits alles schiefgegangen, was schiefgehen konnten. Wir waren in einem Trupp zu vier Mann unterwegs, nahe einem Dorf, das die bösen Jungs zuvor geräumt hatten, und kamen an diesen Durchlaß in einer Mauer. Natürlich haben wir ihn nach Fallen abgesucht. Dann ging der Erste durch, der Zweite, der Dritte. Unglaublich, alle drei sind heil durchgekommen, und erst der letzte Mann – ich – tritt auf die Landmine. Es ist übrigens nicht so, wie sie es im Kriegsfilm darstellen, wo es „klick“ macht, der Soldat mit großen Augen nach unten schaut, bevor es kracht. Ich machte einfach einen Schritt, und plötzlich entfaltete sich vor mir – für mich völlig lautlos – ein gewaltiger orangefarbener Blitz. Ich habe auch nicht das Bewußtsein verloren: Zwar spürte ich den Schock, „beschloß“ aber regelrecht, nicht ohnmächtig zu werden, denn mir war klar, wenn ich das Bewußtsein verliere, werde ich vielleicht nie wieder wach. Und schließlich hatte ich allen zu Hause versprochen, zurückzukommen.

In Kanada sind Sie bekannt, Ihre Geschichte hat die Nation bewegt, Sie sind zu Gast in Talkshows, machen gar Werbung für Kriegsfilme – in Deutschland unvorstellbar.

Mitic: Daß mir so etwas passieren würde, das stand natürlich nicht auf meinem persönlichen „Dienstplan“. Wie gesagt, in meiner Vorstellung war ich der, der einen verwundeten Kameraden zum über dem Schlachtfeld schwebenden Rettungshubschrauber schleppt, ich war nie der, der geschleppt wurde. Und dann war ich es eben doch. Dennoch habe ich mich wieder aufgerappelt. Ich glaube, das ist es, was die Leute bewegt.

Mit Hilfe von Prothesen haben Sie wieder laufen gelernt, sind schließlich sogar einen Halbmarathon gelaufen.

Mitic: Das war sehr wichtig für mich, denn mir war klar, schaffe ich das, kann ich alles schaffen! Was ich inzwischen gelernt habe, ist, daß es die kleinen Dinge sind, die das Leben lebenswert machen. Raten Sie, was damals das erste war, was mir wieder Mut gegeben hat? Als es mir gelang, im Stehen zu pinkeln. Vielleicht verstehen Sie es nicht – aber ich habe mir das sogar notiert. Dabei führe ich gar kein Tagebuch, und dennoch hatte es eine solche Bedeutung für mich, daß ich mir das in ein Buch geschrieben habe: Heute ist der Tag, an dem ich aufstehen konnte, um alleine zur Toilette zu gehen!

Ihre Geschichte hat sogar ein Happy End: Erst durch Ihre Verwundung haben Sie Ihre heutige Ehefrau kennengelernt.

Mitic: Ob Sie es glauben oder nicht, aber sie war es, die den gepanzerten Krankentransport befehligte, der mich geborgen hat. Ich bat sie damals, jemand möge meine Hand halten. Heute haben wir zusammen eine kleine Tochter, Aylah, deren Daddy ein Scharfschütze war, dem ihre Mom auf dem Schlachtfeld das Leben gerettet hat.

Verschwindet dahinter nicht die Realität des Krieges? Kanada hat bereits 143 Gefallene zu beklagen. Und Sie hätten ebenso querschnittsgelähmt sein können.

Mitic: Natürlich, aber solange man am Leben ist, ist es ein Happy End. Einer meiner Kameraden ist querschnittsgelähmt, ein anderer hat nicht nur beide Beine, sondern auch noch einen Arm verloren. Ist ihr Leben deshalb nichts mehr wert?

In Deutschland wurde bisher vor allem über die Posttraumatische Belastungsstörung, also über die psychischen Folgen des Krieges gesprochen. Im Interview mit dieser Zeitung berichtete ein deutscher Afghanistan-Veteran, daß er seit damals „täglich einen inneren Krieg“ führe.

Mitic: Vielleicht ist das so, weil Deutschland bisher zu wenige Gefallene und Verstümmelte hatte, das mag sich jetzt ändern. Ich selbst habe seit der üblichen, vorübergehenden Depression direkt nach Verlust meiner Beine keine psychischen Probleme mehr. Aber meine Familie will nun natürlich nicht, daß ich noch einmal zurückkehre

Warum wollen Sie es dennoch?

Mitic: Weil ich unsere Mission nicht vollendet habe: Wenn wir uns jetzt zurückziehen, werden die Taliban wieder die Macht übernehmen und ihr Terrorregime errichten, wozu etwa das tägliche Hinrichten von Menschen gehört, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen.

Können Sie als Invalide überhaupt zurück?

Mitic: Ich kann natürlich nicht mehr als Infanterist kämpfen, aber ich kann als Bordschütze auf einem Hubschrauber dienen.

Wie realistisch ist das?

Mitic: Hätte ich nur ein Bein verloren, wäre ich vielleicht schon wieder in Afghanistan, aber mit zweien ist es ziemlich schwer. Um ehrlich zu sein, ich habe die Probleme unterschätzt, dennoch ist das mein Wunsch.

Sie glauben an den Sieg?

Mitic: Die Leute sagen immer, in Afghanistan hätte sich nichts geändert. Ich frage mich, was für eine Vorstellung die Leute haben. Wir sprechen über ein Land, dessen Geschichte bis zu Alexander dem Großen zurückreicht. Wie schnell kann man da eine Veränderung erwarten? Wie lange dauert es denn bei uns, bis sich etwas verändert?

Also, wie lautet Ihre Strategie?

Mitic: Vor allem eine realistische Einschätzung von den Dingen zu gewinnen: Erstens – ein Land ändert sich nicht in zehn Jahren. Zweitens – man kann keinen Krieg beginnen und es sich anders überlegen, sobald die ersten Soldaten fallen.

Über wie viele Gefallene und getötete Zivilisten sprechen wir, bis der Sieg erreicht ist?

Mitic: Das kann ich Ihnen nicht sagen, aber Ihre Frage zeigt schon das Problem. Krieg kann man nicht führen, indem man ihn kalkuliert, sondern nur wenn man bereit ist, zu kämpfen, bis der Feind besiegt ist.

Also sind die Zivilisten das Problem?

Mitic: Das können Sie so nicht sagen. Als die Kanadier der Afghanistan-Mission zustimmten, dachten sie, es handle sich um eine friedenserhaltende Mission. Sie stellten sich das wie Bosnien vor, wo wir auch Truppen hatten, es aber praktisch keine Kämpfe gab. Vor Afghanistan hatte Kanada seine letzten Gefallenen eben im Koreakrieg 1953!

Das heißt?

Mitic: Daß wir in einer Kultur leben, die nicht mehr zu akzeptieren bereit ist, was Krieg wirklich bedeutet.

Und das wäre? 

Mitic: Ich will mal ehrlich sein: Für mich und meine Kameraden sind 143 Gefallene kein Problem und auch nicht, daß noch mehr fallen werden. 143 Gefallene hatte Kanada im Zweiten Weltkrieg doch an einem Tag. Um es klar zu sagen, wir sehen es nicht ein, daß Gefallenenzahlen überhaupt eine Rolle spielen. Denn für uns gibt es nur einen Maßstab: den Krieg zu gewinnen – und die Opfer, die dafür nötig sind, müssen gebracht werden. Ich respektiere, daß mein Arbeitgeber, das kanadische Volk, das anders sieht, aber das ist meine Meinung.

Und das sehen die übrigen Soldaten auch so?

Mitic: Alle, die ich kenne, ja.

Zunächst waren Sie in Kabul stationiert, wo Sie auch Kontakt mit der Bundeswehr hatten. Wie denken die deutschen Soldaten in dieser Frage?

Mitic: Nun, das ist schon Jahre her, aber nach meiner Erfahrung waren zumindest die deutschen Kampftruppen fähig und willens, einen echten Krieg zu führen. Und auch sie wären stolz darauf, diese Mission mit einem endgültigen militärischen Sieg über den Feind abzuschließen.

Fachleute meinen, in Afghanistan kann man gar nicht siegen. Bekanntlich sind Briten und Russen dort gescheitert, ohne daß sie das Problem „kritische Öffentlichkeit“ hatten.

Mitic: Wir haben es doch gar nicht wirklich versucht. Es ist wie beim Kampf gegen die Drogenszene in unseren Großstädten: Zwei-, dreimal im Jahr kommt die Polizei und verhaftet die Dealer, das ist alles. So haben wir es leider auch in Afghanistan gemacht: Stets haben wir versäumt, das gesäuberte Gebiet auch zu sichern, weil wir dafür nicht genug Truppen zur Verfügung haben. Dabei sind die Taliban keine mächtige Armee, die sind eher wie eine Bande, hier gibt es ein paar und dort und dort. 

Also mehr Soldaten, aber auch mehr Tote?

Mitic: Bereit zu sein, wirklich die Mittel einzusetzen, die nötig sind, heißt nicht automatisch mehr Kämpfe und mehr Tote. Nach meiner Ansicht ist der Grund für die vielen Kämpfe zur Zeit, daß wir nicht genug Soldaten haben! Denn erst das gibt dem Feind die Möglichkeit, immer wieder hervorzukommen und anzugreifen. Dennoch, selbst mit den viel zu geringen Mitteln für dieses große Land haben wir schon Erfolge erzielt: Wir haben die Taliban entmachtet und al-Qaida vertrieben. 

Der deutsche Ex-Verteidigungsminister Struck sprach jüngst aus, was der wahre Grund für die Fortsetzung des Krieges ist, daß nämlich „sonst alle Opfer bisher umsonst gewesen sind“.

Mitic: Es mag sein, daß daran etwas Wahres ist, und vielleicht bin auch ich voreingenommen, weil sonst der Verlust meiner Beine keinen Sinne mehr hätte. Irgendwie ist Afghanistan und dieser Krieg auch ein Teil von mir geworden.

Es sieht weder nach schnellem Abzug noch nach „totalem Krieg“ aus, sondern nach „weiterwursteln“. Wie wird der Krieg realiter enden?

Mitic: Ich hoffe das Beste, aber ganz ehrlich – darauf möchte ich Ihnen lieber keine Antwort geben.

 

Jody Mitic diente als Scharfschütze im 1st Battalion Royal Canadian Regiment in Afghanistan als Angehöriger der Isaf-Mission, als der Kanadier am 11. Januar 2007 im Einsatz auf eine Landmine trat und beide Unterschenkel verlor. Sein Leben schien zerstört, doch Mitic nahm den Kampf erneut auf: Mit Beinprothesen begann er von vorn, lief einen Halbmarathon, heiratete, bekam eine Tochter und will nun erneut – immer noch Soldat – nach Afghanistan, um, „seine Mission zu beenden“. Die erstaunliche Geschichte des 33jährigen Master Corporal – ein Unteroffiziersdienstgrad – wurde in seinem Heimatland durch die Medien bekannt.

Gefallen in Afghanistan:

Während Deutschland derzeit etwa 4.335 Soldaten im bisher überwiegend „ruhigen“ Norden des Landes stationiert hat, stehen die 2.830 kanadischen Isaf-Soldaten in der Region Kandahar, im immer wieder schwer umkämpften Süden.  Deutschland hat bisher 43 Gefallene zu beklagen, die letzten vier am 15. April. Kanada dagegen zählt bereits 143 getötete Soldaten, der letzte Kanadier fiel am 11. April, sowie über einhundert Verstümmelte.

Fotos: Isaf-Soldaten auf dem Vormarsch in Ost-Afghanistan (Oktober 2009): „Plötzlich entfaltete sich vor mir ein gewaltiger orangefarbener Blitz ... so etwas passiert – aber doch nicht mir!“, Jody Mitic (l.) auf Prothesen mit Trainer: „Wenn ich das schaffe, schaffe ich alles!“

 

weitere Interview-Partner der JF

Versenden
  Ausdrucken Probeabo bestellen