© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Der lange Schatten der Zwangskollektivierung
Enteignungen: Die vom SED-Regime in der DDR vorangetriebene Bildung Landwirtschaftlicher Produktionsgemeinschaften wirkt bis heute nach
Ekkehard Schultz

Auf kaum einem anderen Gebiet sind die Folgen der kommunistischen Gewaltherrschaft heute noch so deutlich zu spüren wie in der Landwirtschaft. Die Zwangskollektivierung des bäuerlichen Besitzes in der DDR  veränderte die Strukturen nachhaltig. Mit der flächendeckenden Gründung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) wurden die Voraussetzungen für die endgültige Durchsetzung des „Sozialismus auf dem Lande“ geschaffen. Nur dem System treu ergebene Kader durften die wichtigsten Leitungsfunktionen bekleiden. Diese Strukturen blieben häufig auch nach der Wiedervereinigung erhalten.

Schon aus diesem Grund lag der Schwerpunkt der Tagung „50 Jahre Zwangskollektivierung in Ostdeutschland“, die von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft gemeinsam mit der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur am Montag in Berlin veranstaltete wurde, nicht nur auf einem historischen Rückblick. Vielmehr sollten auch die Folgen der kommunistischen Agrarpolitik thematisiert werden.

Als SED-Parteichef Walter Ulbricht am 25. April 1960 die „Vollkollektivierung“ der Landwirtschaft in der DDR verkündete, war dies letztlich nur ein weiterer Meilenstein auf einem Weg, der bereits mit der sogenannten „Bodenreform“ von 1945 bis 1948 begonnen hatte.

Denn die Neuaufteilung von Gütern des Großgrundbesitzes an rund 210.000 Kleinbauern, ein großer Teil von ihnen Vertriebene, hatte vordergründig keineswegs humanitäre Gründe, wie der Historiker Jens Schöne deutlich machte. Vielmehr bestand das Ziel darin, die als reaktionär geltenden Großbauern pauschal zu delegitimieren und die ländliche Gesellschaft aufzuspalten.

Zunehmender Druck und Repressalien

Der Beginn der Bildung sogenannter „sozialistischer Genossenschaften“ auf dem Lande hatte bereits im Juni 1952 begonnen, nachdem die SED auf ihrer Parteikonferenz den „Aufbau der Grundlagen des Sozialismus“ beschlossen hatte. Die ersten Ansprechpartner waren dabei vor allem jene Klein- und Neubauern, die auf dem eigenen Grund nicht effektiv wirtschaften konnten, so daß bei ihnen die Formel „Vom Ich zum Wir“ auf besonders fruchtbaren Boden fiel, wie der Soziologe Falco Werkentin ausführte. Der zunehmende Druck und die Repressalien, die dabei an vielen Orten auf nicht beitrittsbereite Bauern ausgeübt wurden, führten zu einer rapide wachsenden Zahl von Inhaftierten, die sich gegen diese Maßnahmen mit ihren beschränkten Mitteln zur Wehr gesetzt hatten.

Zudem verließen zahlreiche Bauern ihre Wirtschaften und flohen in den Westen. Aufgrund der massiven Konsequenzen nahm die SED-Führung nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953, der auch auf dem Lande zahlreiche Unterstützer fand, einige Beschlüsse zurück. Viele Genossenschaften wurden nun wieder aufgelöst. Tatsächlich kam jedoch diese Phase nur noch einer kleine Atempause gleich: Ab Ende der fünfziger Jahre wurde erneut der Druck auf die Bauern massiv verschärft, sich zu LPGs zusammenzuschließen.

Innerhalb nur weniger Monate wurde der Plan der Partei nun nahezu vollständig umgesetzt. Nicht zuletzt stellt nach Ansicht Werkentins die damit ausgelöste Flucht zahlreicher Bauern einen nicht unwesentlichen Grund für den Bau der Berliner Mauer dar.  Eine weitere Folge der Kollektivierung war aber auch eine noch stärkere Ausdehnung der Macht der SED. Die Leitung der LPGs, deren Gesamtzahl durch Zusammenlegungen immer stärker reduziert wurde, wurde nunmehr nur noch sorgfältig ausgewählten Kadern überlassen.

Personelle Strukturen als große Hypothek

Nach dem politischen Umbruch von 1989/90 erweisen sich insbesondere diese personellen Strukturen als große Hypothek. Zwar war nun wieder die Bildung der bäuerlichen Einzelbetriebe in den neuen Bundesländern möglich. Gleichwohl gab es, so der Sozialwissenschafter Uwe Bastian, bereits 1990 eine breite politische Unterstützung von den bürgerlichen Parteien als auch von SPD, Grünen sowie der PDS, die sich für den Erhalt der ehemaligen LPGs aussprachen, da diese vermeintlich effektiver wirtschaften könnten als Einzelbauernhöfe. Das westdeutsche Agrarsystem wurde hingegen mit Blick auf den europäischen Gesamtmarkt als „auslaufendes Modell“ sowie als „Museumslandwirtschaft“ klassifiziert. Unter diesen Voraussetzungen war es vielen linientreuen Vorständen möglich, sich selbst den Boden und das Vermögen der einstigen LPGs zu sichern.

Dabei kamen ihnen die erheblichen Agrarsubventionen der Europäischen Union entgegen, durch welche die Pächter und Besitzer großer Flächen deutlich bevorteilt werden. Heute befinden sich beispielsweise im Peenetal in Mecklenburg-Vorpommern 80 bis 90 Prozent der Nutzfläche der ehemaligen Genossenschaften im Besitz der Funktionäre, so Bastian. Vier DDR-Nomenklatur-Kader verfügen dort heute über 15 ehemalige Güter, die zu einem großen Teil als Großgrundbesitz direkt nach 1945 enteignet wurden.

Dagegen erhielten die meisten der ehemaligen rund 800.000 Genossenschaftsmitglieder der LPGen in der DDR nach 1990 nicht einmal eine geringfügige Abfindung, da die meisten Betriebe nach der Wiedervereinigung Konkurs anmeldeten. Später wurden dann jedoch unter dem Etikett einer neuen GmbH die Flächen erneut bewirtschaftet.

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