© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Auf dem Holzweg
Aktionismus wegen Klimawandels: Die Bayerische Forstverwaltung plant einen mehr als progressiven Waldumbau
Harald Ströhlein

Sollte die vom Weltklimarat (IPCC) prognostizierte Erderwärmung tatsächlich so eintreten, dann wird auch in Europa sowohl die Fauna als auch die Flora merklich beeinflußt (JF 6/10). Schon jetzt wird etwa die rasante Ausbreitung des aus Amerika eingeschleppten Maiswurzelbohrers (Diabrotica virgifera), der Maispflanzen schädigt, (JF 37/08) auch dem Klimawandel zugeschrieben. Auch Schädlingen wie dem Baumwollkapselwurm, Rüsselkäfer oder Getreidelaufkäfer stellen Forscher eine zunehmende Verbreitung in Aussicht.

Ähnliches wird dem Eichenprozessionsspinner, der Miniermotte, dem Waldmaikäfer, dem Buchenborkenkäfer oder dem Buchenkäfer prognostiziert, die alle eine Gefahr für den Waldbestand darstellen. Gleichwohl wird auch die Pflanzengemeinschaft zwangsläufig einem Anpassungsprozeß unterworfen werden, sollten sich die Temperaturen spürbar ändern. Der Wald als größter Biotopverbund wäre im Gegensatz zur Fauna allerdings einem sehr krassen Wandel unterworfen.

Droht ein Fichtensterben von unbekanntem Ausmaß?

Nach Expertenmeinung hätte die eher unter gemäßigten Temperaturen gedeihende Fichte beim Klimawandel das größte Nachsehen – und ein Fichtensterben unbekanntem Ausmaßes hätte in der Tat ungeahnte Folgen für unser Ökosystem: Die Fichte ist mit einem Anteil von fast einem Drittel an der elf Millionen Hektar umfassenden Waldfläche die häufigste Baumart in Deutschland.

Der Wald liefert zudem nicht nur Bau- und Holzmaterial, sondern reinigt und speichert Grundwasser, schützt den Boden vor Erosion, produziert Sauerstoff und bindet Kohlendioxid (CO2). So speichert die ober- und unterirdische Biomasse etwa 1,2 Milliarden Tonnen Kohlenstoff, wobei jährlich ungefähr 17 Millionen Tonnen aus der Atmosphäre zusätzlich gebunden werden. Ferner beträgt die Bindekapazität von einer Tonne getrocknetem und verarbeitetem Holz dauerhaft zirka 1,8 Tonnen CO2.

In Bayern mit einem Fichtenanteil von 44 Prozent hätte ein Massensterben besonders verheerende Folgen. Daher kann man dem Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten durchaus Weitblick attestieren, wenn den Waldbesitzern im Freistaat angesichts der drohenden Apokalypse seit kurzem die Mischbewaldung als das zukünftige Mittel der Wahl schmackhaft gemacht werden soll. Wie schon 2009 stehen auch in diesem Jahr rund 27 Millionen Euro für die forstliche Förderung zur Verfügung.

Bedenklich ist dabei, daß nicht nur wider die Natur vor allem Edelhölzer wie etwa Weißtanne, Eiche oder Buche (deren Wachstum auf Extremstandorten nicht garantiert ist) als Alternativbaumarten propagiert werden. Mehr noch: Fremdbaumarten aus aller Herren Länder sollen künftig als gleichwertiger Ersatz für die Fichte taugen. Allein aus diesem Grund scheut derzeit das Bayerische Amt für forstliche Saat- und Pflanzenzucht (ASP) weder Kosten noch Mühen, um mit Exoten wie der König-Boris-Tanne aus Bulgarien, der Silberlinde aus Ungarn, der amerikanischen Hemlocktanne, der Orientbuche oder der Libanonzeder zu experimentieren.

Das amtliche Unterfangen „Mischwald“ ufert sogar in groteske Prophylaxemaßnahmen aus: Um einen potentiellen Verbiß an Jungpflanzen, die überhaupt noch nicht gesetzt sind, a priori zu verhindern, erreichen schon heute die staatlichen Abschußvorgaben für Rehwild eine Dimension, die einem Feldzug nahe kommt. Von einer verfassungsgemäßen Gleichbehandlung von Natur- und Tierschutz, wie er im Artikel 20a des Grundgesetzes verankert ist, kann keine Rede mehr sein.

Nimmt man die Klimaprognose ernst, „daß der Temperaturanstieg nach Modellrechnungen ab Mitte des Jahrhunderts besonders stark ausfallen könnte“, dann sind vitale Mischwälder, die Wetterkapriolen und Schädlingen trotzen, durchaus wünschenswert. Ein darauf abzielender Waldumbau kann aber nicht auf behördliches Biegen oder Brechen, sondern nur über Generationen und im Einklang mit der Natur erfolgen.

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