© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co.  www.jungefreiheit.de  17/10 23. April 2010

Die Streikkultur lähmt das Land
Reportage aus dem krisengeschüttelten Griechenland: Angesichts der rigiden Sparpolitik gehen die Bürger auf die Barrikaden
Hinrich Rohbohm

Wegen Renovierungsarbeiten geschlossen“, steht auf dem Schaufensterglas geschrieben. In den Straßen von Athen hängen viele solcher Schilder in den Geschäften. Saniert wird zumeist nicht. Aber es klingt besser – besser als „pleite“. Denn das sind inzwischen viele Ladeninhaber. Die Wirtschaftskrise hat sie und ihr Land hart getroffen. Die Betriebe des Mittelmeerstaats bekommen das zu spüren. Banken vergeben kaum noch Kredite, die Verbraucher sind durch die Berichterstattung über Griechenlands maroden Staatshaushalt verunsichert, geben weniger Geld aus.

Die mangelnde Nachfrage ist für die Wirtschaft verheerend. „Immer mehr kleine und mittlere Betriebe müssen aufgeben“, sagt Panayotis Doumas. Doumas ist Vorsitzender eines Zusammenschlusses von Kaufleuten in der Athener Innenstadt und kommissarischer Chefredakteur der Wochenzeitung Eleftheros Kosmos . „Griechenland ist kein Rechtsstaat mehr“, sagt der 39jährige frustriert. Streiks, Korruption, Demonstrationen und Sachbeschädigungen lähmen das Land, meint er.

Und demonstriert wird in Athen nahezu täglich. Am vergangenen Mittwoch sind es die Landwirte, die unzufrieden sind. Sie stehen mit knapp einhundert Leuten vor dem Nationalparlament, wollen höhere Preise für ihre Früchte. Sie haben vor dem Parlament Transparente ausgebreitet, Rosen dazugelegt: eine kleine, harmlose Demonstration. Doch das massive Aufgebot an Polizei zeigt, wie angespannt die Situation in Griechenlands Hauptstadt derzeit ist.

Von einem Haß auf Deutsche ist nichts zu spüren

Die Ordnungshüter sind etwa dreimal so stark vor dem Parlament vertreten wie die Demonstranten. Sie tragen Schutzschilder und Schutzwesten. Sie haben Busse mit vergitterten Scheiben quer über die Straße gestellt und die Fahrbahn blockiert. In der belebten Fußgängerzone von Ermou patrouillieren die Staatsdiener mit Schutzwesten. Und mit Schlagstöcken. Durch die engen malerischen Gassen am Fuße der Akropolis schlängeln sich Uniformierte auf Motorrädern durch den Verkehr, beobachten das Geschehen in der Altstadt.

„Alle sind derzeit ein wenig nervös“, meint Maria. Die 19jährige sitzt mit ihrer Freundin Anna auf einem Felsen am Fuße der Akropolis. Beide genießen die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Maria ist in Stuttgart aufgewachsen, studiert derzeit wie ihre Freundin Germanistik an der Athener Universität.

„Klar, das Wetter ist schöner hier“, sagt Maria mit einem Blick auf die untergehende Sonne. Dann zählt sie die Mängel auf: „Die Busse kommen ständig zu spät. Viele Plätze sind vermüllt. Die Preise sind zu hoch“, beginnt sie zu klagen. Eigentlich wäre sie lieber wieder in Deutschland. Dort habe sie Ordnung, Pünktlichkeit und Sauberkeit zu schätzen gelernt. Besonders die hohen Preise seien „ein Problem“. Für ihr 35 Quadratmeter großes Zimmer außerhalb des Zentrums zahlen Marias Eltern 350 Euro.

„Ein Kellner verdient in Athen gerade einmal 600 bis 700 Euro“, verdeutlicht Panayotis Doumas die schon jetzt vorhandenen finanziellen Probleme zahlreicher Haushalte. „Aber an der Uni merken wir noch nichts von der Krise“, sagt Anna, die ebenfalls bereits sechs Jahre in Deutschland gelebt hat. Für ihre Bücher muß sie nach wie vor nichts zahlen, auch Semestergebühren fallen nicht an. Und in den Athener Museen haben Studenten noch immer freien Eintritt.

Die zahlreichen Streiks und Demonstrationen nerven die beiden jungen Frauen ebenfalls – besonders an ihrer Universität. In Griechenland ist der Polizei der Zutritt zum Campusgelände untersagt. Kleinkriminelle nutzen diese Eigenheit, um sich dem Zugriff des Gesetzes zu entziehen. Und auch Linksextremisten schätzen die Uni als Rückzugsgebiet und Anlaufstelle für ihre Agitationen.

„Eine Minderheit stachelt die Studenten auf und ist immer nur auf Gewalt aus“, erzählt Anna von ihren Erlebnissen auf dem Campus. „Aber das lehnen wir ab“, ist sie sich mit Maria einig.

Was Anna und Maria meinen, wird am Freitagabend deutlich. Linksextremistische Studenten haben zur Demonstration aufgerufen. Tausende versammeln sich vor der Athener Universität. Sie fordern die Freilassung von sechs anarchistischen „Kampfgenossen“: Bombenattentäter. Vor zwei Wochen hatten sie mehrere Sprengsätze gelegt – in Geschäftszentren und an einer Polizeistation. Bei den Anschlägen war ein Afrikaner verletzt, die mutmaßlichen Täter verhaftet worden. Die Stimmen im Demonstrationszug sind laut. Aggressiv. Touristen, die sich zufällig an der Wegstrecke des Zuges befinden, wollen spontan ein paar Schnappschüsse der anderen Art einfangen – und fangen sich dabei selbst fast Schläge ein. „Die reagieren auf Fotos extrem aggressiv, das ist schlimmer als in Deutschland“, warnt Doumas vor den oft militanten Demonstranten.

Die Polizei hat sich entsprechend ausgerüstet, trägt neben Schutzwesten, Helmen und Schutzschildern auch Atemschutzmasken. Wie eine Festung verteidigen sie das Parlament, als sich der Menschenstrom laut skandierend auf das Gebäude am Syntagma Platz zubewegt. Es sind noch mehr geworden, die jetzt demonstrieren. Plötzlich haben sich auch Leute angeschlossen, die eigentlich nur gegen Steuererhöhungen protestieren wollen. Detonationen sind zu hören. Anarchisten scheren aus dem Demonstrationszug aus, sprühen Parolen mit roter und schwarzer Farbe auf die historischen Gebäude der Innenstadt. Fenster werden eingeschlagen, Farbbeutel gegen Hausfassaden geschmettert. Eine Hundertschaft der Polizei, die den Demonstrationszug begleitet, läuft im Gänsemarsch nur einen Meter an einem Sprayer vorbei. Der Anarchist sprüht weiter, die Polizei schaut zu. Ein paar Tage später wird man die Gemäuer neu streichen – bezahlt aus Steuergeldern. Einen Tag zuvor waren es die Taxifahrer, die streikten. Auch Busse und Straßenbahnen stellten ihren Betrieb ein. Athen stand still, Griechenlands Streikkultur lähmt das Land. „Das ist der Hauptgrund für unsere Misere“, erklärt Doumas. Die Wirtschaftskrise habe diesen Trend verstärkt.

Ein Haß auf Deutsche aufgrund des wegen der Schuldenkrise angespannten Verhältnisses zwischen Deutschland und Griechenland ist nicht zu spüren. „Es ist so wie immer“, sagen viele Athener. Deutsche Touristen werden in den Hotels und Restaurants nach wie vor zuvorkommend behandelt. Und auch bei den Demonstrationen gibt es keine deutschfeindlichen Parolen.

Die von Ministerpräsident Giorgos Papandreou erhobene Forderung, Deutschland müsse aufgrund des Zweiten Weltkriegs noch Reparationszahlungen an Griechenland aufbringen, wurde in der Bevölkerung eher als Ablenkungsmanöver von eigenen Versäumnissen bewertet. „In den griechischen Medien wurde schon gegen Deutschland negative Stimmung geschürt“, meint Doumas. Doch das sei „Propaganda“, die „von der Bevölkerung durchschaut wird“: „Die Leute wissen, daß Korruption und Mißwirtschaft im eigenen Land die Ursache für den Bankrott sind“, beschreibt Doumas die Stimmung.

Daß über dem Land nun der Pleitegeier kreist, sei aber auch das „Ergebnis der Regierungspolitik der letzten zehn bis 15 Jahre“, betont Makis Voridis. Der parlamentarische Geschäftsführer der nationalkonservativen Laos-Partei sitzt auf dem Sofa eines Sitzungszimmers des griechischen Nationalparlaments – die Krawatte gelockert, der Blick ein wenig müde.

Schwarzarbeit erwirtschaftet etwa 60 Milliarden Euro

Sein Gesichtsausdruck läßt erahnen, daß die vergangenen Tage für den Politiker nicht einfach waren. Varidis gilt in seiner Fraktion als einer der kompetentesten Wirtschaftsfachleute. Das Finanzdesaster hat ihn zu einem gefragten Gesprächspartner gemacht.

„Auf die Bürger Griechenlands kommen enorme Belastungen zu“, redet der Politiker Klartext. So müssen die Hellenen bald mit 15 bis 17 Prozent weniger Lohn auskommen. „Und in Zukunft wird es noch weniger sein“, prophezeit Varidis. Geplant sei auch, die Unternehmenssteuern von derzeit 25 auf 40 Prozent anzuheben. „Das aber wird den Markt zerstören“, ist sich der Abgeordnete sicher und plädiert für mehr Behutsamkeit beim Drehen an der Steuerschraube. „Sonst bekommen wir auch noch eine Welle von Massenentlassungen.“

Daß es auch zu politischen Aufständen oder gar einer Revolution kommen könnte, glaubt er dagegen nicht. „Die Linken von heute sind doch gar keine Arbeiter mehr, die kommen aus wohlhabenden bürgerlichen Schichten und sind meist gar nicht selbst betroffen.“ Aber: „Versuchen werden sie es.“

Auch bei der National Confederation of Hellenic Commerce, einem landesweiten Zusammenschluß griechischer Kaufleute, ist die Verschuldung das Topthema dieser Tage, das sich selbst von der inzwischen sogar Griechenland erfassenden isländischen Aschewolke nicht aus den Medien verdrängen läßt.

Der Verband hat in die Hafenstadt Piräus zur Hauptversammlung geladen. „Kleine und mittlere Betriebe bekommen kaum noch Kredite“, klagt Verbandspräsident Vassilis Korkidis. Er habe mit zahlreichen Regierungsvertretern gesprochen, sagt er der JUNGEN FREIHEIT. Er hat Steuer- und Krediterleichterungen vorgeschlagen, um die Pleitewelle zahlreicher Firmen abzuwenden. „Aber wir finden kein Gehör.“ Dabei liege der volkswirtschaftliche Schaden Griechenlands aufgrund von Schwarzarbeit schon jetzt bei 60 Milliarden Euro. Hinzu komme der psychologische Faktor. „Die Kunden haben Angst vor der Zukunft, sie kaufen einfach nichts mehr.“ Es sind nicht nur Aschewolken, die  Griechenlands Himmel in Zukunft verdunkeln könnten.

 

Stichwort: EU-Sanierungsfall Griechenland

Seit dem Beitritt zur Euro-Zone ist Griechenlands Auslandsverschuldung auf über 300 Milliarden Euro angestiegen. Dies entspricht 113 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Zum Jahresende rechnet die EU mit über 125 Prozent. Die Neuverschuldung erreichte schon 2009 den Spitzenwert von 12,9 Prozent des BIP. Um kreditwürdig zu bleiben, versucht Athen mit einem rigiden Sparprogramm im öffentlichen Dienst und bei der Rente sowie Steuererhöhungen die Neuverschuldung auf 8,7 Prozent des BIP zu drücken. Zur Stabilisierung halten die Euro-Länder und der IWF ein 45-Milliarden-Euro-Notpaket bereit, bei dem Deutschland 8,4 Milliarden Euro trägt.

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